Deutliche Unterstützung für seinen Reformkurs hat Franziskus I. von unerwarteter Seite erhalten, jedenfalls wenn man von der bisherigen medialen Berichterstattung ausgeht. Der vom Papst im Amt als Präfekt der Glaubenskongregation nicht bestätigte Kardinal Gerhard Ludwig Müller hat dessen Linie eines differenzierten Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen verteidigt. Im Vorwort eines Buches, das sich gegen streng traditionsorientierte Franziskus-Kritiker wendet, schreibt Müller, es brauche in der Frage die Gabe der Unterscheidung – „jenseits einer leichten Anpassung an den relativistischen Zeitgeist und einer kalten Anwendung dogmatischer Vorschriften und kirchenrechtlicher Bestimmungen“.
Der frühere Dogmatik-Professor Müller verweist auf Situationen, in denen ein verlassener Ehepartner in die Lage gerät, „keinen anderen Ausweg zu finden, als sich einem gutherzigen Menschen anzuvertrauen“. Auch könne ein Katholik zu der Auffassung kommen, dass seine in früheren Jahren geschlossene Ehe „nicht sakramental gültig sei“ und die neue Verbindung, zumal wenn sie von Kindern und einem „in der Zeit gereiften Zusammenleben“ geprägt ist, vor Gott eine echte Ehe darstellt.
Es könne auch vorkommen, so Müller weiter, dass die Ungültigkeit der früheren Ehe kirchenrechtlich nicht bewiesen werden kann. Dennoch sei es möglich, dass die „Spannung zwischen dem öffentlichen/objektiven Status der ‚zweiten‘ Ehe und der subjektiven Schuld“ unter bestimmten Bedingungen einen Weg zum Sakrament der Buße und der Kommunion öffnet. Dieser führe über die „seelsorgliche Unterscheidung“ im nichtöffentlichen Raum.
Gott sei besonders jenem Menschen nahe, der sich „auf den Weg der Umkehr“ macht und der „beispielsweise Verantwortung für die Kinder einer Frau übernimmt, die nicht seine legitime Ehefrau ist, und der sich dennoch nicht der Pflicht entzieht, für sie zu sorgen“. Dies gelte auch für jemanden, der es „aus Schwäche und nicht aus willentlichem Widerstand gegen die Gnade“ nicht schafft, „allen Anforderungen des Moralgesetzes zu entsprechen“.
Eine „in sich sündige Handlung“ werde damit nicht legitim oder gar gottgefällig. Aber ihre Zurechenbarkeit als Schuld könne gemindert werden, wenn „der Sünder mit demütigem Herzen an die Barmherzigkeit Gottes appelliert und bittet: ‚Herr, sei mir Sünder gnädig‘“, so der Kardinal.
Allerdings sei eine abgestufte Anwendung des Kirchenrechts auf eine „konkrete Person in ihren existenziellen Lebensumständen“ in der Praxis nicht leicht umzusetzen. Das werde auch in der Betrachtung des Papstschreibens „Amoris laetitia“ oft nicht richtig erfasst. Auch wendet sich Müller dagegen, dass ein hartnäckiger Sünder „vor Gott Rechte geltend machen will, die er nicht hat“.