Mitte der siebziger Jahre zogen Kenner der Theologiegeschichte kühne Parallelen. Das sei fast so, raunten sie, wie im 5. Jahrhundert in Alexandrien und Antiochien. Damals hätten sogar die Marktfrauen lauthals darüber gestritten, ob Maria, die Mutter Jesu, nur Christusgebärerin oder auch Gottesgebärerin sei. Und heute, so fuhren sie fort, gebe es wohl keinen Pfarrgemeinderat in Deutschland, der nicht in den Werken von Hans Küng blättere, nach bestimmten „Stellen“ Ausschau halte und dann darüber disputiere, ob der berühmte Tübinger Theologe die Gottheit Jesu ausdrücklich vertritt oder die christliche Pointe lediglich wortreich umkreist.
Was an diesem überraschenden Ritt durch die Epochen einer eingehenden Prüfung standhalten würde, das war nicht entscheidend. Der Vergleichspunkt zielte ja nicht auf die Feinheiten der Dogmengeschichte, vielmehr auf die Öffentlichkeit, das Hinausgreifen von theologischen Kernfragen auf die zeitgenössischen Marktplätze. In der Tat beherrschte Hans Küng in jenen Jahren die theologische wie die publizistische Arena.
In den Bestsellerlisten
Zehn Jahre zuvor wirbelten seine Werke wie „Konzil und Wiedervereinigung“ (1960), „Die Kirche“ (1967) und vor allem „Unfehlbar? Eine Anfrage“ (1970) mächtig Staub auf in einer Gemeinschaft, die im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils um ihr Ankommen in der Moderne rang. Jetzt gelangten Küngs gewichtige, viele hundert Seiten umfassende Bücher „Christ sein“ (1974) und „Existiert Gott?“ (1978) in die Bestsellerlisten. Die Konzepte des aus Sursee im Kanton Luzern stammenden Theologen, der am 19. März neunzig Jahre geworden ist, sind nicht nur in der theologischen Fachpresse beleuchtet worden, sondern wurden auch im „Spiegel“, in der französischen Tageszeitung „Le Monde“ oder im amerikanischen „Time Magazine“ dem breiten Publikum präsentiert. Dass dabei die umstrittenen Passagen ein Übergewicht bekamen, liegt in der Natur der Publizistik. Dort geht es um geistreiche Sätze, nicht um Feinheiten. Gleichwohl waren die theologischen Kernfragen, die Küng in einem ganz eigenen rhetorischen Sprachstil entfaltete, in jenen Jahren auch in der säkularen Öffentlichkeit gegenwärtig. Welchem Systematiker ist dies seitdem gelungen? Und wirken die Gedankengebäude der heutigen Theologie nicht deswegen so heillos überfrachtet, weil die Autoren nicht davon ausgehen müssen und dürfen, dass ihr Nachdenken auch außerhalb einer schmalen Fachgemeinde wahr- und ernstgenommen wird?
Zu einem Symbol für die Bedeutung des Küng’schen Werkes, zugleich zu einem Hinweis, dass der Disput in eine Phase mit Zündstoff einmündete, wurde der 1976 erschienene Sammelband „Diskussion über Hans Küngs ‚Christ sein‘“. Merkwürdigerweise verzichtete man auf die Nennung eines Herausgebers, auch ein Vorwort fehlt. Aber die Gelehrten, die sich hier anschickten, das christologische Hauptwerk Küngs zu zerpflücken, bildeten die Elite der deutschsprachigen katholischen Theologie, der Dogmatik vor allem: Joseph Ratzinger, Walter Kasper, Alois Grillmeier, Hans Urs von Balthasar, Karl Rahner, Karl Lehmann und andere. Die Mehrheit der exklusiven, ausschließlich männlichen „Elf“ gab sich durchaus Mühe, die seelsorglichen und dialogischen Anliegen Küngs zu würdigen. Auch wurde, nicht zuletzt von den Bibelwissenschaftlern, seine Vertrautheit mit den neuesten Forschungen gelobt. Gleichwohl ließen die „Elf“ in ihrer Sicht keinen Zweifel daran, dass in „Christ sein“ vielfach Mangelhaftes, ja Ketzerisches stecke.
