Der einzige Heilige, dessen Geburtsfest gefeiert wird, ist Johannes der Täufer. In der frühen Kirche war der 24. Juni gleichsam ein sommerliches Weihnachtsfest. Man feierte um Mitternacht die Eucharistie. Die Geburt des Johannes verweist auf die Geburt Jesu. Und das Fest wurde immer auch als Sonnenwendfest gefeiert. Die Sonne, die auf dem Höhepunkt steht, nimmt langsam wieder ab, damit in uns eine innere Wende geschieht. Die Sonnenwende steht für die vielen Wendezeiten in unserem Leben. In jeder Wendezeit geht es darum, dass das Ego schwächer wird, damit wir mehr mit unserem wahren Wesen in Berührung kommen. Die äußere Sonne, die wir im Sommer so ausgiebig wahrnehmen und die uns wärmt, scheint seltener. Doch die innere Sonne, die jeder in seinem Herzen trägt, soll ab dem Sommer zunehmen, bis sie an Weihnachten unser ganzes Herz erleuchtet.
Der Evangelist Lukas verbindet die Geburt Jesu mit der Geburt Johannes’ des Täufers. Johannes ist verwandt mit Jesus, die beiden Mütter sind Cousinen. Und Lukas beschreibt diese innere Verwandtschaft in Bildern. Da wird die Geburt des Johannes ebenso wie die Geburt Jesu durch den Engel Gabriel verkündet. Doch Johannes’ Vater Zacharias zweifelt. Er muss verstummen, damit in seiner alten Frau etwas Neues geboren werden kann. So stellen wir uns zu diesem Fest die Frage, wo unsere Vorurteile das Neue verhindern, das in uns entstehen möchte. Wir sollen still werden, damit die Vorurteile uns selbst und anderen Menschen gegenüber verstummen.
Johannes ist der Vorläufer, der auf Jesus hinweist, der die Menschen zur Umkehr bewegt. Der Maler Matthias Grünewald hat Johannes den Täufer unter dem Kreuz dargestellt mit einem ausgestreckten Finger, der auf Jesus weist. Johannes tritt zurück. Er weist in seiner Person ganz und gar auf Jesus hin. Das Fest stellt uns vor die Frage: Auf wen weise ich hin mit meiner Person? Zeige ich bei allem, was ich tue, nur auf mich selbst? Schaut her, welch toller Mensch ich bin? Oder verweise ich auf Christus? Und wodurch erkennen die Menschen, dass ich auf Christus verweise?
Wenn ich Vorträge verfolge, höre ich genau hin, ob der Vortragende sich selbst in den Mittelpunkt stellt oder ob er etwas zu sagen hat, was andere nährt, ob seine Worte auf die Zuhörer hin ausgerichtet sind. Und wenn ich mit jemandem spreche, spüre ich bald, ob ich im Gespräch mit diesem Menschen etwas berühre, was uns beide übersteigt oder ob wir beide nur um uns selber kreisen, uns selber darstellen wollen. Aber nicht nur die Worte verraten, ob jemand auf etwas verweist, was größer ist als er selbst, sondern auch seine Ausstrahlung, seine Mimik, seine Wirkung auf die Menschen.
Im Johannesevangelium sagt Johannes: „Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden“ (3,30). Wir sollen uns im Leben nicht kleiner machen, als wir sind. Aber die Frage ist, ob wir uns ständig größer machen wollen, als wir in Wirklichkeit sind. Eine andere Frage ist, ob wir mit unserer ganzen Existenz auf den verweisen, der größer ist als wir selbst: auf Christus, auf Gott. Oder aber in weltlicher Hinsicht: ob wir auf die Familie, auf die Gemeinschaft, auf die Firma, auf die Gesellschaft verweisen. Diene ich mit meiner Person einem Anliegen, das größer ist als ich selbst?
Christus ist für den Schweizer Psychoanalytiker C. G. Jung ein Bild für das Selbst. Das Ego muss abnehmen, damit wir zu unserem Selbst finden, damit alles, was wir tun, aus dem Selbst strömt, und nicht mehr aus dem Ego. Das Ego will imponieren. Das Selbst ist einfach. Und nur wenn wir einfach sind, verweisen wir auf das wahre Sein, auf Gott, den Grund allen Seins. Dazu ermuntert uns Johannes der Täufer.