Was ist, wenn der Homo sapiens vergeht, der Planet Erde aber weiter besteht? Was ist der Mensch, wenn er nicht mehr ist – und Gott? Woher überhaupt kommt Gott? Was, wer „schuf“ ihn vor aller Zeit? Für derart allerletzte Fragen ist ein Katholikentag nicht gemacht. So tauchten sie auch eher am Rand auf. Selbst der Biologe und Theologe Ulrich Lüke, der gerade den Fall Galilei weniger als Konflikt zwischen Glauben und Wissen denn als innerkirchliches Macht-Intrigen-Spiel erläutert hatte, geriet ins Stolpern. Würde die Evolution womöglich mit Kakerlaken weitergehen? Er hoffe das doch nicht und setze seine Hoffnung auf die menschliche Reife, die Welt nicht zu zerstören.
Trotz mancher Bedrohungsszenarien war der Münsteraner Katholikentag positiv gestimmt. Die Pilger, die zu solchen Großveranstaltungen ziehen, sind ja ohnehin fast alle kirchlich engagiert. Sie suchen da nicht allzuviel Problematisches, im Glauben schon gar nicht, sondern Bestärkung. „Gemeinschaft“ wählten die allermeisten bei einer Smartphone-Abstimmung gleich zu Beginn in der Stadt des Westfälischen Friedens, in der vor 370 Jahren der vor 400 Jahren erweckte Dreißigjährige Krieg nach unvorstellbaren Grausamkeiten und langen, mühsamen Verhandlungen beendet wurde.
Wenn der Himmel ausfällt
Beten, Feiern, Flanieren, Schauen, Zuhören, Genießen, fremde Leute treffen oder alte Bekannte, sich gegenseitig im Christsein bestärken – darauf richtet sich die Sehnsucht solcher Tage. Es soll eine Auszeit sein vom Alltäglichen, auch von der wöchentlichen Heimatkirchenroutine. Dass ein Katholikentag, ein Kirchentag vor allem diskutiere, gehört zur stets von den Veranstaltern ausgestreuten und medial weitertransportierten Floskel. Aber letzten Endes geht es doch mehr um Harmonie, selbst wenn einige wenige auf einem Podium mal miteinander „streiten“. Das aber, bitteschön, ganz sanft. Das Volk bleibt – bis auf wenige Ausnahmen – andächtig, applaudiert mal mehr, mal weniger.
Manchmal versucht ein Katholikentag auch Trauerarbeit, Trost. So durfte auch in Münster jeder Teilnehmer feststellen, dass doch noch mehr zu einem Gottesdienst, zum Miteinander-Beten und Miteinander-Singen kommen können, als man es zuhause erlebt. Der Paulusdom in Münster musste häufig geschlossen werden, um des Andrangs Herr zu werden. Beim ökumenischen Gottesdienst mit der auch im liturgischen Gewand geradezu hochkirchlich-„katholisch“ auftretenden Erzbischöfin Antje Jackelén aus Uppsala mussten sogar besonders viele draußen bleiben. Lange Schlangen harrten vor den Veranstaltungsorten nicht selten stundenlang aus, um ein Plätzchen zu ergattern. Denn so viele Dauerteilnehmer (um die 50000) und zusätzliche Tagesgäste (an die 20000) hatten die Katholikentage seit dreißig Jahren nicht mehr erlebt. Nicht zu übersehen war aber auch, dass sehr viele aus dem Nahbereich des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, aus dem Rheinland und aus dem nordwestlichen Niedersachsen kamen, aus einer Welt, in der der klassische Verbands- und Vereinskatholizismus, der im 19. Jahrhundert die Katholikentage als Generalversammlung begründet hatte, noch stärker ist als in vielen anderen Regionen Deutschlands. Aus dem „katholischen“ Bayern hingegen waren nur sehr wenige angereist.
Die wohl meisten Katholikentagsbesucher treibt die Sorge um, dass es mit der Kirche, dem Christentum in diesem Land abwärts geht. Was ließe sich dagegen tun? Der Mainzer Theologe Jan Loffeld verwies auf desaströse Zahlen und Trends, dass zum Beispiel um die achtzig Prozent der Europäer zwischen achtzehn und 34 Jahren erklären, ohne Gott sehr wohl glücklich leben zu können. „Der Himmel fällt aus.“ Je jünger und städtischer, umso größer ist die Gleichgültigkeit gegenüber jedwedem Religiösen. Loffeld erwähnte eine Wortschöpfung des Prager Theologen, Religionsphilosophen, Soziologen und Psychologen Tomáš Halík: „Apatheisten“. Das bezeichnet die Vielen, die keine Forderungen mehr an die Kirche richten, weil sie ihnen völlig egal ist. Auch Reformen im Christentum interessieren sie schlichtweg nicht mehr. Sie wollen zwar zum Beispiel bei der Hochzeit eine Liturgie „mit allem Brimborium“, aber ohne Bezug zum Glauben. Beziehungen, Haus bauen, Karriere planen – das alles ist viel wichtiger im Leben. Was soll ein Pfarrer machen, wenn er ein Paar auf dessen dringlichsten Wunsch hin traut, dieses aber – so geschehen – wenige Wochen nach dem Event aus der Kirche austritt?
