InklusionAuf dem Weg zu einer Gesellschaft ohne Behinderte?

„Wir sind wahnsinnig stolz darauf, wie inklusiv und liberal wir eingestellt sind. Aber wenn es darum geht, behinderten Kindern den Weg ins Leben zu ermöglichen, tun wir als Gesellschaft alles dafür, dass dies möglichst unterbleibt.“ Diese Beobachtung schilderte der Journalist Jan Fleischhauer auf „Spiegel Online“. Niemand sage öffentlich, dass er Behinderung als Strafe empfinde, manche tilgen gar das Wort „behindert“ aus ihrem Sprachgebrauch und sprechen lieber von „unterschiedlich begabt“. Auf der anderen Seite gebe es aber Schätzungen, wonach sich neun von zehn Frauen für eine Abtreibung entscheiden, wenn sie erfahren, dass ihr Kind behindert zur Welt kommen wird. „Das ist das düstere Geheimnis der Abtreibungszahlen.“

Genau kenne man die Statistiken aber nicht, weil weder die Zahl der Kinder erhoben wird, die an Fehlbildungen leiden, noch die aufgrund einer ungünstigen Prognose eingeleiteten Schwangerschaftsabbrüche. „Man muss fast den Eindruck gewinnen, dass wir es gar nicht so genau wissen wollen, so schlecht ist die Datenlage.“ Nach Ansicht Fleischhauers zeigt sich hier der Einfluss der Pränataldiagnostik, die heute zum Standard frauenärztlicher Beratung gehört, auf die Zahl der Kinder, die abgetrieben werden.

Die Grünen-Politikerin Corinna Rüffer fordert nun eine ethische Debatte über den umstrittenen Bluttest zur frühzeitigen Erkennung des Down Syndroms, von Trisomie 21. Bevor der Test zur Leistung der Krankenkassen werde, müsse man wissen, wie viele Frauen ihr Kind abtreiben, wenn die Wahrscheinlichkeit auf einen Gendefekt hoch ist. „Ich möchte sicherstellen, dass keine Entscheidungen getroffen werden, ohne dass mögliche Folgen politisch bewertet werden“, erklärte die behindertenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.

Seit 2012 ermöglicht der Test, per Blutuntersuchung bei der Mutter festzustellen, ob das Kind wahrscheinlich mit einem überzähligen Chromosom Nummer 21 zur Welt kommt. Bis dahin war dies nur über eine Fruchtwasseruntersuchung möglich, bei der das Risiko für Fehlgeburten allerdings hoch ist. Bislang müssen werdende Eltern die Kosten für den 200 bis 500 Euro teuren Bluttest selbst zahlen. Ob die Krankenkassen die Kosten künftig übernehmen müssen, prüft derzeit der Gemeinsame Bundesausschuss.

In Dänemark wird allen Schwangeren seit 2005 ein Screening-Test auf Down-Syndrom angeboten. Ein Jahr nach dessen Einführung habe sich dort die Zahl der Lebendgeburten von Kindern mit Down-Syndrom halbiert. Corinna Rüffer befürchtet einen unbeabsichtigten „schleichenden Prozess“ hin zu einer Gesellschaft ohne Menschen mit Behinderungen.

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