Bevor ich in Genthin aufbreche, besorge ich mir in der Bäckerei Proviant: ein belegtes Brötchen und ein Stück Mohnkuchen. Die Verkäuferin jammert nicht. Doch sie beklagt Verluste: an Arbeitsplätzen in der hiesigen Fabrik („Persil“); an jungen Menschen, die nur „im Westen“ eine Stelle finden; an Kaufkraft, die sich auch in Genthin „auf die grüne Wiese“, weg vom Zentrum, verlagert. „Dabei ist es hier eigentlich ganz schön…“
Der Weg entlang des Elbe-Havel-Kanals ist dann voller Stille, auch Einsamkeit. Bis Wusterwitz, ein Weg von etwa zwei Stunden, begegne ich einem einzigen Radfahrer, einem Dutzend Transportschiffen, ein paar Fischen, die sich für einen Augenblick aus dem Wasser herauswagen, unzähligen Vögeln. Jede halbe Stunde ist ein Zug zu hören. An der ehemaligen Schleuse von Kade eine Informationstafel, darauf auch die Aufzeichnung des Pastors Mylius aus dem Jahre 1884: „Seit vorigem Jahr (1883) arbeitet man an dem Bau einer 2ten, größeren Schleuse. Ein hochinteressanter Bau. Die Arbeiter finden reichen Lohn, doch ziehen diese Arbeiter viel fremdes Volk in die Gegend. Wer ein Zimmer übrig hat, vermietet dasselbe an fremde Arbeiter. Zum Teil sind es jedoch ordentliche, auch verheiratete Leute. Auch sind schmucke Gesellen darunter, die den Mägdelein gefährlich werden.“
Die Stille ist in Wusterwitz und in Plaue zu Ende, nicht aber die Beruhigung durch das Wasser, durch die Seen, die Havel. In Plaue ein Schloss mit einer gewundenen Geschichte. Theodor Fontane (1819-1898) hat sie in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, im Band „Fünf Schlösser“, beschrieben. Das Schloss wirkt auch jetzt noch verwunschen. Es bleibt allerdings eine Menge zu renovieren übrig.
Als ich sehe, dass ich in zwei Stunden in Brandenburg sein könnte, laufe ich weiter, zunächst auf einem breiten Fahrradstreifen entlang der B1. Laut ist es und hektisch. Dann aber geht es wieder durch ein Waldstück und durch Brandenburgs Vororte.
In Brandenburg selbst sind dem jungen Leiter der Pension „Backpacker“ wie ich sympathisch. Er selbst sei lange genug unterwegs gewesen, in Südamerika, das ihm vor allem „brutalisiert“ vorkam, in Indien, das „silly“ war, komisch und unheimlich zugleich. Wir einigen uns sofort, dass wir dankbar sein sollten, und beide schauen wir offensichtlich kurz nach oben, wenn etwas unerwartet und gut klappt. Am Morgen gibt er mir dann Obst für unterwegs. „Gut für das Karma-Konto“, sagt er grinsend.
Am Rande:
Auf dem Weg nach Plaue möchte mich eine Dame ein Stück in ihrem Auto mitnehmen. „Meiner war auch immer froh, wenn er mitgenommen wurde, und zu DDR-Zeiten fuhren ja die Busse grad wie sie wollten.“