Die globale Politik und die Weltwirtschaftsordnung haben mehr mit Wertvorstellungen und Glaubensgrundsätzen zu tun, als es auf den ersten Blick scheint: Das Mantra „schneller, besser, weiter“ bekennt den Glauben an unendliche Verbesserung. Finanzielle Schulden werden als moralische Schuld verstanden, und „Entwicklungshilfe“ findet im Westen nicht zuletzt deswegen so große Zustimmung, weil schon eine kleine Spende das eigene schlechte Gewissen zum Schweigen bringen kann. Ob den Ländern des globalen Südens mit den Geldern aus Europa und Amerika wirklich geholfen ist, wollen viele dann lieber gar nicht mehr so genau wissen.
Wer sich dennoch tiefergehend über die komplexen Zusammenhänge zwischen den Wirtschaftsinteressen des Westens und der Entwicklung der südlichen Staaten informieren möchte, dem hilft das vorliegende Buch. Jason Hickel, Anthropologe und Dozent an der „London School of Economics“, nimmt die globalen Beziehungen in ihrer Entwicklung in den Blick, vom 15. Jahrhundert bis heute – und sogar in Zukunft: Im letzten Teil schlägt er fünf Maßnahmen vor, um Ungleichheit, Armut und die sich mehrenden Umweltkatastrophen zu bekämpfen.
Hickel stützt sich auf Statistiken, Zeitungsartikel, Studien und eigene Beobachtungen, die er während seiner Kindheit in Swasiland und bei verschiedenen Aufenthalten im Süden machen konnte. Durch sprachliche Bilder, Vergleiche und Tabellen bringt er seine Botschaft in eine anschauliche Form. Auch Erfahrungen mit seinen Studierenden lässt Hickel einfließen. So ist das Buch auch ohne tiefgehende Vorkenntnisse aus Wirtschaft und Politik gut verständlich.
Wenn über Entwicklungshilfe gesprochen wird, beinhaltet das notwendigerweise auch Themen wie Gerechtigkeit, Menschenwürde und Frieden. Es ist die Rede vom Glauben an eine bessere Welt, von Hoffnung, die wie ein Saatkorn aufgeht, und vom Ziel eines Lebens in Frieden, Überfluss und Freiheit. Den christlich sozialisierten Leser lässt das aufhorchen. Spätestens dann, wenn mexikanische Ureinwohner über die Kolonialherren schreiben: „Wie Affen hoben sie das Gold auf und freuten sich, als ob es ihnen neues Leben eingehaucht und ihre Herzen entflammt habe.“ Deutlicher könnte die „Parallele“ zum christlichen Glauben, demzufolge Gott dem Menschen seinen Geist der Liebe ins Herz gelegt hat, wohl kaum sein. Geld zum Götzen erhoben haben nicht nur die Kolonialherren von damals, sondern das tut auch ein Großteil unserer Zeitgenossen. Die heutige Situation von Ungleichheit, Ausbeutung und Armut – eine Frucht dieses „Glaubens“?