Ohne altbackene Scholastik
Für Küng, so Hans Urs von Balthasar (1905–1988), sei Jesus lediglich ein „Sachwalter Gottes“, was an die Bezeichnung „maßgeblicher Mensch“ des Philosophen Karl Jaspers gemahne. Die „Einzigartigkeit der Sendung Jesu“ sei freilich damit nicht gewahrt. Alois Grillmeier (1910–1998), kenntnisreicher und zugleich damaliger herausragender Vertreter der deutschen Dogmenhistoriker, bemängelte das Fehlen der klassischen christologischen „Seins- und Wesensaussagen“: „So sehr Küng mit den Bezeichnungen Jesu als des Stellvertreters und Botschafters des Vaters etwas Richtiges trifft, so ist es nur das Unterste und Abstrakteste, was zur Begründung der Bedeutsamkeit des konkreten Jesus von Nazaret gesagt wird.“
Joseph Ratzinger, der im ersten Satz des Bandes „die Weite und das Lebendige“ des Werks hervorhob, erblickte im Endergebnis eine „Theologie ohne und auch gegen das Dogma, wenn auch mit Respekt für seine geschichtliche Bedeutung“. Der Mangel von Küngs Werk gründete für ihn wesentlich darin, dass „der Christus des Dogmas weitgehend zugunsten der Rekonstruktion ‚historischer Jesus‘ abdankt“. Die Folgen für den kirchlichen Glauben konnte sich der spätere Papst nur als „verheerend“ vorstellen: „Er (der Glaube der Kirche; d. Red.) wird von seinem Fundament her der Fäulnis überantwortet; der ‚historische Jesus‘ aber hat sich, wo er den Glauben ersetzen will, noch allemal als Surrogat (Ersatz; d. Red.) erwiesen, das keinen seiner Erfinder überlebt hat.“
Dass Hans Küng von solchen Zuschreibungen und Einordnungen schwer getroffen, dass er aufgebracht und entsetzt war, das zu betonen ist müßig. Nicht nur dass man ihm keine Gelegenheit bot, innerhalb des Bandes auf die Fülle der Kritikpunkte einzugehen. Jetzt sah er sich dem Vorwurf ausgesetzt, den Boden der Rechtgläubigkeit, des Katholischseins allemal, verlassen zu haben. Solche Unterstellungen waren absurd, denn Küngs Anliegen war ja gerade gewesen, den vielen verunsicherten Christen, aber auch anderen Fragenden und metaphysisch Obdachlosen Brücken zu bauen; ihnen einen annehmbaren, ihr Leben berührenden Zugang zu den Traditionen des Glaubens aufzuschließen. „Dieses Buch ist geschrieben für alle, die sich, aus welchen Gründen auch immer, ehrlich und aufrichtig informieren wollen, um was es im Christentum, im Christsein eigentlich geht“, lautete der schlichte Eingangssatz des öffentlich beschuldigten Werks. Und einige Zeilen weiter: „Hier soll nur ohne Bekehrungseifer und theologische Lyrik, ohne altbackene Scholastik und ohne modernes Theologenchinesisch von einem, der von der Sache des Christentums überzeugt ist, eine sowohl sachgemäße wie zeitgemäße Einführung versucht werden…“
Dass dies im Wesentlichen gelungen ist, dass sehr viele engagierte Christen wie auch andere Fragende dankbar zu dem Werk griffen, darüber besteht kein Zweifel. Wie als Christ in einer Moderne leben, die alles entschieden infrage stellt, wie die Erkenntnisse der historischen „Jesus“-Forschung akzeptieren und gleichwohl das Zeitlose, den Mehrwert der christlichen Botschaft bejahen – das waren die Leitmotive von „Christ sein“. Die Vorzeichen für eine vitale, tiefschürfende Theologie „im Heute“ waren gesetzt, und entlang dieses Programms entfaltete Hans Küng auf fast 700 Seiten seine Sicht des Christentums und das – man beachte das Verbum im Titel! –, was aus ihr folgen könnte.
