Für die meisten Menschen hierzulande ist der Nahe Osten eine rein islamische Region. Dass es dort arabische Christen gibt, dass das arabische Christentum in der großen Bandbreite ostkirchlicher Traditionen und Konfessionsbildung weitaus älter ist als der Islam: Damit ist der Großteil der Bevölkerung nicht vertraut. Über diesen Bildungsmangel hat ein Beitrag der „Frankfurter Allgemeinen“, der sich mit der orientalischen Wiege des Christentums befasst, unmittelbar vor Weihnachten zumindest die eigenen Leser aufklären wollen. In Deutschland gibt es nur noch einen Lehrstuhl für die Wissenschaft vom Christlichen Orient, in Halle. Dieser Standort sei allein übrig geblieben, nachdem entsprechende Lehrstühle in Bonn, Tübingen und München mit dem Argument „Sparmaßnahmen“ nicht wiederbesetzt wurden. Die in Halle an der Martin-Luther-Universität lehrende und forschende armenische Professorin Armenuhi Drost-Abgarjan bedauert die weit verbreitete Unkenntnis: „Viele Menschen glauben, dass erst Missionare und Kolonialmächte das Christentum in den Orient gebracht haben. Dass diese Region vor dem Islam fast vollständig christianisiert war, ist vielen nicht bewusst.“
Fast schon zum Klischee erstarrt, werden in unserer Gegend vor allem die Kreuzzüge gebrandmarkt, um damit das Christentum insgesamt schlechtzureden und als unglaubwürdig hinzustellen. Dabei hatten im Orient längst vorher brutale muslimische Eroberungszüge das Christentum zurückgedrängt, Christen verfolgt und unterdrückt, gesellschaftlich benachteiligt. Auch wird immer wieder behauptet, dass das Christentum erst über islamische Gelehrte im 12./13. Jahrhundert die griechische Philosophie, den Aristotelismus, kennengelernt und dann in die eigene Philosophie und Theologie integriert habe. Im Orient haben christliche Gelehrte allerdings schon lange vorher griechische Texte in die dortigen Sprachen übersetzt, das Wissen antiker Philosophen und Mediziner den muslimischen Arabern vermittelt. Die orientalischen Christen waren arabische Kulturträger ersten Ranges, was selbst im dortigen Zivilisationskreis heutzutage meistens ignoriert wird, schlichtweg vergessen, verdrängt ist.
„Sich mit dem christlichen Orient auszukennen, muss Teil der Allgemeinbildung werden“, wünscht sich Cornelia Horn, die aufgrund einer Heisenberg-Professur für Sprachen und Kulturen des Christlichen Orients ebenfalls in Halle tätig ist. Die FAZ bemängelt: „In der Marginalisierung dieses Faches spiegelt sich nicht nur Ignoranz gegenüber diesem Strang christlicher Geschichte, sondern auch das geringe Gewicht, das die Politik in Deutschland der Situation der Christen in den islamischen Ländern beimisst.“ Deutlich besser stehe es um die verwandten Fächer Judaistik und Islamwissenschaften. Diese Studiengänge wurden massiv ausgebaut. „Die Judaistik ist mit 19 Professuren an 12 Standorten vertreten. Noch stärker präsent sind die Islamwissenschaften, die von 34 Professoren an 20 Universitäten gelehrt werden.“
Cornelia Horn stellt fest: „Die säkulare Gesellschaft ist am Christentum generell nicht besonders interessiert. Aber selbst in den großen Kirchen hierzulande besteht dem Orientchristentum gegenüber eine gewisse Trägheit und Gleichgültigkeit. Und für Politik und Öffentlichkeit wird Religion erst dann wichtig, wenn sie politische Brisanz entwickelt und unmittelbarer Handlungsbedarf entsteht. Das hat den Islam in den Fokus gerückt, während christliche Immigranten in dieser Hinsicht kein Thema sind.“