Vor 27 Jahren kletterte Boris Jelzin in Moskau auf einen Panzer und hielt eine flammende Rede. Reaktionäre Kräfte – Alt-Kommunisten, Hardliner – hatten soeben den Sowjet-Präsidenten Michail Gorbatschow festgesetzt und wollten das Land unter ihre Kontrolle bringen. Das Experiment der Öffnung hin zu Demokratie und Marktwirtschaft ging ihnen zu weit. Doch Jelzin, erst wenige Wochen davor zum Präsidenten Russlands gewählt, stellte sich den Putschisten entgegen. Sein Aufruf zeigte Wirkung. In Moskau und (damals noch) Leningrad gingen Menschen für die Demokratie auf die Straßen. Das Militär schritt nicht ein, im Gegenteil: Es schlug sich auf die Seite der Demonstranten. Der Putschversuch war gescheitert, und nicht wenige meinten damals, mit der Bewältigung dieser Krise habe Russland auch die Nagelprobe auf dem Weg zur Demokratie bestanden. Die Menschen hätten sich nun endgültig für den westlichen Liberalismus entschieden. Das „Ende der Geschichte“ sei da, erklärte ein Jahr später gar der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama. Was sollte jetzt noch kommen?
Ein Vierteljahrhundert später ist in Russland von der Euphorie der Wendejahre nichts geblieben. Das Land ist bestenfalls noch eine „gelenkte Demokratie“, wie die jüngste Präsidentschaftswahl erneut gezeigt hat. Bemerkenswert ist freilich, dass das Rekordergebnis für Wladimir Putin auch ohne die zu Recht kritisierten Manipulationen und all die Propaganda zustande gekommen wäre. Es mag aus der Sicht des Westens schwer verständlich und kaum erträglich sein, doch die Russen sind mehrheitlich zufrieden mit ihrem Staatsoberhaupt. Ihnen ist vor allem wichtig, dass da einer an der Spitze steht, der für stabile Verhältnisse und einen gewissen Wohlstand sorgt. Solche handfesten Dinge liegen den Menschen näher, weil sie mit ihrem konkreten Alltag zu tun haben. Wer geht da schon für eher abstrakte Ideen wie demokratische Grundrechte auf die Straße? Da denkt auch dieses Volk anders, als wir es gerne hätten.
Solche Tendenzen gibt es derzeit aber nicht nur in Russland. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan etwa baut sein Land ganz offen zu einer Autokratie um, mit starker Zustimmung auch der Türken im demokratischen Deutschland. In China hat sich Staatschef Xi Jinping soeben mit umfassenden Befugnissen für eine „ewige Herrschaft“ ausstatten lassen. Und selbst in Europa werden demokratische Errungenschaften abgebaut: Polen beschnitt die Unabhängigkeit der Justiz massiv. All das geschieht ohne nennenswerte Widerstände. Es liegt am Westen, deutlich zu machen, dass die Demokratie nicht nur eine Schönwetterveranstaltung ist und dass Stabilität allein nicht vor Tyrannei und Elend schützt.