Ist der Islam reformierbar? Genau damit befasst sich der britische Historiker und Journalist Christopher de Bellaigue. Zum Beispiel gab es in Ägypten, im Iran und in der Türkei nach 1800 eine breite Bewegung für Freiheit, Gleichheit und Demokratie und für einen weltlichen Staat. De Bellaigue schildert hintergründig und spannend den Kampf zwischen Glaube und Vernunft im Islam. Er bricht mit der Auffassung, die Aufklärung sei am Islam vorbeigegangen. Dennoch war die islamische Aufklärung von vielen Rückschlägen begleitet. Immerhin geht der Islam auf ganz andere Werte zurück als die des Westens.
Die Krise der islamischen Aufklärung begann bezeichnenderweise mit dem Ersten Weltkrieg, dem Untergang des Osmanischen Reiches und dem Vordringen europäischer Kolonialmächte in die Region. Jetzt brach ein Widerspruch zwischen den Werten der Freiheit, die der Westen verkündet, und seiner Kolonisierung auf. Der Ruf nach einer Rückkehr zu den eigenen „islamischen“ Wurzeln, zuerst gefordert von den ägyptischen Muslimbrüdern 1928, mündete in die Islamische Revolution des Iran von 1979 und schließlich in den gewaltbereiten Salafismus. Aber auch diese „Rückkehr“ zu den Wurzeln ist, so De Bellaigue, einem Supermarkt-Islam geschuldet, der sich vorwiegend über das Internet verbreitet. Ob die islamische Aufklärung in dieser selbstgemachten Supermarkt-Religion untergeht, wagt der Autor nicht zu sagen. Bodo Bost