Einer der bedeutendsten evangelischen Theologen, der sich für eine Neuentdeckung des vergessenen Sakraments der Buße in der Beichte eingesetzt hat, war Dietrich Bonhoeffer (1906–1945). Er wusste: Es muss in der Verkündigung Raum für den Bußgedanken geben. Aber das meinte er nie gesetzlich: Von Sünde und Schuld wollte er allein im Licht des Evangeliums gesprochen wissen. „Schulderkenntnis gibt es nur aufgrund der Gnade Christi, aufgrund des Griffes Christi nach dem Abfallenden“, notierte er. In solcher Schulderkenntnis nehme der Prozess der Gleichgestaltung des Menschen mit Christus seinen Anfang. Echte Schulderkenntnis erwachse nicht aus den Erfahrungen der Auflösung und des Verfalls, sondern nur durch den Blick auf die Gestalt Christi selbst. Von ihm abgesehen sei alles Denken über den Menschen unfruchtbare Abstraktion.
Darum aber sei der Ort, an dem echte Schulderkenntnis wirklich werde, die Kirche als „jene Gemeinschaft von Menschen, die durch die Gnade Christi zur Erkenntnis der Schuld an Christus geführt worden ist“. Das zweifellos schwerfallende Aufzählen konkreter Sünden vor einem anderen, seinerseits nicht sündlosen Menschen sei dennoch „ein Angebot göttlicher Hilfe für den Sünder“. Gerade darum ereigne sich in der Beichte zugleich der „Durchbruch zur Gemeinschaft“. Wäre hier nicht manch kirchlich und pastoral Hochrelevantes neu zu entdecken?
Christus als der Gekreuzigte ist laut Bonhoeffer als Richter der Retter, der alle Schuld auf sich genommen hat, weshalb sich in der Beichte „der Durchbruch zum Kreuz“ vollzieht: Da weichen Hochmut und jede Form von Selbstrechtfertigung. Die Gemeinschaft mit dem Auferstandenen selbst macht das Geschehen der Beichte als einen „Durchbruch zum neuen Leben“ erfahrbar. Erfolgte Vergebung bedeute den Bruch mit der Vergangenheit, mehr noch: im Sinne eines Herrschaftswechsels den ansatzweisen Bruch mit der Sünde. Die Annahme, weil Gnade doch alles allein tue, könne einfach alles beim Alten bleiben, sei ein fatales Missverständnis – im Sinne der billigen Gnade „als Rechtfertigung der Sünde, aber nicht als Rechtfertigung des bußfertigen Sünders, der von seiner Sünde lässt und umkehrt… Billige Gnade ist Predigt der Vergebung ohne Buße, … ist Absolution ohne persönliche Beichte.“ Echte Buße heiße „konkrete Umkehr, Buße fordert die Tat“.
Der Umkehrruf gilt Bonhoeffer zufolge auch der Gemeinde, ja der Kirche insgesamt. Sie ist als sichtbare Kirche fehlerhaft und zum Teil auch als unsichtbare noch nicht vollkommen – mit Luther gesprochen „ein sündlich Reich“. So klagt Bonhoeffer, die Kirche habe „die Gerechtigkeit Gottes nicht so verkündigt, dass alles menschliche Recht in ihr die Quelle des eigenen Wesens sehen musste“. Sollte von diesen Überlegungen her nicht so etwas wie eine korporative Beichte liturgisch angedacht werden?
Gemeint ist hiermit nicht eine Gemeinschaftsbeichte im gewöhnlichen Sinn, sondern der konzentrierte und anlassbezogene Beichtgang verantwortlich zusammenwirkender Gremien – etwa eines Kirchenvorstands, eines Landeskirchenrats, einer Dekanatssynode, vielleicht sogar auch eines politischen Gemeinderats oder einer Firmenleitungsgruppe, sofern jedenfalls eine Einsicht in die Notwendigkeit von ganzheitlicher Umkehr, eine spirituelle Sehnsucht nach Befreiung von Schuld und der Eröffnung eines neuen Weges vorhanden ist. Anlässe dürften hinreichend gegeben sein. So könnte eine speziellere Form des vergessenen Sakraments praktiziert werden, die es erlaubt, Buße, echtes Umdenken und eine erforderliche Wende im Kraftfeld christlichen Glaubens auf der Ebene Verantwortung tragender Gruppen anzugehen.