Autobiografie Saul FriedländerDen Schreien lauschen

Der jüdische Historiker Saul Friedländer gewährt in seinem Buch "Wohin die Erinnerung führt" ungewöhnliche Einblicke in die Existenz eines Holocaust-Überlebenden.

Über weite Strecken seines Lebens hat sich der Historiker Saul Friedländer, der 1932 in Prag geboren wurde, mit dem Holocaust befasst. Während seine Eltern gegen Kriegsende von den Nazis ermordet wurden, überlebte er, weil sie gerade noch rechtzeitig ein Versteck für den Dreizehnjährigen bei französischen Ordensfrauen fanden.

Den Christen war Friedländer für seine Rettung immer dankbar. Zugleich war er der Auffassung, dass Papst Pius XII., über den er schon 2011 ein Buch mit einer reichen Quellensammlung vorgelegt hat, zeitlebens antijüdisch eingestellt gewesen sei. Im Wesentlichen nennt Friedländer dafür drei Gründe: Der Papst verteidigte nur die Interessen der Kirche und blieb daher strikt neutral. Sodann: Pius XII. wollte die Ausbreitung des Kommunismus verhindern. Ein weiterer Grund: Pius XII. selbst war antisemitisch eingestellt. Über die Einstellung dieses Papstes zu den Juden wird noch heute kontrovers diskutiert (vgl. CIG Nr. 47/2016, S. 521).

Friedländers Hauptwerk „Das Dritte Reich und die Juden“ gilt als Standardwerk, in dem er vor allem die Stimmen der Opfer zu Gehör bringt. Er hat einmal gesagt: „Wenn wir diesen Schreien lauschen, dann haben wir es nicht mit einem ritualisierten Gedenken zu tun.“ Für seine historischen Arbeiten – er lehrte vor allem an den Universitäten von Los Angeles und Tel Aviv – erhielt er viele bedeutende Preise und Auszeichnungen. Auch das vorliegende Buch dürfte bald zu den Klassikern gehören.

Es erzählt von seinem Leben in der Geburtsstadt Prag und auch von Erlebnissen in anderen Städten wie Paris oder Jerusalem. Mit fünfzehn Jahren versuchte er, mit gefälschtem Pass nach Israel zu kommen. Anschaulich schildert er seine Beobachtungen und Erfahrungen, die immer im geschichtlichen Rahmen Israels und des modernen Judentums stehen. Der Autor lässt an den Hoffnungen und Ängsten teilhaben, die Israel und das Judentum in den letzten Jahrzehnten erlebt haben. Faszinierend sind auch die Gespräche, die er mit bedeutenden Zeitgenossen geführt hat, beispielsweise mit Nahum Goldmann, dem langjährigen Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, mit dem Historiker und Sprachphilosophen George Steiner oder mit der Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan.

Erschütternd ist auch die persönlich geführte Auseinandersetzung mit dem im letzten Jahr gestorbenen deutschen Historiker Ernst Nolte, an dessen Thesen sich 1986 der vieldiskutierte Historikerstreit entzündet hatte. Nolte hatte nach Ansicht vieler Kollegen die Bedeutung des Holocaust relativiert. Er wollte einen „Schlussstrich“ ziehen.

In dem Buch schildert Friedländer ebenso bewegend die Vorwürfe israelischer Politiker an ihn, er habe sich nicht entschieden genug auf die Seite Israels gestellt, da er immer auch die Rechte der Araber verteidigt hat. Friedländer entgegnet mit folgender Bitte: „Erhebt euch gegen das Unrecht, gegen willkürliche Verfolgung, gegen die Weigerung, das Menschsein und die Rechte anderer anzuerkennen.“ Werner Trutwin

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Friedländer, Saul

Wohin die Erinnerung führtMein Leben

Verlag C.H. Beck, München 2016, 329 S. mit 26 Abb., 26,95 €

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