Nun stimmt es also doch, was ein traditionell bis traditionalistisch ausgerichtetes katholisches Nachrichtenportal bereits vor vielen Wochen gemeldet hatte, noch vor den Gesprächen einer Delegation der deutschen Bischofskonferenz in Rom: Papst Franziskus weise die mit Dreiviertelmehrheit der Bischöfe beschlossene Pastorale Handreichung zurück. Sie wollte unter gewissen Bedingungen den gemeinsamen Kommunionempfang eines evangelischen Ehepartners mit seinem katholischen Partner erlauben. Das Dokument dürfe wegen erheblicher Mängel so nicht veröffentlicht werden.
In einem Brief des Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation Luis F. Ladaria an den Bischofskonferenz-Vorsitzenden Kardinal Reinhard Marx heißt es nun, das zwischenzeitliche Gespräch in Rom habe gezeigt, „dass der Text der Handreichung eine Reihe von Problemen von erheblicher Relevanz aufwirft“. Der „Heilige Vater“ sei „daher zu dem Ergebnis gekommen, dass er nicht reif zur Veröffentlichung ist“.
Die Frage der Zulassung von evangelischen Christen (zur Kommunion) in interkonfessionellen Ehen sei ein Thema, „das den Glauben der Kirche berührt und eine Bedeutung für die Universalkirche hat“. Es betreffe vor allem das Kirchenrecht, insbesondere den Kanon 844, in dem es unter Paragraf 4 heißt: „Wenn Todesgefahr besteht oder wenn nach dem Urteil des Diözesanbischofs beziehungsweise der Bischofskonferenz eine andere schwere Notlage dazu drängt, spenden katholische Spender diese Sakramente erlaubt auch den übrigen nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehenden Christen, die einen Spender der eigenen Gemeinschaft nicht aufsuchen können und von sich aus darum bitten, sofern sie bezüglich dieser Sakramente den katholischen Glauben bekunden und in rechter Weise disponiert sind.“
Wie dieser Paragraf auszulegen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Es gibt die strenge Lesart, die als Ausnahme nur schwerwiegende Situationen anerkennt, die der Todesgefahr nahekommen, und eine offenere Lesart, die die Erwähnung der Todesgefahr im Kirchenrecht nur als Beispiel betrachtet. Gemäß der Einschätzung der überwältigenden Mehrheit der Bischofskonferenz ist die konfessionsverschiedene-konfessionsverbindende Ehe nicht in sich eine „schwere Notlage“. Wohl aber entsteht diese aus der dringlichen Sehnsucht, aus dem religiös substanziellen Bedürfnis, in der ehelichen sakramentalen Gemeinschaft auch gemeinsam das Sakrament der Eucharistie empfangen, als Hauskirche zum Tisch des Herrn treten zu dürfen. Das wird von den allermeisten Bischöfen in Deutschland gemäß der realen – insbesondere auch theologischen und spirituellen – Bedeutsamkeit stark gewichtet.
Was ist eine Notlage?
Der jetzige Brief der Leitung der Glaubenskongregation erklärt: „Weil es in manchen Teilen der Kirche offene Fragen über diesen Punkt gibt“, seien die zuständigen Kurienbehörden „bereits beauftragt, eine baldige Klärung dieser Fragen auf universalkirchlicher Ebene herbeizuführen“. Diese vatikanischen Einrichtungen sollen also definieren, was eine solche Notlage ausmacht und kennzeichnet. Erst aufgrund dieser Einordnung dürfen anschließend die Diözesanbischöfe urteilen, ob eine solche – wie es in dem Brief heißt – „drängende schwere Notlage“ existiert. Bloß diese Kompetenz wird den einzelnen Bischöfen – und nur diesen – eingeräumt, der Bischofskonferenz insgesamt in den betreffenden Fällen anscheinend überhaupt keine.
Damit hat die Minderheit jener Bischöfe vom Vatikan Recht erhalten, die von vornherein gegen die Orientierungshilfe der überwältigenden Mehrheit stimmte, weil sie verlangte, die Frage könne nur in Absprache mit den römischen Behörden und weltkirchlich geklärt werden. Zudem müssten die Ausnahmen strikt als Ausnahmen erkennbar seien. Es dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, dass die Sonderfälle quasi offiziell, amtlich zu einer Art allgemeinen Situation sämtlicher konfessionsverschiedenen Ehen erweitert werden. Diese restriktive Sicht teilen also auch die betreffenden hochrangigen Kurienbeamten mit Billigung des Papstes.
