Juden und ChristenDer berüchtigte Judas-Kuss

An Judas haben sich Menschen immer gerieben. Er ist ein eifernder Jesusjünger, Enttäuschter, Verräter. Der Schriftsteller Amos Oz hat ihm die bewegende Schrift "Jesus und Judas" gewidmet.

Ich wusste es nicht: Amos Oz, geboren als Amos Klausner, der bekannte israelische Schriftsteller, ist der Großneffe von Joseph Gedaliah Klausner (1874–1958). Der Pionier der jüdischen Leben-Jesu-Forschung wurde bereits von Albert Schweitzer in dessen „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“ gewürdigt. 1917 von Odessa über Vilnius nach Palästina ausgewandert, lehrte Klausner an der Hebräischen Universität in Jerusalem Literatur. Seine zwei Jesus-Bücher („Yeshu han-Nazri“, 1922; deutsch: 1930, und „Mi-Yeshu ad-Paulos“, 1951) waren äußerst umstritten, bei konservativen Juden ebenso wie bei konservativen Christen.

Dass sich ein Jude überhaupt mit Jesus beschäftigt, war seinerzeit bereits ein Skandal. Den Nazarener als unangepassten, rebellischen Rabbiner zu zeichnen, erst recht. „Wenn Juden und Christen gleichermaßen unzufrieden sind“, so der trockene Kommentar Klausners, „habe ich wahrscheinlich alles richtig gemacht.“

Mit dieser Erinnerung an den älteren Bruder seines Großvaters Alexander begann Amos Oz am 25. Mai 2017 in Berlin seinen Vortrag über „Jesus und Judas“. Anlass war die Verleihung des Abraham-Geiger-Preises 2017 während des Evangelischen Kirchentags. Der Text ist jetzt auf Deutsch nachzulesen. Er trägt den Untertitel: „Ein Zwischenruf“.

Von Joseph Klausner hat Amos Oz gelernt, dass Jesus „einer von uns, einer unserer großen Lehrer, einer unserer bedeutendsten Moralisten, einer unserer größten Visionäre“ war. Ein Schock für den Jüngeren. Denn diese Erkenntnis widerstrebte so ziemlich allem, was man Oz in der Schule, wo das Neue Testament ein absolutes Tabu war, über „diesen Menschen“ beigebracht hatte. Erst mit sechzehn, im Kibuz Hulda, begann er heimlich abends in der Bibliothek die Evangelien zu lesen, während die anderen Sport machten oder Mädchen nachstellten – „doch ich fand Trost bei Jesus“.

Auch wenn er „jede Menge Dissens“ zwischen Jesus und sich feststellte, verliebte er sich in Jesus – rieb sich aber immer schon an der Geschichte vom Verrat an Jesus mit dem berüchtigten Judas-Kuss: „Es war einfach eine jämmerlich schlecht geschriebene Story à la Hollywood mit einem typischen Schurken aus einem drittklassigen Hollywood-Schinken.“ Judas als „der ultimative Verräter“, damit wollte sich Amos Oz nicht abfinden. Auch deswegen nicht, weil sein Vater Yehuda (Judas) hieß, genau wie sein Sohn mit zweitem Vornamen.

Viele Menschen würden „Jude“ und „Judas“ synonym verwenden und nicht unterscheiden können, was zu „hasserfüllten Verallgemeinerungen“ geradezu einlade: „In meinen Augen ist die Geschichte von Judas in den Evangelien gleichsam das Tschernobyl des christlichen Antisemitismus der vergangenen zweitausend Jahre. Die Geschichte verseucht das Verhältnis zwischen Juden und Christen seit Jahrtausenden, indem sie die Juden zu Opfern und die Christen zu Tätern macht.“ Man landet dann bei der polemischen Formel: „Alle Juden sind Judas: Verräter, Gottesmörder, habgierige Betrüger.“

War Judas also ein Opfer einer unseligen Kette von Verschwörungen, Verallgemeinerungen und Feindbildern? „Judas hat den Fehler eines Fanatikers gemacht“, so Amos Oz: „Er wollte die Erlösung, sofort, um jeden Preis. Er konnte nicht warten… Und damit hat er zuviel verlangt.“ Freundschaft, Liebe, Loyalität – es hat den zutiefst Enttäuschten zerrissen. Er erhängte sich.

Oz’ Rede geht unter die Haut. Die Bibelstellen, auf die er sich in seinem „Zwischenruf“ bezieht, sind im Anhang an die Rede in der Übersetzung von Fridolin Stier abgedruckt (und transportieren damit indirekt antijüdische Klischees). Umso wichtiger das Nachwort des Rabbiners Walter Homolka vom Abraham-Geiger-Kolleg der Universität Potsdam. Er bescheinigt Amos Oz, eine Brücke zwischen der jüdischen Jesus-Rezeption des 19. und des 21. Jahrhunderts zu bauen. Und er lässt christliche Leser mit einer Frage zurück: „Werden Christen und ihre Kirchen in der Lage sein, diese Verortung Jesu und seine Heimholung in die jüdische Schicksalsgemeinschaft zu respektieren und in ihre Rede von Jesus, in ihre Christologien einzubeziehen?“ Andreas R. Batlogg

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Oz, Amos

Jesus und JudasEin Zwischenruf

Patmos Verlag, Ostfildern 2018, 96 S., 12 €

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