Sabbat und SonntagFreiraum für die Seele

Kein Tag wie jeder andere: Die Sonntagsruhe ermöglicht Begegnung mit dem, der Ursprung und Ziel ist – und zweckfreie Zeiten für sich selbst.

Der Sabbat ist ein einziger Tag; Schabbesdigkeit aber sollte all unsere Tage durchdringen. Schabbesdigkeit ist Spiritualität, Wesen und Geist des Judentums … Vielleicht ist der Sabbat der Begriff, der den Geist des Judentums am deutlichsten charakterisiert. – Die Ewigkeit setzt einen Tag.“ Der Sabbat ist – so beschreibt es der jüdische Rabbiner und Religionsphilosoph Abraham Joshua Heschel (1907–1972) – der Kontrapunkt des Lebens, die Melodie, die in allen Aufregungen und Wechselfällen des Lebens festgehalten wird. Er ist das Bewusstsein von Gottes Gegenwart in der Welt. Er lehrt die Freuden des Geistes zu fühlen, die Freude über das Gute. Er ist mehr als ein Tag, mehr als der Name für den siebten Tag der Woche. Leben unter dem Blickwinkel der Ewigkeit bedeutet im Judentum: Leben unter dem Blickwinkel des Sabbats.

Ein Leuchten in der Woche

Die Sabbatruhe bedeutet einen Freiraum von der Welt, den Verzicht auf den Eingriff und Zugriff durch Arbeit. Wer den Sabbat feiern und deshalb auch ruhen kann, ist nicht getrieben von Rastlosigkeit, vom Gefühl, ständig zu kurz zu kommen. Am Sabbat kann der Mensch aus der Freude an seinem Geschaffensein („Gott sah, dass es sehr gut war“ – Gen 1) in der zweckfreien Gemeinschaft mit anderen leben und die Unverletzbarkeit der Schöpfung als Gottes Eigentum wahren.

Auch im Zentrum des christlichen Lebens steht die Feier des Sonntags als „heiliger“ Tag, der geprägt ist vom Ausschluss jeglicher Verzweckung und Nutzbarmachung. Dieser Tag geht weit über die Forderung nach einer allgemeinen Sonntagsruhe im Sinne des Geschlossenhaltens der Geschäfte hinaus. Der christliche Sonntag ist ein Tag, in welchem die Frage nach dem Sinn des ganzen Lebens aufbricht. Es ist ein Tag, an welchem die Fragen nach dem „Woher komme ich?“, „Wer bin ich?“, „Wohin gehe ich?“ gestellt werden. Er ist ein Tag des Bewusstseins der eigenen Sterblichkeit und somit ein wichtiger Impulsgeber für die Einordnung der vergänglichen Dinge an ihren rechten Platz im Gefüge des gesamten Lebensplans eines Menschen. Er ist ein Zeit-Zeichen; ein Signal, das Alltag, Arbeit, die werktägliche Sorge und Produktivität überschreitet und aufhebt. Der christliche Sonntag als Tag der Befreiung leuchtet in die Arbeitswoche hinein. Auch mitten in der Arbeit soll es immer wieder Momente der Muße und der Feier der Auferstehung geben.

Die Heilige Schrift kennt einen Zusammenhang zwischen dem Sabbatgebot und der Verwirklichung von Frieden. Der Sabbatfriede ist der Friede des Menschen mit Gott, aber auch die Versöhnung des Menschen mit sich selbst, mit seiner Arbeit, mit seinen Beziehungen, auch mit den Tieren und mit der Umwelt. Eine Gesellschaft, welche die Kultur des Sabbats beziehungsweise des Sonntags aufgibt, verliert sich in Ruhelosigkeit und Friedlosigkeit. Die Kommunikation verkommt zum Geschäft. Sie steht bloß noch unter dem Vorzeichen des „Kriegens“, des Habens und des Nutzens. Das kulturelle und soziale Miteinander geht nicht ohne zeitliche Freiräume, die für möglichst viele Menschen verbindlich sind. Vergesslichkeit gegenüber der Sonntagsruhe führt zu mehr Aggression.

Ohne den Herrn und ohne den Tag, der ihm gehört, gedeiht das Leben nicht – er ist der Tag, der für den Menschen da ist (vgl. Mk 2,27). Der Sonntag hat sich in unseren westlichen Gesellschaften gewandelt zum Wochenende, zur freien Zeit. Die freie Zeit ist gerade in der Hetze der modernen Welt etwas Schönes und Notwendiges. Aber wenn die freie Zeit nicht eine innere Mitte hat und von der Orientierung fürs Ganze ausgeht, dann wird sie schließlich zur leeren Zeit, die uns nicht stärkt und nicht aufhilft. Die freie Zeit braucht eine Mitte – die Begegnung mit dem, der unser Ursprung und unser Ziel ist. Oder um es mit den Worten des Münchner Kardinals Faulhaber auszudrücken: „Gib der Seele ihren Sonntag, gib dem Sonntag seine Seele.“

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