Macht die Kirche etwas falsch, muss sich die Kirche anders und besser auf die „selbsttranszendenten“ Bedürfnisse gottfreier, aber dennoch existenzieller Art einlassen? Eine Art Religionssystem ohne Gott aufbauen? Kirche als große Lebensberatungsagentur, wie es in Amerika längst gang und gäbe ist, aber auch dort mit begrenztem Erfolg, wie die Glaubensabbrüche in der jüngeren Generation belegen?
Der Bochumer Pastoralforscher Matthias Sellmann verlangt einen Perspektivwechsel. Wer über Gott sprechen will, müsse sich eben auf die Leute einlassen, auf deren vorrangige Fragen nach Beruf, Familie, Beziehung, Hausbau – und eben auch Tod. Das sei der Job, den die Kirche bisher nicht hinreichend erfülle. Der Therapeut und Organisationsberater Valentin Dessoy ist davon überzeugt: „Die Art, wie wir Kirche leben, wird definitiv zu Ende gehen.“ Aber es gibt einen Konservativismus, der sich sicher im Sattel glaubt, beobachtet der Hamburger Erzbischof Stefan Heße: „Gemeinden wollen in aller Regel immer so weitermachen wie gehabt.“ Im Unterschied zur Beraterzunft ist er allerdings der Ansicht, dass es auch nicht weitergeht mit einer Servicekirche, in der man sich holt, was man braucht, was einem gerade gefällt.
Christsein ohne Auferstehung?
Die Betriebswirtin Ursula Hahmann, beruflich aktiv in der Werbebranche, ermutigte zu neuen Blickweisen. Sie selber macht gute Erfahrungen mit sehr eigenen experimentellen Gottesdiensten, die die unmittelbare existenzielle Situation der Menschen persönlich ansprechen. So sei ihr Karfreitagsgottesdienst weitaus besser besucht als der übliche an Heiligabend. Man müsse die Leute schlichtweg lieben, wie sie sind, auf sie zugehen, schauen, was sie brauchen, wollen, was ihnen hilft.
Loffeld vermutet allerdings ein grundlegenderes Problem, das allein durch mehr kirchliche Beziehungsarbeit nicht zu bewältigen ist: eine epochale Relevanzkrise des Evangeliums, einen gravierenden Bedeutungsverlust des Österlichen, des christlichen Kerns Auferstehung. Die Menschen haben nicht mehr die Erlösungsbedürftigkeit, endgültig befreit zu werden von Sünde und Tod. „Der Himmel ist nicht wirklich der Sehnsuchtsort, worauf es zugeht.“ Stattdessen werden die irdischen Dinge himmlisch aufgeladen. Ohne Erlösungsgedanken gemäß dem Evangelium aber fällt das Christentum in sich zusammen. Es brauche sehr wohl eine „Bekehrung zum Evangelium“.
Ratschläge eines Unternehmers
Wovon aber erlösen? Der Grazer Theologe Rainer Bucher sagte es provokativ: „von der Gnadenlosigkeit des Spätkapitalismus“. Gott sei ein „wirkliches Gegenmittel gegen die Versuchungen und Verführungen der Gegenwart“, die sich sogar „in die eigenen tiefen religiösen Sehnsüchte einschleichen“. Woraufhin leben wir? Welches Leben ist das wahre Leben?
Interessanterweise hat ein Mann der Welt, ein erfolgreicher Unternehmer der Textilbranche, Wirtschaftsethiker und Kunstsammler, genau das thematisiert. Thomas Rusche beobachtet an seinen eigenen Kindern, wie sie dem Spiel der Zweckrationalität unterworfen sind: tolle Abschlüsse machen, viel Geld verdienen wollen, Karriere planen, die gewaltigen Veränderungen des durch und durch digitalisierten und globalisierten Wirtschaftsbetriebs mitgestalten… Und dann die bange Frage: Schaffe ich das überhaupt, bin ich dem gewachsen?
