Paulinische Mission (39)Das ist der „König der Juden“

„Die Einwohner Jerusalems und ihre Anführer haben ihn verkannt und die Stimme der Propheten, die jeden Sabbat gelesen wird, erfüllt, indem sie ihn verurteilt haben; obschon sie keinen Grund fanden, ihn zu töten, forderten sie Pilatus auf, ihn hinzurichten; so alles erfüllend, was über ihn geschrieben steht, nahmen sie ihn vom Holz und legten ihn ins Grab“ (Apg 13,27–29).

Paulus hat den christologischen Teil seiner Synagogenpredigt in Antiochia damit begonnen, dass er Jesus als den Propheten eingeführt hat, der „das Wort dieses Heiles“ zu den Juden und Gottesfürchtigen gesandt hat (vgl. CIG Nr. 51, S. 567). Damit ist der Ton vorgegeben: Jesus verwirklicht das Heil, das Gott Israel und dadurch allen Völkern verheißen hat.

Freilich will er nicht darüber hinweggehen, dass Jesus den Tod am Kreuz gestorben ist, dass man ihn als Schwerverbrecher hingerichtet hat. Paulus ist, wie Lukas ihn reden lässt, ganz nüchtern: Verkannt, verurteilt, hingerichtet, vom Holz genommen und begraben – die Predigt klingt hier wie ein Schnelldurchlauf der Passionsgeschichte.

Vergleicht man die Worte, die Paulus hier wählt, mit der Passionsgeschichte des Lukasevangeliums, zeigt sich eine genaue Entsprechung. Der Evangelist hat ein farbiges Erinnerungsbild gezeichnet – ähnlich wie Markus und Matthäus, aber mit vielen eigenen Akzenten, die wohl auf eine eigene Überlieferung zurückgehen. Lukas zufolge geht die Initiative zur Verhaftung vom Hohen Rat aus, der von den Hohepriestern beherrscht wird, dem aber auch Älteste und Schriftgelehrte angehören. Jesus wird gefangen genommen und gefoltert. Laut Lukas kommt es nicht zu einer förmlichen Versammlung des Hohen Rats als Gericht, sondern zu einem Verhör, das mit einer – nicht juristischen, aber moralischen und theologischen – Verurteilung endet, weil sich Jesus als Sohn Gottes offenbart hat. Das Ergebnis ist der Beschluss, Jesus vor Pilatus anzuklagen, dem römischen Prokurator, der von Amts wegen für die Kapitalgerichtsbarkeit zuständig war und sich üblicherweise während des Paschafestes in Jerusalem aufhielt, um Unruhen im Keim zu ersticken.

Die Anklage gegen Jesus ist bei Lukas politischer als in den anderen Evangelien. „Wir haben herausgefunden, dass dieser unser Volk verwirrt und es abhält, dem Kaiser Steuern zu zahlen, und von sich selbst sagt, der Messias zu sein, König“, lautet die erste Anschuldigung (Lk 23,2). Da Pilatus skeptisch ist, muss nachgelegt werden. Lukas erzählt etwas später: „Sie aber insistierten und sagten, er wiegele das Volk auf, indem er lehre, angefangen in Galiläa bis hierher“ (Lk 23,5).

Volksaufwiegelung und Steuerboykott sind hochbrisante Anschuldigungen. Sie haben eine entscheidende Rolle beim Ausbruch des Jüdischen Krieges in den Jahren 66–70 gespielt, auf den Lukas bereits zurückschauen dürfte. Die Messiasfrage wird von den Hohepriestern und von den anderen Größen Jerusalems nicht verschwiegen, aber als antirömische Attacke hingestellt. In der Verurteilung Jesu als „König der Juden“ verdichtet sich dieses Komplott.

Diese lukanische Darstellung ist besonders plausibel. Der jüdische Historiker Flavius Josephus, mehr oder weniger ein Zeitgenosse des Evangelisten, überlieferte ähnliche Szenarien. Der Hohe Rat hatte eine gewisse Polizeigewalt, die Zuständigkeit für Todesurteile lag aber eindeutig und unvertretbar beim Prokurator. Eine rein religiöse Angelegenheit hätte schwerlich zu einer Verurteilung vor dem Hohen Rat geführt, aber die Mischung von Religion und Politik war explosiv. Dass die eigentliche Sprengkraft nicht im Machtanspruch, sondern im Heilsdienst Jesu liegt, wird sich noch herausstellen. Thomas Söding

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