Über Oskar Tietz und die "Laufpompa"

In der "Stadt mit der Wasserpumpe", Miedzychód, entschleunigt CIG-Autor Christian Heidrich beim Gang über die Uferpromenade, die 1912 von "Hertie"-Mitbegründer Oskar Tietz gestiftet worden war.

Über Oskar Tietz und die
© Christian Heidrich

In Miedzychód komme ich schon am Vormittag an und bin gleich bezaubert von dem Städtchen am „Jezioro Kuchenne“, am „Küchensee“, und von der wunderschönen Promenade um den See herum. Wasser entschleunigt, so meine stete Erfahrung, und dieser See besitzt zudem ein sehr menschenfreundliches Maß, lässt sich von allen Seiten aus gut überblicken und in einer Dreiviertelstunde umrunden.

Die Promenade, so lese ich auf einer Tafel, wurde in den Jahren 1906-1912 angelegt, das Bauvorhaben von Oscar Tietz (1858-1922) finanziert. Tietz, der Mitbegründer der „Hertie“-Warenhauskette, stammt aus diesem Ort, der bis 1945 (auch) Birnbaum hieß. Der Geschäftsmann, der mit seinen Kaufhäusern nebenbei auch die Sitte des „Anschreibens“ zum Verschwinden brachte, bleibt als Wohltäter des Städtchens bis heute in guter Erinnerung. 1912 wurde er Ehrenbürger, es gibt eine Ulica Tietza, eine Tietzstraße, und der Park am See ist nach ihm benannt.

Am „Rynek“, auf dem Marktplatz, entdecke ich noch weitere deutsche Spuren, mit denen man fast schon spielerisch umgeht. Da gibt es eine „Laufpompa“, einen arthesischen Brunnen, der 1912 zufällig entdeckt und dann gefasst wurde, an dem sich die Menschen bis heute bedienen, denn das Wasser ist reich an Mineralien wie Jod, Magnesium und Schwefel. „Miasto z pompa“ („Die Stadt mit der Wasserpumpe“), so lautet ein Werbeslogan für Miedzychód. Und auch eine „Gaska“, ein winziges Gässchen, nimmt in der Stadthistorie einen Platz ein. War sie doch nicht nur eine der wenigen direkten Verbindungen zwischen Altstadt und See, sie diente auch dem Wassertransport im Falle eines Feuerausbruchs. Eine der beiden Kirchen am Ort ist nach einem Entwurf von Karl Friedrich Schinkel gebaut worden. Wie so häufig in Polen ist die „ehemalige evangelische Kirche“ heute im Besitz der katholischen Gemeinde.

Die Stadt am See, ihre Bewohner und Besucher, machen einen entspannten Eindruck, was wohl nicht nur am Wochenende liegt. Viele Angler sehe ich, aber auch kleine Gruppen mit gut gefüllten Körben und Plastiktüten. Die Pilzsaison ist in vollem Gange.

Am Rande:
Am Ortseingang von Gorzycko, wenige Kilometer von Miedzychód entfernt, höre ich schon von weitem ein stotterndes Auto, dessen Fahrer minutenlang und unverdrossen versucht, den Motor zu starten. Als ich an ihm vorbeigehe, gibt er es gerade auf, steigt wutentbrannt aus seinem Fahrzeug, schlägt auf das Dach und schreit: „Kurwa! Kurwa! Kurwa!“. Es ist ein legendäres Wort, ein „starkes“ Schimpfwort, das zunächst eine sexuelle Bedeutung („Hure“) hat, das aber eher wie „Verdammt!“ verwendet wird. Auf der „offiziellen“ Ebene ist dieses Wort verpönt, kommt es im Kino in Filmkomödien vor, wird es belacht. Doch in Alltagsgesprächen dient es als ein Füllwort, eher gedankenlos benutzt und in allen Stärken und Variationen.
Ist „Kurwa“ ein Klassiker, so fällt mir „Masakra“ (mit stimmlosen „s“ gesprochen) erst auf dieser Wanderung auf. Das Wort verweist natürlich auf ein Massaker, und doch besitzt es - zumeist im jugendlichen Jargon - eine distanzierte, ironische Färbung. Schon ein zu dick aufgetragenes Make-up kann eine „Masakra“ verursachen, oder aber der Lehrer, der sich die Hausaufgaben einmal besonders gründlich angeschaut hat.
Am schönsten scheint mir aber „Gadu-Gadu“, Plauder-Plauder. Zwei Damen, die in Gorzów die Rolltreppe in die falsche Richtung zu nehmen versuchen, entschuldigen mit „Gadu-Gadu“ ihr kleines Missgeschick.

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