Jede Zeit hat ihre Migranten, ihr gelobtes Land, ihren Goldrausch. In Krzyz Wielkopolski / Kreuz (Ostbahn) war es die Eisenbahn, die aus einem kleinen Dorf einen "Namen" machte. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in allen Teilen Preußens Eisenbahnstrecken gebaut, und hier sollte die Verbindung Stettin-Posen nach Küstrin abgezweigt werden, die Abzweigung wiederum wurde zu einem Teil der Ostbahn, die schließlich von Berlin bis nach Königsberg und darüberhinaus führte. Aus dem winzigen "Lukatz" wurde ein großer Eisenbahnknotenpunkt, ein "Kreuz" eben.
Man darf sich das rasche Anwachsen des Ortes, bald auch die Ansiedlung von Industriebetrieben, sicherlich etwas wild vorstellen - wenn auch preußisch gemäßigt.
Heute ist Krzyz ein eher unaufälliges, ein bisschen graues Städtchen mit gut 6000 Einwohnern. Der Blick von der langen Fußgängerbrücke auf das Schienengewirr beeindruckt aber immer noch.
Nicht viele Kilometer weiter, hinter Wielen, beginnen dann ganz andere Zeugnisse einer Migration. In Folsztyn oder in Nowe Dwory siedelten einst ab dem 16. Jahrhundert die "Holländer". Eine Bezeichnung, die nicht unbedingt wörtlich genommen werden muss, auch wenn "wioski olenderskie", holländische Dörfer, der bestimmende Ausdruck geblieben ist. Denn die Menschen, die hier als "Wiedertäufer" und Mennoniten ihre religiöse Freiheit zu finden hofften, oder aber als Siedler für die Urbarmachung der sumpfigen Gebiete angeworben wurden, stammen aus den Niederlanden oder aus Flandern, konnten Friesen sein oder auch Ungarn. Auf jeden Fall waren sie überzeugt, hier ein besseres Leben als daheim zu finden. Sie blieben drei Jahrhunderte, bauten kleinteilige Siedlungen - und natürlich auch Kirchen.
"Kommen Sie nächste Woche wieder", sagt mir der Bauarbeiter, als ich vor der Absperrung an der kleinen Holzkirche in Nowe Dwory stehe, die von den Mennoniten erbaut wurde. "Heute wird imprägniert, da darf niemand hinein." So muss ich mich mit einem Blick von außen und einem Foto "gegen die Sonne" begnügen. Nächste Woche, nun ja…
Am Rande:
Die Woche fängt gut an. Die Wirtin drückt mir nach dem Frühstück ein mehr als reichliches Lunchpaket in die Hand hinein: "Sie müssen noch so weit laufen!" Ein wenig Schrecken und auch ein bisschen Mitleid liegen in ihrem Wort. Da darf ich mich auch nicht beschweren, dass ich nie das weiße Brot gewählt hätte und die Menge an Butter für mehrere Tage ausreichen würde.
Dann, es ist noch früh am Morgen, werde ich Zeuge eines Probevortrags in Englisch. Zwei Mädchen sitzen auf einer Parkbank, eine steht vor ihnen und hält ein kleines Plakat in ihren Händen. "My favourite places in London", darum geht es offensichtlich. Madame Tussauds und Piccadilly Circus gehören dazu. Das Mädchen, wohl fünfzehn Jahre alt, spricht flüssig und selbstbewusst, ihre Aussprache ist erstaunlich gut. Der Lehrer dürfte erfreut sein.