Eigentlich müsse man da doch innehalten und auf das verweisen, was im Leben noch wichtiger ist, zum Beispiel die Ehe, zum Beispiel ein spirituelles Leben, das sich von Gott getragen weiß und nicht einfachhin dazu instrumentalisiert wird, im Beruf noch besser zu funktionieren, für die Bilanzen noch erfolgreicher zu sein. Es brauche ein „Leerwerden“ gegen die Rationalitäten der Welt. Doch der Unternehmer ist ebenso Realist. Mit der Bergpredigt oder dem franziskanischen Liebesethos könne man weder eine Fußball-WM gewinnen noch einen Betrieb führen. In der Spannung zwischen Notwendigkeit und Freiheit gebe die christliche Spiritualität sehr wohl Halt, sogar in der Menschenführung. Das Christentum sei in erster Linie eine Beziehungsreligion, in der man klarmachen könne, wofür man in einem Unternehmen, in der Familie, im Beruf und in der Kirche steht.
Vielleicht sollte sich das kirchliche Leitungsamt bis zum Pfarrer vor Ort doch mehr Erfahrung bei den erprobten Christen der Welt einholen. Zum Beispiel bei demokratischen Prinzipien echter Teilhabe und Mitbestimmung. Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert sprach es an: Zwar wird in der katholischen Kirche immer wieder die Synodalität im Mund geführt, aber: „Ich kann eine im echten Sinn gelebte Synodalität nicht feststellen.“ Denn zum Beraten gehört das Mitentscheiden und die Akzeptanz eines Mehrheitsprinzips. Zwar könne man über Wahrheiten der Religion nicht abstimmen. Dieses Argument müsse jedoch oft dafür herhalten, Gläubige für unmündig zu erklären. Die religiöse Orientierung gewinne durchaus an Bedeutung, vermutet Lammert. „Aber die Leute suchen diese nicht mehr bei ihren Kirchenführern.“ Beispielhaft verwies der erprobte Parlamentarier auf den Kommunionstreit in der deutschen Bischofskonferenz, wo eine deutliche Minderheit den Entschluss der großen Dreiviertelmehrheit auszubremsen versucht, den evangelischen Partner in einer konfessionsverbindenden Ehe unter gewissen Bedingungen zum Empfang der eucharistischen Gaben zuzulassen.
Der Katholikentag sei „hochpolitisch“ gewesen, lautete das Resümee der Veranstalter. Ist es aber schon „politisch“, wenn das Volk frenetisch applaudiert, sobald mal mit einer kritischen Bemerkung der Name Trump fällt? Politisch wäre es, wenigstens zu verstehen zu versuchen, warum Israels Regierung mit breitester Zustimmung im Volk die Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran begrüßt, obwohl oder weil doch gerade jene Nation anders als Deutschland am meisten betroffen wäre, so oder so. Hat Jerusalem-Tel Aviv siebzig Jahre nach der Staatsgründung eventuell doch gute Gründe, der Funktionsfähigkeit des Vertrags mit Teheran zu misstrauen? Und ist es schon „politisch“, wenn fast „alle“ gegen die AfD sind und nicht einmal einen Vertreter dieser Partei bei einer Veranstaltung mit den Religionsbeauftragten der anderen Parteien ertragen wollen? Dass bei Katholiken- wie Kirchentagen ganz selbstverständlich auch Atheisten auftreten und solche, die einer Nachfolge-Partei der SED angehören, die einst Christen gnadenlos diskriminiert und Oppositionelle verfolgt hat, war anscheinend noch nie ein großes Problem. Aber da gäbe es ebenfalls sehr viel Menschenverachtung aufzuarbeiten.
Der Paulus-Nachhall Kreuz
„Gerechtigkeit und Frieden küssen sich“. Dieses Bildnis des Malers Theodor van Thulden (1606–1669) in Anlehnung an Psalm 85 ist in der großen Münsteraner Friedensausstellung zu sehen. Zwei weibliche Figuren umarmen sich, einander innigst zugeneigt. Auch der Katholizismus der Katholikentags-Katholiken scheint wieder die alte, traditionelle Nähe zwischen CDU und katholischer Kirche aufzufrischen. Die Beifalls-Umarmungen mit der Bundeskanzlerin deuten das an. Die CDU-Merkel ist gut; die in vielen Fragen wie Migration, Integration, Islam kritischere CDU-Spahn dagegen ist nicht so gut. Ganz böse aber schien zumindest beim Münsteraner Publikum die CSU-Söder zu sein. Und Seehofer sagte mit vorgeschoben wirkenden Gründen seinen Auftritt ab.
