Wie zentral Jesus beziehungsweise Isai im Koran ist, wissen viele nicht. Aber warum das so ist und was es für das Religionsgespräch wechselseitig (!) bedeuten kann, wird hier entfaltet – und zwar in einer Gründlichkeit, die ihresgleichen sucht und Maßstäbe setzt. Inspirierend ist schon im ersten Kapitel der kundige Blick auf das tragisch zerrissene Christentum auf der Arabischen Halbinsel im 7. Jahrhundert: Der Koran entsteht dort im kritischen Dialog damit und mit dem Judentum dieser Zeit. Aber an keiner Stelle wird das Christentum oder das Judentum kritisiert – „wenn, dann bestimmte Gruppierungen und bestimmte Positionen, ansonsten spart der Koran nicht mit Lob und Anerkennung dieser zwei Religionen“.
Was „der Verkünder des Koran“ – die Autoren Mouhanad Khorchide und Klaus von Stosch lassen offen, ob Gott selbst oder Mohammed – zu sagen hat, muss als Dokument innerer und äußerer Dialoge gelesen werden. Wichtig ist das ausführliche Kapitel über das Verständnis des Prophetischen im Koran, betrifft es doch auch die besonderen Würdetitel für Isai im Islam wie „Diener Gottes“, „Wort und Geist Gottes“.
Das Herzstück des beispielhaften Dialogwerks ist das vierte der sieben Kapitel: die detailgenaue, historisch- und traditionskritische Auslegung der drei großen Jesus-Suren jeweils in ihrer Ganzheit (Sure 19, 3 und 5). Nicht nur bei den Koranversen zur Kreuzigung Jesu werden Vorurteile abgebaut und neue Perspektiven eröffnet. Reiz und Gewicht des ganzen Buches liegen in der dialogischen Sensibilität der beiden Autoren und ihres Teams: Keinen Augenblick geht es um rechthaberische Zuspitzung oder harmonisierende Verschleierung. Leitend ist die Überzeugung höchst wertschätzender Verschiedenheit und wechselseitiger Bereicherung – gerade in zentralen Fragen wie dem Verständnis von Offenbarung und Inkarnation, von Gott und Welt, nicht zuletzt von Gewalt, Leid und Erlösung. Eigens hervorzuheben: Die behutsamen und genauen Ausführungen sind nicht nur wissenschaftlich solide, sondern allgemeinverständlich und einladend geschrieben. Ein gewaltiger Lerngewinn für Christen und Muslime jeweils für sich und miteinander und wichtiger Anstoß zu dringender Dialogarbeit in beiden Religionen.