Jesus – er ist von anderem Rang
Blickt man eigens auf die damals so heftig umstrittenen Seiten von „Christ sein“, entdeckt man eine fortwährende Reihe von Versuchen, das historische Wirken Jesu wie den Glauben an Christus, den Erlöser, in einer verständlichen Sprache darzulegen. Die historische Person Jesus, so Küng in einer anregenden Beschreibung, passe in keines der bekannten Muster. „Er ist von anderem Rang: Gott anscheinend näher als die Priester. Der Welt gegenüber freier als die Asketen. Moralischer als die Moralisten. Revolutionärer als die Revolutionäre.“ Das ist gut ausgedrückt und bringt die ungewöhnliche Freiheit Jesu, die jeden Leser der Evangelien sogleich berührt, auf den Punkt. Und hinsichtlich der angeprangerten Vernebelung der göttlichen Würde des Mannes aus Nazaret sei hier eine der zahllosen Formulierungen Küngs angeführt: „Jesus hat in seinem ganzen Reden, Tun und Leiden, hat in seiner ganzen Person Gottes Wort und Willen verkündet, manifestiert, geoffenbart. Ja, man kann sagen: Er, in dem sich Wort und Tat, Lehren und Leben, Sein und Handeln völlig decken, ist leibhaftig, ist in menschlicher Gestalt Gottes Wort und Wille.“
Ist das zu wenig, um eine christologische Spitzenaussage wie die des Konzils von Chalkedon von 451 wiederzugeben? Sie legt fest, dass Jesus „vollkommen der Gottheit und vollkommen der Menschheit nach“ ist: „wahrer Gott und wahrer Mensch“. Ist Küngs Aussage, Jesus ist Gottes Wort und Wille, wirklich nicht „ontologisch“ genug, nicht zureichend im göttlichen Sein verankert? Ist Jesus hier, wie andere Propheten vor ihm und nach ihm, lediglich ein „Sachwalter Gottes“? Und wäre damit schon der Vorwurf eines großen, nicht zu akzeptierenden theologischen Mangels, einer Häresie gar, gerechtfertigt?
Lehrer ohne Lehrerlaubnis
Letztlich – und aus der Sicht der Institutionentheorie nicht überraschend – waren es aber weniger Hans Küngs Gedanken zu den christologischen Spitzenaussagen als seine bohrenden Anmerkungen zur Frage der päpstlichen Unfehlbarkeit, die zum Entzug der Lehrerlaubnis führten. Darauf verwies auch das gemeinsame Kanzelwort der deutschen Bischöfe 1980: „Im Vordergrund der Auseinandersetzungen steht das Wort ‚Unfehlbar‘.“ Küng hatte unter anderem in einem von manchen als „unnötig provozierend“ empfundenen Geleitwort zum Buch seines Landsmannes August Bernhard Hasler (1937–1980) „Wie der Papst unfehlbar wurde“ (1979) seine skeptischen Anfragen gebündelt.
Nichts, so führte er darin aus, sei im Sinne Roms erledigt, ganz im Gegenteil: „Mehr als zu erwarten war, ist die grundsätzliche Kritik an der neueren römischen Unfehlbarkeitslehre gedeckt durch die Schrift und die große katholische Tradition.“ Mochten ihm hier viele Kirchen- und Dogmenhistoriker folgen, so wurde Küng in einem Punkt umgehend widerlegt. „Exkommunikation, Suspension, Lehrbefugnisentzug sind aber in der neuen Unfehlbarkeitsdebatte bisher nicht vorgekommen und sind auch in Zukunft nicht wahrscheinlich“, stellte er fest. Nicht einmal ein Jahr nach dieser optimistischen Einschätzung durfte der Tübinger Theologe nicht mehr im Namen der katholischen Kirche lehren. „Professor Hans Küng“, so die römische Glaubenskongregation am 15. Dezember 1979, „weicht in seinen Schriften von der vollständigen Wahrheit des katholischen Glaubens ab.“
Die farbigen Einzelheiten der Kontroverse zwischen Hans Küng und dem Lehramt lassen sich leicht nachlesen, beispielsweise in den Studien von Robert Nowell („Hans Küng. Leidenschaft für die Wahrheit“, 1993) oder Hermann Häring („Hans Küng. Grenzen durchbrechen“, 1998). Heute, fast vierzig Jahre später, erscheint der damalige existenzielle Streit wie ein Meteorit aus einer anderen Welt.