Dass ein bayerischer Ministerpräsident mit dem Aufhängen eines Kreuzes in Behörden ein Bekenntnis ablegen möchte für das Christliche, das die Kultur dieses freiheitlichen Staatswesens, dieser freiheitlichen Gesellschaft wie auch die Kultur von Politik und Verwaltung hervorgebracht hat und durch Christen weiterhin konstituiert, stößt seltsamerweise in der Christenheit der Bundesrepublik – nicht der von Bayern – auf wenig Gegenliebe. Handelt es sich dabei womöglich um einen Nachhall des Philipperbriefs, der ja schon seinerzeit das Provokant-Prophetische des Christus-Kreuzesgeschehens zwischen Entäußerung und Erhöhung beschrieben hatte? Und um einen nicht minder tragischen Nachhall des ersten Korintherbriefs, in dem Paulus scharf, aber klar formuliert: den Juden ein Ärgernis, den Heiden eine Torheit, den Berufenen aber Gottes Kraft und Gottes Weisheit? Ein Katholikentag hätte da zu einem kritischeren Nachdenken Anlass geben können, kritisch auch gegenüber den Kritikern des Kreuzerlasses in der eigenen Kirchenleitung, im amtlichen Laienkatholizismus wie in den Medien.
Die Sozialdemokratie fristet katholikentagsmäßig inzwischen ein Schattendasein. Trotz des Auftritts des über allen Parteien stehenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier wirkt sie wie abgetaucht. Für die grünen Einsprengsel scheinen die Katholiken hingegen etwas empfängnisbereiter zu sein. Das Zustimmungs- beziehungsweise Ablehnungsbarometer signalisiert gewisse Druckverhältnisse im Kirchen-Kernpublikum, das zwar für politische Mehrheiten nicht mehr ausschlaggebend sein mag, völlig belanglos aber auch nicht ist.
Redet Wahrheit!
Beim Münsteraner Treffen hätten die deutschen Katholiken beweisen können, wie sehr sie die verfolgten Glaubensgeschwister lieben, die schwer unter dem islamischen Radikalismus leiden. Doch wurde im Harmoniedrang gegen „Islamophobie“ weder bei großen offiziellen Reden noch bei Predigten das dschihadistische Problem klar und deutlich benannt. Auch kamen kaum Zuhörer zu einer größer geplanten Veranstaltung, die auf die entsprechenden Weltgegenden schaute. In der viele tausend Menschen fassenden Halle des Kongresszentrums verloren sich um die 150 Personen, als die Dominikanerin Nazik Khalid Matty aus dem Irak über die dramatischen Geschehnisse in der Ninive-Ebene sprach, über die Art, wie die muslimischen Nachbarn von einst sich rasch das Gut der geflüchteten Christen aneigneten und wie die Regierung auch weiterhin überhaupt kein Interesse daran hat, den gebliebenen oder zögerlich zurückkehrenden Christen Recht und Gerechtigkeit zu verschaffen. „Dass wir als Ungläubige betrachtet werden, ist unsere alltägliche Erfahrung.“
Bezeichnend auch, wie der Botschafter Pakistans in Deutschland, Jauhar Saleem, versuchte, mit Fakebotschaften aus seiner Heimat die realen Probleme zu verschleiern, zum Beispiel die Blasphemiegesetze, die das Land ja nur zum Schutz der Religionen von den früheren Kolonialherren übernommen habe. Und wann kommt endlich Asia Bibi frei, jene Christin, die seit Jahren zum Tode verurteilt ist, weil sie angeblich den Islam beleidigt hat? Asia Bibi werde beim Obersten Gerichtshof, wo das Verfahren ansteht, Gerechtigkeit widerfahren, gab sich der Botschafter beschwichtigend zuversichtlich. Da aber platzte Volker Kauder, dem CDU-Fraktionsvorsitzenden, der mit am intensivsten darauf drängt, die Religionsthemen in die Außen- und Entwicklungspolitik einzubeziehen, der Kragen: Solche Worte höre er aus dem Mund des Botschafters schon seit acht Jahren. Aber nichts geschieht. Die Wahrheit sei doch, dass sich keiner der obersten Richter traut, einen Freispruch auszusprechen, aus Furcht, dann selber das Urteil nicht zu überleben. „Solange Pakistan nicht die Kraft hat, die Blasphemiegesetze abzuschaffen, wird sich nichts ändern für die konkrete Situation der Christen.“ Als es spannend wurde, versuchte die Moderatorin rasch, die Konfrontation abzuwenden. Selbst bei Katholikentags-„Diplomatie“ und „Dialog“ darf die Wahrheit anscheinend nicht allzusehr den „Frieden“ stören. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, Vorsitzender der deutschen Kommission von Justitia et Pax, sagte: „Das Schlimmste ist das Schweigen, das Gefühl von Christen, vergessen zu sein.“
Hier hat der Münsteraner Katholikentag samt seinen Besuchern eine große Chance vertan. Redet Wahrheit – auch wenn es unbequem ist! Leider waren die zeitgleichen dschihadistischen Attentate in Paris sowie gegen Christen auf Java mit etlichen Toten ebenfalls kein Anlass zu einer klaren öffentlichen Solidaritätsbezeugung mit den Glaubensgeschwistern, ausdrücklich etwa beim Abschlussgottesdienst. Suche Frieden! Welchen Frieden, wenn es einem selber friedlich sehr gut geht?
