Die Danziger lieben "ihren" Günter Grass, der 1927 in einem Vorort (Langfuhr, heute: Wrzeszcz) geboren wurde und seit 1993 Ehrenbürger der Stadt ist. Die groben Irritationen von 2006, als Grass gestand, mit 17 Jahren der Waffen-SS beigetreten zu sein, scheinen ausgestanden. Jedenfalls ist am späten Sonntagnachmittag mit keinem Wort davon die Rede, als im Rahmen der "Grassomania", des Danziger Grass-Festivals, eine neue polnische Biographie vorgestellt und eine von dem Schriftsteller geschaffene Skulptur, "Turbot pochwycony", "Der Butt im Griff", in seinem Beisein enthüllt wird.
Bei seiner kurzen Ansprache ist Grass gut gelaunt und weist auf die drei Fasern seines Schaffens hin: die Bücher, selbstverständlich, aber auch Malerei, Grafik und eben die Bildhauerei, das Schaffen von Skulpturen. Als Bildhauer habe er angefangen, bei einem Steinmetz gelernt und Grabsteine angefertigt: "Dafür besteht immer Bedarf." Alle drei Fasern lassen sich in der Stadt jetzt wahrnehmen: seine Bücher in polnischer Übersetzung, seine Gemälde und Lithographien in der Grass-Galerie und jetzt eben auch eine Skulptur. Freundlicher Applaus und Enthusiasmus, auch am nächsten Tag in der Berichterstattung der "Gazeta Wyborcza".
Am Montagmorgen fahre ich zurück nach Sztum, wo ich meine Wanderung für die Ausflüge nach Marienburg, Pelplin und Danzig unterbrochen habe. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell der Übergang von der Großstadt in die Tiefe der Provinz vonstattengehen kann. Eine gute Stunde Bahnfahrt, ein Spaziergang durch Sztum, und ich wandere durch Dörfer und Weiler wie Klecewo, Stary Targ, Morany. Hier kann die Seele nachkommen, Danzig bedenken.
Auch deswegen, weil ich ab Waplewo die breite Straße nur noch mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen, selten mit einem Pkw, teilen muss. Die Fahrradroute hat hier eine neue, sinnvolle Führung erhalten.
In Waplewo Wielkie (Groß Waplitz) ist ein wunderbares kleines Schlösschen aus dem 18. Jahrhundert zu entdecken. Theodor Sierakowski erwarb 1776 ein bestehendes Gut und baute es zu einem gräflichen Höfchen um. Seine Nachkommen betätigten sich gar als Sammler hochkarätiger Gemälde, von Dürer-Bildern zum Beispiel. Von der Gemäldeherrlichkeit ist nichts mehr übrig geblieben, das Schlösschen ist heute eine Dependance des Danziger Nationalmuseums und wird wohl renoviert. Für mich bleiben nur der "englische" Park und ein Blick von außen übrig.
Zwei Stunden laufe ich noch weiter, an Weilern und kleinen Seen vorbei, und komme am späten Nachmittag in Dzierzgon (Christburg) an, wo ich in einer Privatunterkunft ein Zimmer reserviert habe. Die sympathische Hausherrin stellt, nachdem sie den deutschen Gast mit dem Rucksack ein wenig befragt hat, zum Abendessen allerlei Früchte aus eigenem Anbau auf den Tisch, zum Nachtisch gibt es einen köstlichen Himbeersaft.
Danziger Herrlichkeiten und Günter Grass, kleine Dörfer und Früchte aus eigenem Garten. Nicht selten ist es anstrengend, niemals langweilig, immer bin ich dankbar.