Kultiviert

Wenn wir diese Zeitschrift lesen oder Opern von Richard Wagner hören, dann ist das Kultur. Was aber, wenn wir im Spätherbst die Winterreifen aufziehen? Dann ist das Zivilisation, würde der englische Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton antworten. Und damit es nicht zu einfach wird: Auch die Produktion des CIG oder die Aufführung von „Parsifal“ benötigt Zivilisatorisches, zum Beispiel in Form von Papier, digitaler Technologie oder einer geeigneten Aufführungsstätte. Diese und viele andere Formen der (Hoch-)Kultur sind nur möglich, weil unsere Zivilisation es sich leisten kann, Menschen dafür freizustellen und zu bezahlen, dass sie inspirierende, aber keinesfalls überlebenswichtige Kulturerzeugnisse herstellen.

Diese Unterscheidung ist nur eine von zahllosen anderen, die uns Eagleton in seinem so gedankenreichen wie witzigen Buch vorstellt. Klassisch ist die Entgegensetzung von Kultur und Natur. Erschreckend die Einsicht, wie schnell auch „kultivierte“ und „zivilisierte“ Gemeinschaften in die Barbarei abrutschen können. Wer sich dem Autor anvertraut, erfährt eine Menge über die Spannung zwischen der kulturellen Vielfalt und Beliebigkeit. Er kann auch darüber nachdenken, welchen Quellen die Plagen entspringen, denen wir uns ausgesetzt sehen. Dass Eagleton, der häufig als „Marxist“ tituliert wird, den berühmtesten Sohn Triers immer wieder zu Wort kommen lässt, macht die Studie noch reizvoller. Der „dissidentische Impuls“ gehört zu Kultur und Kulturkritik dazu.

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Eagleton, Terry

Kultur

(Ullstein, Berlin 2017, 200 S., 20 €)

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