Unbegriffenes wegschaffen, um zum Unbegreiflichen vorzudringen – vielleicht könnte man so eine Aufgabe der Theologie umreißen. Auch das in der Bibel überlieferte Wort Gottes beinhaltet Dinge, die schwer zu verstehen sind oder gar Anstoß erregen. Der Münchner Neutestamentler Gerd Häfner möchte unnötige Stolpersteine durch eine historisch verantwortete Auslegung aus dem Weg räumen. Das Buch geht zurück auf eine Artikelserie, die von 2014 bis 2016 in dieser Zeitschrift erschien.
Weil die Texte der Bibel einer Welt entstammen, in der wir nicht mehr leben, kommt es zu Verständnisschwierigkeiten. Wer möchte sich schon mit den Fragen des Götzenopferfleischs beschäftigen, die in den paulinischen Briefen viel Raum einnimmt? Oder aber das Anstoßerregende hat tiefer liegende Ursachen, wenn die heutige Leserschaft Aussagen des Textes nicht akzeptieren will oder kann. Die völlige Gleichberechtigung von Mann und Frau sucht man im Alten wie im Neuen Testament nicht nur in den Rechtsbestimmungen vergeblich. Der ganze Themenkomplex „Ehe – Ehescheidung – Ehelosigkeit“ löst je nach persönlichen Lebensumständen große Widerstände aus. Ohne jede Vermittlung können die Aussagen nicht ins Heute übertragen werden. Und wer versteht denn die Rede vom „Sühnetod Jesu“ angemessen? Ist damit das Verständnis für die zentrale Botschaft des Neuen Testaments verschlossen? Wie umgehen mit Gewaltszenarien, mit der Rede vom nie erlöschenden Höllenfeuer oder den Erzählungen, die davon ausgehen, dass Gott Menschen verstockt, damit sie nicht zum Glauben kommen?
Im Zusammenhang gelesen, widersprechen sich etliche biblische Aussagen oder stehen in deutlicher Spannung zu anderen Texten. So ist es unmöglich, die Passionserzählungen der Synoptiker, Markus, Matthäus und Lukas, mit der Leidensgeschichte des Johannesevangeliums zu synchronisieren.
Schließlich kann das Problematische eines Textes gerade in seiner Auslegungsgeschichte liegen. Was wurde nicht alles an antijüdischen Sinnspitzen einzelnen Versen entnommen, ohne den Gesamtkontext zu beachten. Wirkungsgeschichtlich mag das die schmerzlichste Sinnlinie sein. Lehramtlich nicht minder prominent zu erwähnen ist der angemessene Umgang mit einzelnen Versen der Evangelien, in denen von den Brüdern und Schwestern Jesu die Rede ist. Wenn Paulus in seinen Briefen von der notwendigen Unterordnung unter die staatliche Gewalt spricht, so konnte das in der Vergangenheit einen mehr oder weniger blinden Kadavergehorsam fördern. Und das dann sogar religiös legitimiert?
Der Autor räumt gleich im Vorwort seines Buches ein: „Wer es liest, kann auf den Gedanken kommen, das Neue Testament sei eine Sammlung schwieriger Texte. Falsch ist der Eindruck nicht …“ Die Stärke des Buches liegt darin, dass man sich mit einer einzelnen Fragestellung konzentriert und facettenreich auseinandersetzen kann. Da gibt es viel zu entdecken. Das Buch ist mutig in seiner Zuspitzung auf die schwierigen Passagen des Neuen Testaments. Leichte Kost ist es nicht, weil es den Leser mit schwierigen Themen gerade eines biblisch fundierten Glaubens konfrontiert. Gut geschrieben ist es jedoch. Hier finden nicht nur CIG-Leser, die eine gebündelte Publikation von Häfners „Schrift“-Reihe wünschten, verlässliche Anregung, deutende Klärung und biblisch-theologische wie spirituelle Vertiefung.