Das Leitwort sei hochaktuell, hieß es. Kein Wunder: Es ist immer aktuell, weil immer irgendwo Krieg ist. Und wenn es im Kontext der Migrationsbewegungen, des einwandernden Islam mit seinen vielen Facetten von friedlich bis hochmilitant keine Probleme und keinen Grund zum Fürchten gibt – warum lagen dann schon bei der Eröffnung des Katholikentags vor dem Dom Scharfschützen auf dem Dach des Westfälischen Landesmuseums, warum morgens das intensive Absuchen von Veranstaltungsorten mit Sprengstoff-Spürhunden, warum die dicken Barrieren zum Absperren der Straßen, warum das penible Durchsuchen von Taschen und Rucksäcken vor Einlass in die Veranstaltungen…? Selbst in der Hoch-Zeit des RAF-Terrorismus 1978 beim Freiburger Katholikentag war es – abgesehen vom Schlussgottesdienst mit Kardinal Höffner und Bodyguards beim Einzug an seiner Seite sowie Scharfschützen auf dem Dach der alten Messehalle – nicht derart streng. Sind die heutigen Zeiten angesichts des Radikalislam also doch gefährlicher als die damaligen des Linksextremismus?
Gott – schrecklich schön
Gewiss ficht die Glaubenden und die vielen, die nach dem wahren Leben suchen, das in der Hoffnung auf das ewige Leben nicht an. Das Menschenleben ist überschaubar, begrenzt, und das irdische Leben wie das kosmische Sein in weiteren Dimensionen ebenfalls. Immer wieder kitzelt den Menschen die Spannung von Gewalt und Liebe, ob im Film, in der Literatur oder in der unmittelbaren Anschauung. Nicht einmal die Bibel ist frei von dieser Doppelgesichtigkeit des Daseins, wie der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf eindrucksvoll und provokativ in einem assoziativen Vortrag im Theater darlegte: Ist Gott ein Terrorist? Auch er verbreitet ja Angst und Schrecken, befiehlt nach biblischem Befund sogar die Ausrottung ganzer Völker. Zugleich ist Gott schön – so blendend schön, dass er nicht einmal angeschaut werden kann. Gott – schrecklich schön.
Und Jesus. Ist er schön? Gemäß den Gottesknechtsliedern hat er keine schöne Gestalt. Und doch ist er der Inbegriff dessen, dass das Schreckliche schön und gut ausgeht. Erlösung. Aber das schrecklich Schöne ist für Wolf gemäß der Bibel nicht das, „was in der Kompetenz des Menschen liegt“. Jesus stellt das Schreckliche in Gott endgültig infrage. Die Antwort wird – so Wolf – nicht an Karfreitag gegeben, sondern an Ostern.
Österlich wollen Katholikentage sein. Dazu regt oft mehr das Schweigen, Betrachten, Beten oder das schlichte Hören auf die Musik an als das explizite Wort. Völlig überfüllt war der Paulusdom bei der Uraufführung des Oratoriums „Pax“ von Roland Kunz, ein knapp zweistündiges Stück, das mit einem gewaltigen Chor aus vielen Chören, Orchester und verschiedensten Schlagwerken sowie Tönen aus der Natur das Gotteshaus auf seine Weise füllte, einschließlich der Bewegung einzelner Sänger oder Klanggruppen durch den ganzen Raum. Eine Komposition, die an Carl Orff erinnerte und den Körper selber als Klangraum nutzte vom sich verschweigenden Verstummen, Zischen bis zum Aufschreien. Wie anders sollte ein derart berührendes Stück enden als mit dem Franziskus zugeschriebenen Lobgesang „Laudato si’“ und einem starken Amen? Das ist Katholikentag zum Aufwühlendsten, Bewegendsten – und Wahrhaftigsten. Wahrhaftig: So ist Menschsein, so ist Christsein im echten Leben, mit und ohne Frieden.