Sei hier zugegen, und es wird gut sein / was wir hier tun: das Wort zu Herzen nehmen, / das du in Israel gesprochen hast / und uns in Jesus zu verstehn gegeben. // Dies Wort, wenn es noch lebt, sprich es uns zu, / dass wir im Hören zur Gemeinde werden.“ So beginnt das jüngste auf Deutsch erschienene Buch von Huub Oosterhuis. Sein Übersetzer, Cornelis Kok, bezeichnet es als „die dichterische summa von allem“, was der Autor in den letzten fünfzig Jahren „über Jesus gedacht, vermutet und sich vorgestellt hat“. Der deutsche Untertitel „Jesus von Nazaret nacherzählt“ setzt einen etwas anderen Akzent als das niederländische Original: „Hier aanwezig. Een Leerdicht over Jezus van Nazaret“ (Hier zugegen. Ein Lehrgedicht über Jesus von Nazaret). Das Original hätte hierzulande die übliche Allergie auslösen können, die sich gegen alles Belehrende richtet. Aber faktisch geht es um das Leben Jesu ‒ kunst- und kraftvoll erzählt, in sechzig mehr oder weniger langen Partien.
Beim Lautlesen entsteht, Schritt für Schritt, ein Porträt des Nazareners. „Dieses mehr als hundert Seiten zählende Gedicht kennt viele Geschwindigkeiten und Perspektiven, von Vogelschau bis Introspektion. Manchmal meldet der Dichter sich als Ich in der Geschichte – er betet, wundert sich, meditiert, fragt, identifiziert sich, hält Abstand“, so Cornelis Koks „Einladung“ am Beginn. Das erinnert an Dietrich Bonhoeffers Aufforderung in „Widerstand und Ergebung“: „Wir müssen uns immer wieder sehr lange und sehr ruhig in das Leben, Sprechen, Handeln, Leiden und Sterben Jesu versenken, um zu erkennen, was Gott verheißt und was er erfüllt.“
Oosterhuis hält am biblischen Urtext fest und erzählt dann in einer poetischen Sprache, die jedes abgegriffene Kirchendeutsch meidet: erschlossene Jesusgeschichte, sprachsensibel und inspirierend. Seit vielen Jahrzehnten beschenkt der Autor Suchende, Zweifelnde, Ahnende mit seinen Gebeten, Liedern, Meditationen und Texten. Als Theologiestudent, vor mehr als 35 Jahren, bin ich mit den beiden kleinen Bändchen „Ganz nah ist dein Wort“ und „Im Vorübergehn“ groß geworden, in der Übertragung von Peter Pawlowsky und Nikolaus Greitemann. „Herr, unser Herr, wie bist du zugegen“ („Heer, onze Heer“) und „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr“ („Ik sta vor U“) haben es, neben einigen anderen Oosterhuis-Liedern, nach Protesten auch ins neue „Gotteslob“ geschafft. Es sind Texte, die Gott als einen ins Wort bringen, der sich kümmert, der teilnimmt, und Jesus als Sohn, Bruder und Schicksalsgenossen. „Messianische Sehnsucht“, so Cornelis Kok, sei hier zu vernehmen. So tut sich eine andere Welt auf, jenseits der gewohnten liturgisch-sprachlichen Trampelpfade.
Ob diese Liedertexte „gemeindetauglich“ sind, war für die Buchhalter unter den Machern des neuen „Gotteslob“ zwischenzeitlich eine Frage. Und ob man Lieder eines „Ketzers“ und einstigen Jesuiten populär machen dürfe. Dabei haben die im Orden üblichen geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola, die „Exerzitien“, großen Einfluss auf das schriftstellerische Werk des Autors ausgeübt. Oosterhuis stand auch immer zu seiner Lebensgeschichte, obwohl er den Orden verließ und später heiratete.
Meditation des Lebens Jesu
Die Gemeinde derer, denen seine Texte lieb und kostbar sind, ist auch in unseren Breitengraden groß. Eben weil sie auf Ideen bringen, wie man Liturgie auch gestalten kann, jenseits einer oft steril bleibenden kirchlichen Kommandosprache. Der Kölner Theologe Alex Stock (1937–2016) verglich Oosterhuis einmal mit zwei herausragenden Dichtern jesuitischer Tradition: mit Friedrich Spee (gestorben 1635) und dem Engländer Gerard Manley Hopkins (gestorben 1889).
In dem autobiografischen Text „Von Kindesbeinen an“ beschreibt Huub Oosterhuis einmal, was ihm „Gesellschaft Jesu“, was ihm die in den „Exerzitien“ praktizierte Einübung in die Meditation des Lebens Jesu bedeuten: „Versuchen, so nah wie möglich zu ihm zu kommen, ihm zuzuhören, dich mit ihm zu identifizieren, dich in ihn zu verändern, seinen Geist einzuüben, denn du, du höchstpersönlich, musst, mit Gott weiß wem und wie vielen anderen zusammen, er werden, sein Leib in dieser Welt, seine Liebesenergie.“
Im vorliegenden Buch tritt genau diese „Annäherung“ meisterhaft zutage. Ob man das poetische Theologie oder theologische Poesie nennen will, ist letztlich egal. Was zählt, ist: Huub Oosterhuis überzeugt. Auf Anhieb.