Dass Michel Onfray Religionen ablehnt, verwundert nicht. Der Philosoph und Atheist sowie Gründer der Volksuniversität Caen hat eine – hierzulande kaum wahrgenommene – „Gegengeschichte der Philosophie“ (Grasset, 2006–2013) vorgelegt, die den Atheisten und Agnostikern gewidmet ist. Jetzt befasst er sich in einem wortgewaltigen Ritt durch die Kirchen- und Kulturgeschichte mit dem Untergang des Christentums. Seine These: Die jüdisch-christliche Kultur verschwinde, weil die sie begründende Religion ein ideologisierter Mythos sei. Jesus habe zwar noch immer mehr als zwei Milliarden Anhänger, aber „eine kollektive Halluzination bleibt auch dann eine Illusion, wenn sie die breite Masse befällt“. Jesus sei ein bloß als Lehre auf dem Papier lebender Logos, dem scheinbare Konkretheit und Realität verliehen wurde, teilweise mittels subtiler, oft aber auch offener Gewalt. Jesus als idealisierter Wertevermittler – damit rennt Onfray bei den meisten Zeitgenossen offene Türen ein.
Das Christentum habe lange Zeit wachsende Bevölkerungszahlen erreicht und sei – mittels der Verflechtung von Religion und Staat – zu einer weithin beherrschenden Ideologie geworden. Postchristlich herrschten jedoch kapitalistischer Liberalismus und Konsumismus vor. Der demografisch kraftvolle Islam besetze Werte wie Familie und Gemeinschaft und sei mit seinen radikalen Auswüchsen auf dem Vormarsch: „Wer wollte heute sein Leben geben für Konsumgegenstände, die zu Kultobjekten der kapitalistischen Religion geworden sind?“
Die Lektüre ist teilweise schwer zu ertragen. Wer jedoch die antireligiösen Allgemeinplätze und eine gewisse Selbstgefälligkeit hinzunehmen weiß, dem blüht ein philosophisch, theologisch und historisch lesenswertes atheistisches Panorama des Christentums.