In der modernen Raumtheorie werden „Zwischenräume“ als Komponenten der Wirklichkeit diskutiert, die dem Raum erst Leben und Rhythmus schenken. Jan-Heiner Tück und Tobias Mayer legen die ersten Wiener Poetikvorlesungen vor, in denen Alois Brandstetter, Nora Gomringer, Felicitas Hoppe, Thomas Hürlimann, Christian Lehnert und Sibylle Lewitscharoff die Zwischenräume von Religion und Literatur, Kirche und Welt, Glaube und Sinnsuche erkunden. Im Mittelpunkt steht die Frage nach Gott.
Sibylle Lewitscharoff berichtet aus ihrer „Dante-Roman-Werkstatt“, die „Das Pfingstwunder“ hervorgebracht hat: Der gewaltige Sound der „Göttlichen Komödie“ wird mit der Überwindung naturgesetzlicher Trostlosigkeit verknüpft; in der Bilderwelt dieser phantastischen Jenseitsreise erkennt Lewitscharoff einen Kontrapunkt zur blassen Harmlosigkeit zeitgenössischer Theologie. Bemerkenswert ist auch der Beitrag „Teilchen. Cherubinischer Staub“, in welchem Christian Lehnert die Gemeinsamkeiten von religiöser und poetischer Rede reflektiert: Auf der Suche nach dem Anfangsimpuls dichterischer Energie stößt er auf das Schweigen, das unter den Bedingungen von Unschärfe und Unverfügbarkeit zu den Worten strömt und so einen Einblick in das Unfassbare erlauben kann. Die Einsicht „Nah ist / Und schwer zu fassen der Gott“ – von Hölderlin für seine Hymne „Patmos“ verdichtet – offenbart ein Hintergrundrauschen aus den Zwischenräumen, aus welchem sich Leben und Rhythmus schöpfen lassen.