Kirchliche Sprache gleicht bisweilen einem Code, der schwer zu entschlüsseln ist. Manches komplex daherkommende Wortungetüm ist bei näherem Hinsehen nur heiße Luft. Andere, unscheinbar wirkende Begriffe haben es jedoch in sich. Wenn Papst Franziskus die zerstrittene deutsche Bischofskonferenz ersucht „im Geist kirchlicher Gemeinschaft eine möglichst einmütige Regelung zu finden“, ist das keine fromme Floskel, sondern eine theologische Ansage.
Viel ist nicht von dem Gespräch nach außen gedrungen, das am Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre in Rom stattfand. Der Anlass dieses Gespräches war ein Brief, den sieben deutsche Diözesanbischöfe zunächst hinter dem Rücken ihrer Amtsbrüder an Kardinal Kurt Koch schickten. Sie riefen darin den Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen „um Hilfe“ an, weil sie sich mit ihren Bedenken gegen eine Pastorale Handreichung innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz nicht durchsetzen konnten. Diese Handreichung sollte es evangelischen Christen, die mit einem katholischen Partner verheiratet sind, unter bestimmten Bedingungen ermöglichen, zur Kommunion zu gehen.
Kein Machtwort des Papstes
Von 60 anwesenden Bischöfen stimmten auf der Frühjahrsvollversammlung nach Angaben des Briefs 13 Bischöfe gegen dieses Dokument, nach anderen Quellen nur 12 (vgl. Daniel Deckers, „Immerhin war die Atmosphäre gut“, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 5. Mai 2018). Damit galt die Handreichung als beschlossen. Sieben Bischöfe wandten sich jedoch mit der Behauptung, das Dokument betreffe Fragen des Glaubens und der Einheit der Gesamtkirche, an Kardinal Koch.
Nachdem sich nun Vertreter beider Fraktionen der Bischofskonferenz mit hochrangigen Mitarbeitern der römischen Kurie – unter ihnen der angerufene Kardinal Koch und Erzbischof Luis Francisco Ladaria Ferrer, der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre – getroffen haben, ist immer noch vieles unklar. Die Kurie hat die Fragen und Argumente der Sieben offenbar nicht auf die leichte Schulter genommen, sondern sie in ihrer dogmatischen, kirchenrechtlichen und ökumenischen Dimension genau bedacht. Das Ergebnis dieses Nachdenkens ist allerdings kein Machtwort des Papstes oder der in seinem Namen handelnden Behörden, sondern eine Rückgabe des Konflikts an das Gremium, das Rom in dieser Sache als das eigentlich zuständige betrachtet – die deutsche Bischofskonferenz.
Dieses Vorgehen kann im Umkehrschluss nur heißen: Dem Anliegen der sieben Bischöfe ist trotz mancher Bedenken, die die Handreichung bei Mitarbeitern der Kurie ausgelöst haben mag, nicht stattgegeben worden. Denn die Sieben hatten ja gerade argumentiert, dass die Bischofskonferenz nicht zuständig sei, weil es sich um „eine Frage des Glaubens und der Einheit der Kirche“ handle, für die von Rom aus „eine weltkirchlich tragfähige Lösung“ gefunden werden solle. Daher hielten die Unterzeichner des umstrittenen Briefes die Abstimmung innerhalb der Bischofskonferenz, bei der sie unterlegen waren, für „nicht rechtens“.
Das Mehrheitsprinzip der Konzilien
Hätte Rom das auch so gesehen, wäre eine Intervention unausweichlich gewesen und die Handreichung zu Fall gekommen. Das ist aber nicht geschehen. Der Papst hat den pastoralen Spielraum, den die Mehrheitsfraktion der deutschen Bischöfe öffnen wollte, nicht wieder geschlossen. Franziskus würdigt stattdessen „das ökumenische Engagement der deutschen Bischöfe“ und ersucht sie, „im Geist kirchlicher Gemeinschaft eine möglichst einmütige Regelung zu finden“. Was aber heißt „Einmütigkeit“? Fordert der Papst die Bischofskonferenz etwa auf, zu einem einstimmigen Ergebnis zu kommen, womit die sieben sich durch die Hintertür dann doch noch durchgesetzt hätten, weil es ihnen leichtfiele, eine Blockade zu errichten und damit jede Einstimmigkeit zu verhindern?
