Mit seinem Sohn zieht ein Vater auf der Straße in Richtung Küste, dorthin, wo es vermutlich wärmer ist, dorthin, wo es vielleicht mehr Licht und Lebensmittel gibt. Monatelang gehen und stolpern sie durch eine postapokalyptische Landschaft, treffen dabei kaum auf Menschen oder andere Lebewesen, und wenn, dann müssen sie sich vor ihnen in Acht nehmen. Der Guten sind nicht viele übriggeblieben.
Cormac McCarthys „The Road“, ein 2006 erschienener Roman, dem die Kritiker nicht zufällig das Attribut „von biblischer Wucht“ zuschrieben, fiel mir heute Morgen auf den ersten Kilometern ein. Nicht, dass die märkische Landschaft zwischen Grünheide und Kagel auch nur entfernt an eine Apokalypse gemahnte. Doch der breite, „straßenbegleitende“ Fahrradstreifen war so gerade wie langweilig. Und so fielen meine Assoziationen zum Ausgleich etwas wilder aus.
Später wurde die Strecke nicht viel reizvoller, aber interessant. In Lichtenow überquere ich mit der B1/B5 die einstige Reichsstraße 1, die von Aachen über Berlin nach Königsberg und weiter noch bis Eydtkuhnen an der Grenze zu Litauen führte. Diese Straße, über die Bücher geschrieben und Reportagen gedreht wurden, gibt es noch, wenngleich die Benennungen vielfach wechseln. Ich könnte ihr jetzt folgen - rein theoretisch. Und so gehe ich weiter auf meinem Fahrradweg, der möglicherweise auch einmal historisch genannt werden wird, denn es ist wieder der Europaradweg R1. Schon wenige Kilometer weiter, in Rehfelde, eine weitere geschichtliche Reminiszenz, dieses Mal an die ehemalige „Königlich-Preußische Ostbahn“, die ebenfalls bis nach Königsberg und nach Eydtkuhnen führte. Allen diesen Trassen und Namen werde ich noch begegnen.
Dann, hinter Garzau und Garzin, wo ich zwischendurch im alten Schlosspark eine riesige Feldsteinpyramide bestaune, beginnt unvermutet eine Straße aus Pflastersteinen, rechts und links von ihr schmale Fahrradwege. Ein Stückchen noch durch den Wald, und ich komme dann mit eher müden Beinen in Buckow an.
Es ist die Märkische Schweiz. Und da war doch etwas mit Bertolt Brecht und seinen Elegien.
Am Rande:
Das Paar aus Berlin-Lichtenberg, dem ich in Rehfelde begegne, verbringt seinen Urlaub im Garten und - radelnd - in den Ortschaften rund im Berlin. Nach meiner Erfahrung mit der Havel-Landschaft fällt es mir leicht, ihnen zuzustimmen, dass man erholsame, naturnahe Wochen „auch hier“ verbringen kann. Als wir auf einer wilden Obstwiese ein paar Äpfel essen, ist für einige Minuten das Glück bei uns eingekehrt. Nur die schneeweißen Gänse, die in der Nachbarschaft schnatternd ihre Runden drehen, werden, da sind wir uns einig, den nächsten Winter wohl nicht erleben.
Als ich in Buckow in einem Gasthaus ein frühes Abendessen zu mir nehme, erfahre ich von zwei Geschäftsleuten am Tisch hinter mir mehr über „Facebook-Strategien“, die Kontrolle des Fuhrparks und die Finessen der nächtlichen Computerupdates, als mir jemals lieb war. Erstaunlich, wie groß die Kluft sein kann zwischen der Theorie des Datenschutzes und der sorglosen Dampfplauderei zweier gestandener Geschäftsmänner. Das Mühlrad hinter uns aber drehte sich unverdrossen, brachte die Stunde doch noch ins rechte Lot.