In einer weiteren Bemerkung des Vatikanbriefes heißt es überdies, dass die Thematik Auswirkungen auf die ökumenischen Beziehungen zu anderen Kirchen habe, was nicht zu unterschätzen sei. Was damit genau gemeint ist, wird nicht erläutert. Vermutlich wird in erster Linie an die orthodoxen Kirchen gedacht, die irritiert sein könnten, wenn die katholische Kirche evangelischen Christen den Zugang zur Kommunion erlaubt. Denn die orthodoxen Kirchen haben dasselbe sakramentale eucharistische Verständnis und geistliche Amtsverständnis wie die katholische Kirche und sehen in diesem Punkt grundlegende Differenzen zum evangelischen Verständnis.
Recht allgemein heißt es am Ende des Vatikan-Schreibens, dass es für den Papst „eine große Sorge“ sei, dass in der deutschen Bischofskonferenz „der Geist der bischöflichen Kollegialität lebendig bleibt“.
Weltkirchlich unterschätzt
Von der Pressestelle der Bischofskonferenz wiederum wurde verlautbart, der Vorsitzende sei „überrascht“ über das Schreiben aus Rom. Denn beim Gespräch dort am 3. Mai sei den teilnehmenden Bischöfen gesagt worden, „dass sie ‚im Geist kirchlicher Gemeinschaft eine möglichst einmütige Regelung‘ finden sollten.“ Nun aber sei das neue Schreiben „noch vor dem Finden einer solchen einmütigen Regelung“ eingegangen.
Auch viele Christen, die seit langem auf wenigstens winzige Schritte ökumenischer Annäherung in entscheidenden Punkten warten, sind vom gesamten Vorgang irritiert, ja empört. Denn seit Jahrzehnten wird dieses Thema behandelt, und seit langem opponiert eine kleine Schar deutscher Bischöfe gegen die überwältigende Mehrheit, die im betreffenden Punkt endlich eine Lösung finden will. Die in dem Handreichungsentwurf genannten Argumente sind klar überzeugend für jeden, der um die neuere Theologie, insbesondere Sakramententheologie, weiß, die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts im Kontext auch der Symbolforschung und Sprachphilosophie entwickelt wurde, um archaische, für ein heutiges Glaubensbewusstsein nicht mehr tragfähige magische Vorstellungen zu überwinden. Es klingt daher zumindest kurios, dass nach entsprechender akribischer und substanzieller theologischer Grundlagenarbeit sowie nach erheblichen Blockaden und weiteren Verzögerungen nun ausgerechnet Rom verlautbart, dass jetzt eine „baldige“ Klärung herbeigeführt werden solle.
Anscheinend wird auch weltkirchlich, wo es die konfessionsverbindenden Familien in derart großer Zahl nicht gibt wie etwa in Deutschland, der Schweiz, den Vereinigten Staaten oder Kanada, unterschätzt, was die sakramentale Einheit beziehungsweise Trennung in den betreffenden Fällen dramatisch und tragisch bedeuten kann und bedeutet – bis hin zum Glaubensverlust insbesondere in der Kinder-Generation in diesen Familien. Auch der Papst aus dem (noch) katholischen Lateinamerika, das allerdings bereits massiv in pfingstlerische, charismatische und evangelikale Bewegungen abdriftet, die mit dem Katholizismus wenig bis gar nichts zu tun haben wollen, scheint die Dringlichkeit und Sensibilität des Ganzen anders zu beurteilen als die hiesigen Ortsbischöfe. Jedenfalls ist die Entwicklung gerade der jüngsten Zeit verwirrend und irritierend, weil immer wieder Dinge oder Sachverhalte behauptet wurden, die anscheinend so nicht zutrafen oder zutreffen oder die sich – aus welchen Gründen auch immer – nachträglich geändert haben.
War es so – oder so?
