Forschungsaufenthalte in Venedig, die Mitarbeit in der italienisch-deutschen Wissenschaftsorganisation sowie bildwissenschaftliche Untersuchungen weckten das Interesse des Historikers Bernd Roeck an der italienischen Renaissance. In „Der Morgen der Welt“ führt er seine Gedanken zu einer umfangreichen Studie zusammen.
Der Autor beschreibt nicht einfach eine Epoche von einigen Jahrzehnten im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühneuzeit zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert – mit ihren Zentren, Persönlichkeiten, Institutionen, Aufbrüchen, Leistungen und Auswirkungen. Vielmehr präsentiert er diese Epoche als Ende – und Ausgangspunkt – eines umfänglichen historischen Prozesses.
Der Autor greift auf Entwicklungen in der Antike und im Mittelalter zurück, um die in diesen Epochen liegenden Voraussetzungen für die Renaissance herauszuarbeiten. So kommen die „Grundlagen“ der Renaissance zur Sprache: „Von den Anfängen bis zur Jahrtausendwende“ und die „Entfaltung der Möglichkeiten 1000–1400“. Das dritte Kapitel als Herzstück der gesamten Publikation erläutert die „Verwirklichung der Möglichkeiten 1400–1600“. Unter dem Titel „Ausblicke – Der Westen und der Rest“ bietet der Autor eine Art Epilog.
Wenn Roeck die Grundlagen der antiken Philosophie und die Anfänge des frühen Christentums, die frühmittelalterlich-klösterlichen Schreibzentren und die karolingische Renaissance, die hochmittelalterliche Urbanisierung und die Renaissance des 12. Jahrhunderts, Dante und Petrarca, die Anfänge des mechanischen Zeitalters und die spätmittelalterlichen Grenzen des Glaubens thematisiert, geht es ihm dabei um jene Kulturangebote, an welche die folgende Epoche anknüpfen konnte.
Der Verfasser kennzeichnet die Renaissance als eine Art aufgipfelndes Synthese-Zeitalter. Er beginnt mit der Phase zwischen 1400 und 1450, mit „Künstlern und Humanisten, Kriegen und Konzilien“, und fährt mit den folgenden fünfzig Jahren zwischen Buchdruck und Wirtschaftswachstum fort. Großes Gewicht gibt Bernd Roeck den konfessionellen Differenzierungsprozessen, der Glaubensspaltung, bevor er einen Bogen von den Konfessionskriegen zum „Herbst der Renaissance“ spannt. Seine Erläuterungen enden mit Überlegungen unter anderem zur Wissenschaftsrevolution.
Die Besonderheiten der Renaissance fasst Roeck in einem eigenen Kapitel zusammen. Dabei fragt er nach deren Einzigartigkeit und Fortleben bis heute innerhalb wie außerhalb Europas.
Tatsächlich macht die voluminöse, sprachlich gekonnte und historisch ebenso perspektivreiche wie gründliche Publikation einsichtig, warum es in Europa am Übergang vom Spätmittelalter zur Frühneuzeit zu dieser einzigartigen Konzentration von weltbewegenden Ideen, herausragenden Entdeckungen und geschichtlichen Umwälzungen kommen konnte. Vor allem die hilfreiche längsschnittartige Herangehensweise eröffnet manches Aha-Erlebnis.
Wenn während der Renaissance „die Kunst der Konversation selbst als Thema entdeckt wurde“, wie Bernd Roeck unterstreicht, geht es dabei immer auch um die Möglichkeiten und die Grenzen solcher Kommunikation, ob diese als direktes Gespräch oder als indirektes Gespräch zwischen Autor und Leser erfolgt. Wenn dieser Dialog laut Roeck damals von „einzigartiger Dimension war, was Themen anbelangt“, steht sein Buch diesen Anfängen in nichts nach.