Wenn ein theologisch und dogmengeschichtlich so gebildeter Mann wie Erzbischof Ladaria im Auftrag des Papstes von „Einmütigkeit“ im „Geiste kirchlicher Gemeinschaft“ spricht, ist das nicht einfach dahergeredet, sondern eine wohldurchdachte und letztlich auch klare Aussage. Der Begriff der Einmütigkeit (unanimitas) spielt nämlich in der Geschichte der Konzilstheorie eine bedeutende Rolle. Eine Bischofskonferenz ist zwar kein Konzil. Aber als regelmäßige Versammlung von Bischöfen nimmt die Konferenz durchaus Aufgaben wahr, die etwa in der Alten Kirche von Synoden ausgeübt werden mussten. Synoden brauchten, genau wie die Bischofskonferenzen heute, eine funktionierende Beratungs- und Entscheidungskultur. Auf diese Parallele scheint Ladaria hinauszuwollen. Wie jede Versammlung, die eine Entscheidung treffen muss, zielten auch die altkirchlichen Synoden darauf ab, einen größtmöglichen Konsens zu erzielen. Als Synonym für das lateinische consensus wurde, zum Beispiel bei Cyprian von Karthago (gest. 258), auch der Begriff unanimitas – Einmütigkeit – gebraucht. Einmütigkeit darf jedoch nicht mit Einstimmigkeit verwechselt werden. Darauf macht Hermann Josef Sieben, einer der bedeutendsten Konzilienhistoriker unserer Zeit, aufmerksam: „Was aber geschah, wenn sich trotz Vorbesprechungen und längerer Verhandlungen auf dem Konzil selber keine unanimitas ergab? Kam dann überhaupt kein Beschluss zustande? Wir haben zumindest zwei Zeugnisse aus dem vierten Jahrhundert und ein weiteres aus dem achten, die belegen, dass in solchen Fällen die Anwendung des Mehrheitsprinzips, das damals im weltlichen Bereich schon durchaus in Geltung war, vorgesehen war“ (Hermann Josef Sieben, „Consensus, unanimitas und maior pars auf Konzilien, von der Alten Kirche bis zum Ersten Vatikanum“, in: Ders., Vom Apostelkonzil zum Ersten Vatikanum. Studien zur Geschichte der Konzilsidee [Konziliengeschichte, Reihe B], Paderborn 1996, 510–550, hier: 513f).
So stellte bereits die im Jahr 325 in der Sommerresidenz von Kaiser Konstantin tagende Synode von Nizäa, die später als das Erste Ökumenische Konzil gelten wird, fest: „Sollten aber dem gemeinsamen Beschluss aller, der vernünftig ist und dem kirchlichen Kanon entspricht, zwei oder drei aus persönlicher Streitsucht widersprechen, so entscheidet die Mehrheit der Stimmen“ („Conciliorum Oecumenicorum Decreta“, Bd. 1, im Auftrag der Görres-Gesellschaft ins Deutsche übertragen und herausgegeben unter Mitarbeit von Gabriel Sunnus und Johannes Uphus von Josef Wohlmuth, Paderborn, 3. Auflage 2002, 9). Dem Nicaenum ging es in seinem sechsten Canon um disziplinarische Fragen, nicht um die Glaubenslehre. Aber auch die Handreichung der Bischofskonferenz ist ja, so die Position der Mehrheitsfraktion und offenbar der Standpunkt des nicht intervenierenden Papstes, eine pastorale, und keine im engeren Sinne dogmatische Angelegenheit.