Gibt es womöglich verschiedene Lesarten der Vorgänge und Äußerungen, Fehleinschätzungen und Fehlurteile? Wie kann es zum Beispiel sein, dass von der deutschen Bischofskonferenz nach dem Gespräch in Rom von Anfang Mai verbreitet wurde, dass die Sache an die Bischöfe nach Deutschland zurückverwiesen wurde und dass Papst Franziskus die Bischöfe ersuche, „im Geist kirchlicher Gemeinschaft eine möglichst einmütige Regelung zu finden“? Hat in dem Gespräch der Präfekt der Glaubenskongregation und künftige Kardinal Luis F. Ladaria womöglich eine unvorsichtige, beschwichtigende Bemerkung gemacht, die falsch interpretiert wurde? Oder hat der Papst später nach weiteren Gesprächen mit dem Präfekten der Glaubenskongregation seine Meinung geändert? War er sich womöglich selber der Tragweite des Ganzen anfangs gar nicht bewusst? Hat sich der Papst selber in seiner rhetorisch oftmals eher spontanen und wenig klaren Art verschätzt, was im gesamten Komplex tatsächlich auf dem Spiel steht? Oder wollte man vor dem Katholikentag mit Beschwichtigungen nur einen Aufruhr im deutschen Katholizismus vermeiden? Es wurde der Papst doch allenthalben gelobt, dass er solche Probleme dezentral klären lassen wolle. Und schon ganz zu Beginn des Kommunionstreits hatte die Bischofskonferenz Meldungen als falsch zurückgewiesen, dass der Papst angewiesen habe, die Orientierungshilfe unter Verschluss zu halten, nicht zu veröffentlichen. Jetzt stellen sich die damaligen ersten kritischen Meldungen also doch als wahr heraus und nicht als „Fake“! Jedenfalls waren die römischen Kurienbehörden anscheinend schon damals damit beauftragt, die Angelegenheit zu klären – und nicht die Deutschen daheim.
Verschiedene Versionen kursieren auch darüber, wie es zu der Handreichung kam beziehungsweise wie und wann die Minderheit ihren entschiedenen Widerspruch kundtat. Laut einer Interpretation hatte der Papst der Bischofskonferenz grünes Licht gegeben, die Orientierungshilfe zu erarbeiten. Laut einer anderen Interpretation sei von deutscher Seite selbstbewusst gesagt worden: „Wir machen das!“ Angeblich sei jedoch – so wiederum sagen andere – keineswegs ein Alleingang der deutschen Bischofskonferenz von Rom vorgesehen gewesen, sondern von Anfang an daran gedacht worden, dass alles in enger Absprache mit den zuständigen vatikanischen Behörden im laufenden Vorbereitungsprozess geschehe.
Dann hieß es, die Bischofsmehrheit sei von der Oppositionsminderheit hintergangen worden, als diese sich nach der Abstimmungsniederlage mit der Bitte um Klärung an den Vatikan wandte. Laut anderen Aussagen habe jedoch der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der die Widerspruchsgruppe anführt, bereits vor der Abstimmung deutlich gemacht, dass er in Rom Rücksprache nehmen und den Einspruch vorbringen werde. Der entsprechende Brief ist jedoch anscheinend tatsächlich erst einige Tage nach dem Eingang in Rom dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, zur Kenntnis gegeben worden.
Wie auch immer die verschiedenen, diffusen und widersprüchlichen Deutungen lauten, schon jetzt steht fest: Der Vorgang wirft ein verheerendes Licht auf die katholische Kirche insgesamt, auf die Zögerlichkeiten, Verwirrspiele, Mutlosigkeiten und Blockaden in wichtigen Dingen, die um des christlichen Glaubens willen dringend vorangebracht werden müssten. Wie lange will man dem epochalen Glaubensabbruch – nicht nur in Deutschland und nicht bloß in der europäischen Welt – noch zusehen, statt endlich notwendige Reformmaßnahmen zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit von Christentum und Kirche zu ergreifen? Womöglich ist es schon zu spät, ist das Zeitfenster bereits geschlossen, weil Jahrzehnte seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ins Land gingen, ohne der auf den ersten Aufbruch folgenden bleiernen Stagnation auch vom Lehr- und Leitungsamt her entschieden entgegenzutreten.
Franziskus I. hat die Vollmacht
Papst Franziskus hat wegen seiner menschlich so berührenden, ja schlichtweg menschlichen Art viele Sympathien auf sich gezogen. Aber ein Papst ist ein Papst und nicht nur ein oberster Pfarrer und Seelsorger. Er ist der Brückenbauer. Und das soll und muss er sein, auch mit nach vorn weisenden theologischen Richtungsentscheidungen, schriftlich und kirchenrechtlich mit aller Autorität dokumentiert. Immer wieder sagt Franziskus I., er habe nicht die Vollmacht, nicht die Kompetenz, dies oder das zu entscheiden. Doch – das hat er! Und nach vielen Dialogen und Debatten muss endlich auch einmal entschieden werden, mit einer modernen Theologie, die auf der Höhe der Zeit ist. Das weckt noch nicht den Glauben. Aber es schafft eine Atmosphäre, die helfen könnte, neue Schritte zum Glauben zu bahnen. Dabei gilt durchaus auch: Auf den Papst kommt es an! Jedenfalls im katholischen „System“ und in dem entsprechenden Verständnis. Manchmal tatsächlich ganz besonders auf ihn.