PhilosophieNach Gott vor Gott

Peter Sloterdijk befragt den christlichen Glauben – frech, unkonventionell, aber originell.

Wenn ein Philosoph, der religiös distanziert und kirchenkritisch eingestellt ist, sich ins Innere der christlichen Theologie vorwagt – oder auch bloß dahin verirrt –, muss das den berufenen Gottesgelehrten nicht gefallen. Trotzdem kann die „häretische“ Herangehensweise an zentrale christliche Glaubensgehalte anregend sein. Das gilt gerade in einer Zeit, in der Gott vielfach nur noch als neuer moralischer Überwacher für ein „christliches Menschenbild“ eingesetzt wird und in der sich die Kirche in der Öffentlichkeit bevorzugt als sozialethische Werteagentur inszeniert. Peter Sloterdijk greift an, und er greift ein in seinem Aufsatz-Sammelband, der Vorträge und Teile bisheriger Buchveröffentlichungen zur religiösen Frage nebeneinanderstellt.

Ärgerlich und doch herausfordernd ist es, wenn der Verfasser zum Beispiel Jesus als „Bastard Gottes“ beschreibt, der aus seiner Vaterlosigkeit mangels eines identifizierbaren echten irdischen Vaters umso stärker einen himmlischen Vater beschwört, mit dem er sich in eins fühlt. Biblisch sei ein starker antifamilialer, antipatriarchalischer, ja antipharisäischer Zug Jesu erkennbar. Sloterdijk arbeitet heraus, dass von nun an – in einer wahren Zäsur – nicht mehr die natural-biologische Generationenfolge entscheidend sei, sondern eine geistige Generationenfolge in der Nachfolge Christi: nicht mehr vom Vater zum Sohn, sondern vom Sohn Gottes zu den Söhnen des Sohns. Weltgeschichte werde in dieser Sukzession zur Apostelgeschichte, ja Heilsgeschichte. Nur habe die Kirche das zeitweise vergessen und sich wieder familial-patriarchalisch eingerichtet.

Während die Theologie kaum mehr Bedeutendes zur Trinitätslehre, dem Verständnis der Dreifaltigkeit-Dreieinigkeit Gottes, zu sagen hat, arbeitet sich Sloterdijk daran ab, um in einem langen Durchgang durch deren Entwicklungsgeschichte aufzuzeigen, wie daraus eine starke göttliche Innenbeziehung entsteht, die das Leben der Glaubenden verändert. Sloterdijk spricht in seiner nicht selten übersteigerten Fabulier- und Jonglierkunst von einer „Wohngemeinschaft im Absoluten“. Orte Gottes seien etwas, „was es nicht einfach im äußeren Raum gibt. Sie entstehen erst als Wirkstätten von Personen, die a priori oder in starker Beziehung zusammenleben. Die Antwort auf die Frage ‚Wo?‘ lautet hier also: Ineinander.“ Die gegenseitige Durchdringung (theologisch Perichorese) mache, „dass das Lokal der Personen ganz die Beziehung selbst ist“. Auch da zeigt sich: „Die Generationen des Kirchenvolks sind Geistesgenerationen, die sich von den biologisch-kulturellen Generationen abheben.“

Allerdings folgt daraus eine Abkapselung, eine Blase, in die die anderen aus den Großgemeinschaften integriert werden sollen. Das erzeugt heftige Probleme, wenn diese Inklusion scheitert oder wenn jene, die draußen sind, gar nicht integriert werden wollen. „Nichts verkennt die Eigengesetzlichkeiten von Mikrosphären wie Makrosphären so sehr wie der Versuch, die dunkle, übervölkerte Erde im Ganzen umstandslos zu einer transparenten und homogenen Heimat für alle zu machen.“

Geist, Wahrheit, Erkenntnis – doch die Welt, wie sie als Schöpfungsraum ist, bildet einen Gegenpol. Diese Spannung durchleuchtet Sloterdijk in Auseinandersetzung mit der Gnosis, die er auseinandernimmt in eine dunkle und eine weiße Gnosis. Die eine betrachtet das Dasein als Abstieg, Verfall, ja Höllenfahrt, gebunden an die Materie, an Leib und Leid. Die andere übt sich ein in eine himmelwärts gerichtete Sicht, sucht Vergöttlichung, Theosis. Was aber heißt das für die Welt – bloß Bewahrung oder auch Umgestaltung, bloß „Arbeit im Weinberg des Herrn“ oder Überbietung der „Altschöpfung“ unter dem „Programmwort Kreativität“?

Der Titel „Nach Gott“ kann beides bedeuten: eine Perspektive nach dem Ende, dem Tod Gottes – oder eine Aufrichtung des Menschseins als Sehnsucht nach dem unmöglichen-möglichen Gott. Sloterdijk bewegt sich auf einer hochgradig mit Assoziationen angereicherten Spielwiese, auf der die Spielzüge nicht immer miteinander verknüpft sind, wo Pässe ankommen, die nicht geschlagen sind, und Pässe geschlagen werden, die nicht ankommen. Man mag seine schillernde Einmischung ins Christliche, diese eigenartige Mischung aus Unglauben und Glaubensbefragung, ablehnen. Doch gerade das erlaubt denen, die „im Innen“ sind, die Blase auch mal zum Platzen zu bringen. Jedenfalls bestätigt selbst ein Sloterdijk inmitten der Götter-, ja monotheistischen Gottesdämmerung: Nach Gott ist weiterhin vor Gott.

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Sloterdijk, Peter

Nach Gott

(Suhrkamp Verlag, Berlin 2017, 332 S., 28 €)

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