In letzter Zeit ist es ruhiger geworden um Uta Ranke-Heinemann. Das ist schade. Denn die streitwillige Theologin hat unbequeme, aber viele drängende Fragen gestellt, mit denen sie geistvoll und vital manchen Kirchenmann in Argumentationsnöte brachte. Uta Ranke-Heinemann steht noch für jene Provokation und Leidenschaft, die theologische Fragen spannend machten und zur Auseinandersetzung herausforderten. Sie gehört in die Riege jener Theologen, die für die Zeit bis vor dreißig Jahren auf der Basis hoher intellektueller Redlichkeit ihr Fach für ein breites Publikum relevant machten – was heute kaum noch der Fall ist.
Uta Ranke-Heinemann ist die Tochter des dritten Bundespräsidenten der jungen Republik, Gustav Heinemann (SPD). Ihre Mutter studierte bei Rudolf Bultmann evangelische Theologie; die kleine Uta bekam in den Ferien vom großen Neutestamentler ihre ersten Altgriechischstunden. Als junge Schülerin las das sprachbegabte und wissbegierige Kind zur Schlafenszeit mit der Taschenlampe unter der Bettdecke die Werke Dostojewskis. Wegen des Bombardements Essens lebte Uta zu Kriegsende mehrere Monate bei der Familie Bultmann in Marburg, wo sie Gefallen an der Theologie fand. Uta Ranke-Heinemann spricht ein Dutzend Sprachen. Einige erlernte sie allein, um nachprüfen zu können, ob ihre eigenen Bücher korrekt übersetzt wurden.
Im Alter von 25 Jahren trat Uta Heinemann zur katholischen Kirche über. Während des Studiums der katholischen Theologie in München drückte sie zusammen mit Joseph Ratzinger die Studierbank. Gut ein Jahr später, am 30. Dezember 1954, heiratete sie ihren früheren Essener Klassenkameraden, den katholischen Religionslehrer Edmund Ranke. Seine zurückhaltende Bescheidenheit bei hoher intellektueller Kraft und der Klang seiner Stimme zogen sie an, wie sie einmal verriet.
Uta Ranke-Heinemann war die erste Frau der Welt, die sich in katholischer Theologie habilitierte. Hauptgutachter war Karl Rahner. 1970 wurde sie die erste Professorin für Theologie. In Essen lehrte sie Neues Testament und die Geschichte der Alten Kirche. Da sie öffentlich kundgetan hatte, nicht an die Jungfrauengeburt im biologischen Sinn glauben zu können, entzog ihr der Essener Bischof Franz Hengsbach am 15. Juni 1987 die Lehrbefugnis für katholische Theologie. Uta Ranke-Heinemann berief sich ohne Erfolg auf Aussagen Karl Rahners und Joseph Ratzingers, die Jungfrauengeburt sei einzig theologisch zu sehen, und insbesondere auf den Satz des späteren Papstes in seinem Standardwerk „Einführung ins Christentum“: „Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum; kein Vorgang in der Zeit, sondern in Gottes Ewigkeit.“
In ihrem Hauptwerk „Eunuchen für das Himmelreich“, das zum Bestseller wurde, griff sie die Sexualmoral der katholischen Kirche scharf an. Neben und vor allem nach ihrer Lehrtätigkeit engagierte sie sich stark für die Entwicklungspolitik und in der Friedensbewegung. Als parteilose Pazifistin kandidierte sie 1999 für die PDS für das Amt der Bundespräsidentin. Sie unterlag Johannes Rau, der mit ihrer Nichte verheiratet war.
Der Zweifel hat einen Sinn
Am 11. September 2001, als die Welt von den Attentaten in New York und Washington erschüttert wurde, starb Uta Ranke-Heinemanns geliebter Mann Edmund. Ihm widmete sie ein Schlusskapitel in der erweiterten Ausgabe von „Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen Christentum“: „Und wenn die schwarzen Zweifel wieder kommen und Ratlosigkeit und Verlassenheit überhandnehmen, seit mich der Tod meines Mannes aus der Verankerung riss, dann hat mich in meiner Trauer über die Vergeblichkeit meiner Erforschung des Unerforschlichen Immanuel Kant getröstet, dass der Zweifel einen Sinn hat. Er sagt: Wenn wir die ‚Majestät‘ und ‚Ewigkeit‘ Gottes, des ‚Welturhebers‘, sehen und ‚vollkommen beweisen‘ könnten, würden wir zu ‚Marionetten‘ erstarren. Unser Handeln bekäme ‚den Anstrich von Zwang und abgenötigter Unterwerfung‘. Uneigennützigkeit und Selbstachtung würden Schaden leiden. Darum ist die unerforschliche Weisheit, durch die wir existieren, nicht minder verehrungswürdig in dem, was sie uns versagte, als in dem, was sie uns zuteilwerden ließ.“ Versagt wurde Uta Ranke-Heinemann ein konventioneller Glaube, geblieben sind ihr Hoffnung und Liebe. Am 2. Oktober feiert sie ihren neunzigsten Geburtstag.