Trotz Gegenstimmen
Das Achte Konzil von Toledo (653) jedoch verkündet später ausdrücklich, dass Mehrheitsentscheidungen nicht nur von Synoden gefällt werden dürfen, auf denen disziplinarische Dinge entschieden werden, sondern von „‚jeder Art von Synoden‘, also auch von solchen, auf denen über den Glauben gehandelt wird“ (Sieben, „Consensus“, 514). Obwohl die Synoden von Toledo nicht im Rang Ökumenischer Konzilien stehen – wobei es, betrachtet man die Lateransynoden des 12. und 13. Jahrhunderts, ohnehin erstaunlich ist, was im Nachhinein alles zu einem Ökumenischen Konzil wurde –, drückte die in Toledo formulierte Position eine gängige Praxis aus, die schon vorher galt und auch noch auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil gelten sollte. Das Bewusstsein, dass Einmütigkeit auch trotz Gegenstimmen erzielt werden konnte, hatte nämlich nicht den Sinn, die Minderheit auszuschließen, sondern es sollte – im Gegenteil – die Minderheit in das Geschehen der Beratungen einbinden. Denn allzu oft ist Einmütigkeit im Sinne von Einstimmigkeit nur dort zustande gekommen, wo kritische Stimmen bereits im Vorhinein ausgeschaltet worden waren. Die später als Zweites Ökumenisches Konzil geltende Synode von Konstantinopel (381) fand zum Beispiel bereits ohne die die Gottheit des Heiligen Geistes problematisierende, makedonianische Partei statt. Die als Drittes Ökumenisches Konzil geltende Synode von Ephesos (431) verschaffte Cyrill von Alexandrien, dem Verfechter des Marientitels der „Gottesgebärerin“, einen Triumph, weil die Ankunft der Antiochenischen Gegenpartei erst gar nicht abgewartet wurde. Und bei der Schlussabstimmung über den Jurisdiktionsprimat des Papstes und seine Unfehlbarkeit im Lehramt auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870) war die kritische Minderheit bereits abgereist.
Aktives Nichthandeln des Papstes
Um solche Manipulationen der „Einmütigkeit“ zu vermeiden, war und ist es wichtig, Einmütigkeit nicht mit „Einstimmigkeit“ zu verwechseln, damit auch die Minderheit eine Stimme behält, ohne dadurch die Gesamtgruppe handlungsunfähig zu machen. Es kann also durchaus „einmütige“ Entscheidungen geben, die mit Gegenstimmen getroffen werden. „Einmütigkeit“ beschreibt weniger eine Quantität von Stimmen, sondern vielmehr eine Qualität des Miteinanders.
Erzbischof Ladaria nennt dieses Miteinander, im Auftrag von Papst Franziskus, den „Geist kirchlicher Gemeinschaft“. Im Vertrauen darauf, dass es den deutschen Bischöfen in diesem Geist gelingt, zu einer tragfähigen Lösung zu kommen, gibt der Papst den ihm zugespielten Ball wieder in das Feld der Bischöfe zurück. Das ist nicht nur eine lebenskluge Entscheidung, sondern auch eine ekklesiologisch bedeutsame Angelegenheit. Denn wenn der Papst offen Partei für eine Seite ergriffen – also Ja oder Nein gesagt – hätte, hätte er wieder die Rolle des Richters gegenüber einer Bischofskonferenz einnehmen müssen, die offenbar unfähig ist, ihre Angelegenheiten ohne Appelle an die Zentralautorität selbst zu regeln. Obwohl natürlich nach wie vor jederzeit ein Appell an den Papst möglich bleibt, der mit seiner höchsten, vollen, unmittelbaren und universalen ordentlichen Gewalt in alle Belange eingreifen kann (canon 331, Codex Iuris Canonici/1983), hat der Papst nun durch sein aktives Nichthandeln deutlich gemacht, dass solche Appelle nicht immer in seinem Sinne sind. Daher wurde nicht nur die vor ihn gebrachte Streitfrage an die Bischofskonferenz zurückverwiesen, sondern den Bischöfen auch aufgetragen, die Art und Weise selbst zu bestimmen, in der sie diesen Streit zu lösen gedenken. Für eine solche Entscheidung können Menschen, die ortskirchliche Strukturen der Entscheidungsfindung stärken wollen, dem Papst nur dankbar sein, auch wenn manch ein Befürworter der Handreichung auf ein eindeutigeres Ja aus Rom gehofft hätte. Dass dieses Ja ebenso wenig wie ein Nein gekommen ist, ist kein Ausdruck der Schwäche des Papstes, sondern ein Zeichen seiner Souveränität, die ihn von der Pflicht entbindet, über jedes Stöckchen zu springen, das ihm hingehalten wird.