An christologischen Streitfragen entzünden sich schon lange keine öffentlichkeitswirksamen Debatten mehr, ebensowenig wie die „Unfehlbar?“-Kontroverse noch zu erregen vermag. Die noch immer zahlreichen Veröffentlichungen über den Wanderprediger und Heiler aus Nazaret bemühen sich – durchaus im Sinne von Hans Küng! – vor allem um einen Anschluss an die heutige Lebenswirklichkeit, um eine Berührung mit der Gottesfrage, um christliche Spiritualität. Wer heute in Katechese, Predigt oder Religionsunterricht den Glauben an Jesus als den Christus weitergeben möchte, wird immer wieder auf die „Anfänge“ zurückbeordert, wird stets von neuem aufbrechen müssen und manchmal so ratlos dastehen wie die Jünger, die mit ihrem Meister vom galiläischen See bis nach Jerusalem zogen, ihm zuhörten, ihn befragten und doch niemals fassen konnten. Diese Situation prägte auch Küngs „Christ sein“, ein Werk das keinesfalls als ein Handbuch der Dogmatik entworfen war, das vielmehr die Fragenden auf dem anspruchsvollen Weg der christlichen Einübung begleiten wollte. Das war nicht nur 1974 an der Zeit.
Bleibend gültig bleibt zugleich eines der Küng’schen Leitworte: „Nach dem Neuen Testament entscheidet sich freilich das Christsein nicht letztlich mit der Zustimmung zu diesem oder jenem noch so hohen Dogma über Christus, nicht mit einer Christologie oder Christus-Theorie, sondern mit dem Christusglauben und der Christusnachfolge!“ Das ist, so die Erfahrung, eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Irdisch zumindest wird sie kein Ende finden.
Anders als manch anderer „verketzerte“ Kollege fiel Hans Küng nach dem Entzug der Lehrerlaubnis nicht ins Bodenlose. Bereits wenige Monate später wurde der prominente Theologe nach „schwierigen Verhandlungen auf verschiedenen Ebenen“ (Hermann Häring) zum Leiter eines fakultätsunabhängigen „Instituts für ökumenische Forschung“ in Tübingen bestellt. Diesem Neuaufbruch folgten mehrere Jahrzehnte höchst fruchtbarer Forschung und weltweiter Vortragsaktivität, die dem interreligiösen Dialog gewidmet waren sowie der Herausarbeitung eines „Weltethos“, das allen Religionen verbunden und verpflichtet ist.
So war es zuvörderst der beharrlichen Arbeit von Hans Küng zu verdanken, dass im September 1993 in Chicago ein „Parlament der Weltreligionen“ eine gemeinsame „Erklärung zum Weltethos“ verabschiedete. Wer mit der Gedankenwelt Hans Küngs vertraut ist, wird in diesem Dokument den Beitrag des Tübinger Gelehrten unschwer erkennen.
Der Narr und der Priester
Am 24. September 2005 kommt es in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo zu einer „brüderlichen Begegnung“ zwischen zwei ehemaligen Professorenkollegen, von denen der eine, Joseph Ratzinger, seit wenigen Monaten als Benedikt XVI. das Oberhaupt der katholischen Kirche ist. Der andere ist Hans Küng, seit 1996 emeritiert, gleichwohl weiterhin als zupackender Theologe und begehrter Gesprächspartner im interreligiösen Dialog aktiv. Soeben ist sein Werk „Der Anfang aller Dinge. Naturwissenschaft und Religion“ erschienen. Die Bezeichnung „brüderliche Begegnung“ ist wichtig und richtig zugleich. Wichtig, weil im Vorfeld des Treffens vereinbart wurde, die Streitfragen, die „damals“ zum Entzug der Lehrerlaubnis führten, nicht zu erörtern. Und sie ist richtig, weil das Gespräch – folgt man der gemeinsam herausgegebenen Pressemitteilung und auch Hans Küngs Erinnerungsband „Erlebte Menschlichkeit“ (2013) – ein freundschaftliches gewesen sei. Die großen, aber wohl letztlich nicht allzu strittigen Fragen – Religion und Naturwissenschaft, Säkularisierung, Weltethos – standen dabei im Mittelpunkt.
