VatikanProgressiv, liberal, konservativ? Eine innige Freundschaft

Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der ehemalige Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, hat den peruanischen Befreiungstheologen und – seit 2001 – Dominikaner Gustavo Gutiérrez Merino als einen „großen theologischen Denker“ gewürdigt und als einen Seelsorger, „der die Menschen liebt“. Müller, der seit einem ersten Aufenthalt 1988 in Peru mit Gutiérrez befreundet ist, erklärte in einem KNA-Interview: Die Theologie der Befreiung, die von Gutiérrez’ grundlegendem Werk mit diesem Titel den Namen erhielt, sei wirklich „Theologie und nicht ein verunglückter Ausflug in die Soziologie, in die Politikwissenschaft oder gar in die politische Agitation“.

Theologie habe selbstverständlich auch einen politischen Bezug. Sie müsse fruchtbar sein für sozialen Ausgleich, für den Aufbau einer gerechten Gesellschaft, für die Kultur. „Und Kirche insgesamt hat auch eine kritische Funktion gegenüber der Politik, die oft totalitäre Herrschaft beansprucht.“

Manche Gläubige sind verwundert, dass der Kardinal, der vielen als konservativer dogmatischer Denker gilt, ausgerechnet die „progressive“ Befreiungstheologie lobt und weiterhin als hochaktuell betrachtet – und dass er persönlich mit deren Begründer eng verbunden ist. Dazu Müller, der das eigene Bischofsamt gemäß dem altkirchlichen Bischofsverständnis in der Verpflichtung sieht, auch „Vater“ der Bedrängten zu sein: Es habe zu sehr ein „polarisierendes Schubladendenken“ gegeben, das man hinterfragen sollte. „Die Inhalte unseres Glaubens sind nicht liberal oder konservativ, sie entziehen sich jeder einseitigen Vereinnahmung. Der Glaube an Gott gehört eng zusammen mit der Verantwortung für die Welt.“ Die Befreiung aus Abhängigkeiten, sei es der Sünde oder politischer Art, gehöre wesentlich zum christlichen Glauben. „Jesus verweist ja nicht nur auf das Reich Gottes im Jenseits. Er hat auch Kranke geheilt, sich um Aussätzige und andere an den Rand Gedrängte gekümmert und immer wieder auf die Würde jedes einzelnen Menschen hingewiesen.“

Gustavo Gutiérrez sei klein von Gestalt und im Gehen etwas behindert, so Müller. „Aber er hat eine riesige Ausstrahlung. Man merkt ihm zu jeder Zeit das innere Feuer an, seine große Bereitschaft zum Einsatz für die Armen und Ausgebeuteten in Peru und ganz Lateinamerika.“

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