Wie könnte es nun weitergehen? Klar ist: Der Papst legt der Bischofskonferenz mit seinem Aufruf zur Einmütigkeit nicht die untragbare Bürde auf, sich zu Fragen, wie sie in der Pastoralen Handreichung geklärt werden, nur einstimmig äußern zu dürfen. Wäre dem so, würde die Konferenz sofort handlungsunfähig. Sie bleibt jedoch auch unter dem Gesichtspunkt der Einmütigkeit mit Blick auf die Handreichung handlungsfähig, weil eine klare Mehrheit der Bischöfe hinter diesem Dokument steht. Mehr als drei Viertel aller Mitglieder der Konferenz (inklusive der Weihbischöfe) und – bei sieben Gegenstimmen oder zumindest Enthaltungen – auch mehr als zwei Drittel aller Diözesanbischöfe befürworten die Handreichung. Es wäre daher absurd und steht nicht zu erwarten, dass das von Papst Franziskus in dogmatischer Hinsicht ausdrücklich nicht beanstandete Dokument einfach wieder in der Schublade verschwindet.
Fragen ja, blockieren nein
Eingeleitet werden könnte jedoch ein Prozess, bei dem – so versucht der Kirchenhistoriker Klaus Schatz den bleibenden Ertrag der „Unanimitäts“-Diskussionen auf dem Ersten Vatikanischen Konzil zusammenzufassen, wo das Thema der Einmütigkeit zum letzten Mal ausführlich thematisiert wurde – „die Mehrheit die Führungslinie angibt und ein gegenseitiges Aufeinander-Zubewegen geschieht. Von da aus würde ebenso eine Mehrheit, die auf die Einwände einer Minderheit keine Rücksicht nimmt, gegen das Grundgesetz konziliaren Denkens verstoßen wie eine Minderheit, die glaubt, einfach durch Resistenz Entscheidungen blockieren zu müssen“ (Klaus Schatz, „Vaticanum I. 1869–1870“, Bd. 2 [Konziliengeschichte, Reihe B], Paderborn 1993, 177).
Was das konkret für den Umgang der Deutschen Bischofskonferenz mit der Pastoralen Handreichung bedeutet, vermögen nur diejenigen zu sagen, die bei den Beratungen im Vorfeld der Beschlussfassung dabei waren, weil nur sie wissen, was im Nachgang noch getan werden kann, um jene Einmütigkeit herzustellen, zu der der Papst ermahnt. Einen Ansatzpunkt könnte bieten, was einige der sieben unterzeichnenden Bischöfe geäußert haben, als ihre geheime Kettenbriefaktion ans Licht kam. Es sei ihnen in aller episkopalen Unschuld nur darum gegangen, in Rom einmal nachzufragen, um dogmatisch auf Nummer sicher zu gehen. Und Fragen kostet ja nichts. Ob diese Motive glaubhaft sind und sich mit dem Inhalt des Briefes decken, in dem ja nicht nur viele Fragen gestellt, sondern auch viele Aussagen getroffen werden („nicht rechtens“, „grundsätzliche Anfragen und Vorbehalte“), sei dahingestellt. Sollte Rom jedoch, so war der Tenor einiger Unterzeichner, an der Handreichung nichts beanstanden, seien auch sie natürlich bereit, die Handreichung mitzutragen. Auch wenn es in der Kurie andere Stimmen gab: Nach allem, was bisher bekannt ist, hat Rom keine grundsätzlichen dogmatischen Bedenken erhoben. Falls es den Unterzeichnern also nur ums Fragen ging, dürften ihre Fragen damit beantwortet und die Sache einmütig zu klären sein.