Darf man sagen, dass hier ein versöhnliches, ein menschliches Gespräch zwischen zwei altgedienten, epochalen Kirchenmännern stattgefunden hat? In einem einige Wochen zuvor an Benedikt XVI. gerichteten Brief erwähnt Küng das fortgeschrittene Alter beider Gesprächspartner. Und der Papst geht darauf in seinem Antwortbrief mit dem Satz ein: „Das wird es uns erleichtern, uns ganz dem Urteil des uns erwartenden Herrn zu unterstellen und nicht nach den Benotungen zu fragen, die uns von der Öffentlichkeit zugeteilt werden.“ Das Treffen war also an der Zeit. Zudem war es ein winziges Zeichen dafür, dass es jenseits der theologischen Wortklauberei eine Ebene gibt und geben muss, die um das Gemeinsame des Christseins weiß. Um das Vorläufige auch, das jedem menschlichen Tun und Rechthaben eingeschrieben ist.
Glauben mit kritischer Vernunft
Wer auf das späte Treffen des 1927 geborenen Joseph Ratzinger und des nur ein Jahr jüngeren Hans Küng schaut, der könnte an die berühmte „Priester und Narr“-Metaphorik des polnischen Philosophen Leszek Kołakowski (1927–2009) denken. In jeder authentischen Gemeinschaft, so der polnische Philosoph, gebe es die Weisen, die man als „Wächter des Absoluten“ bezeichnen könnte. Zudem gebe es Denker, die gerade das infrage stellen, was als unerschütterlich gilt und gelten soll. Es sei der ewige Gegensatz zwischen den Priestern und den Narren. Beide Charaktere, so Kołakowski, seien notwendig, um eine Gemeinschaft vor dem Auseinanderbrechen wie vor der Erstarrung zu bewahren.
Wer hierbei Hans Küng die Rolle des Narren zuteilt, der blickt auf einen Theologen, der Fragen stellt und manch Vertrautes infrage stellt. Aber Küngs Fragemodus nährt sich nicht vom Zweifel an der Wahrheit, vielmehr vom Zweifel an einem allzu selbstsicheren Besitzanspruch der Wahrheit. „Existiert Gott?“, so fragte der Theologe auf mehr als 800 Seiten. Schon die Direktheit der Frage überraschte eine Öffentlichkeit, die – nach einem Wort von Kołakowski – üblicherweise an Titel wie „Gegenwärtige Bedeutung der Religion“ gewöhnt ist. Küng scheute sich nicht, die alles entscheidende Frage zu stellen.
Geduldig befragte er die Philosophen, von René Descartes, Blaise Pascal, Immanuel Kant bis zu Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Er legte außerdem die Bedenken von Ludwig Feuerbach, Karl Marx und Sigmund Freud dar, setzte sich mit dem Nihilismus Friedrich Nietzsches und den „Alternativen“ der östlichen Religionen auseinander und selbstverständlich auch mit dem Gott Israels und Jesu Christi. Unverblümt wie die Ausgangsfrage lautete auch Küngs Antwort: „Nach alldem wird man verstehen, warum jetzt auf die Frage ‚Existiert Gott?‘ ein vor der kritischen Vernunft verantwortetes, klares, überzeugtes Ja als Antwort gegeben werden kann.“ Spricht so ein theologischer Narr? Oder doch jemand, der immer darauf bestand, Priester der römisch-katholischen Kirche zu bleiben?
Vielleicht muss man die Bildsprache des polnischen Philosophen um ein Küng’sches Element ergänzen: Der kluge Narr wird seine Narretei, seine Art des Fragens niemals absolut setzen. Er wird tief graben, vieles umpflügen, im Letzten aber immer nach den Früchten Ausschau halten. Viele dieser Früchte suchte Hans Küng nicht nur in Gelehrtenstuben darzulegen, sondern auch auf den Marktplätzen zu präsentieren. Das ist, wie es sich auch dieses Mal zeigte, nicht ungefährlich. Die „Wächter des Absoluten“ mögen es nicht, wenn ehrwürdige Bekenntnisse und Formeln ins Heutige, zum Volk hin, übersetzt werden. Aber es sind nicht die schlechtesten Zeiten für Theologie und Glauben, wenn ihre Kernfragen auf den Marktplätzen diskutiert werden. So haben wir Hans Küng für seine vielen Inspirationen und Fingerzeige, für seine klare Ermutigung zum Christsein zu danken.