Mystik im AlltagFranziskanisch

Der Papst-Film von Wim Wenders hat unseren Autor voll „erwischt“, wie er schreibt: „Auch Tage danach sehe ich groß das Gesicht von Jorge Bergoglio mir gegenüber – nachdenklich, humorvoll.“ Unter diesem Eindruck reflektiert Gotthard Fuchs seine eigene priesterliche Biografie.

Der Papst-Film von Wim Wenders (vgl. CIG Nr. 20, S. 227) hat mich voll „erwischt“. Auch Tage danach sehe ich groß das Gesicht von Jorge Bergoglio mir gegenüber – nachdenklich, humorvoll. Es strahlt jene Traurigkeit aus, „die von Gott kommt und zum Leben führt“ (2 Kor 7,10), die also um die Not der Mitmenschen weiß und um das Leiden der Mutter Erde. Welche Weite des Herzens! Vor allem überwältigt mich seine Entschiedenheit, die Ausgebeuteten und Armen in den Mittelpunkt zu stellen. Ja, er ist „ein Mann seines Wortes“, so der Titel des Films, mit prophetischer Gebärdensprache.

Dieser Mann ist nicht viel älter als ich. Wo lag, so überlege ich, bei mir der Schwerpunkt in den inzwischen 55 Priesterjahren? Wie lebe ich jetzt? Wo bin ich aus der bürgerlichen Gefangenschaft meiner Herkunft und der deutschen Kirche aus- und aufgebrochen, wenn überhaupt? Wo bin ich nur Mitläufer des Zeitgeistes geblieben und mache mit im bloß innerkirchlichen Betrieb und am intellektuellen und spirituellen Stammtischgerede? Ich komme mir kleinkariert vor. Der Papst spricht „nur“ aus, was ich längst weiß und was wohl jedem, der ein wenig nachdenkt, klar ist: Wir leben falsch, die unrechte Verteilung der Güter ist ein unglaublicher Skandal. „Nur ein bisschen ärmer werden“, empfiehlt Franziskus I., nur ein bisschen von dem leerstehenden Raum übrig haben für andere, nur ein bisschen mehr wirkliche Konversion und Alternative. „Mystik im Alltag“ – hier wird sie konkret, auf der Spur des barmherzigen Samariters aus dem Vatikan.

Es geht nicht um Heiligsprechung, weder des Papstes noch des Films. Er hat natürlich auch schwächere Szenen. Fast peinlich berührt es einen etwa, wenn der Papst kleine Kinder tätschelt. Und bei manchem, was er zu drängenden Kirchenthemen sagt, hätte ich mir mehr Profil und Perspektive gewünscht, etwa zum Thema Mann und Frau. Zudem muss ich – dies nur als jüngstes Beispiel – an das vatikanische Durcheinander beim sogenannten Kommunionstreit denken, den sich die deutschen Bischöfe leisten. Nein, auch der Papst macht nicht immer eine rühmliche Figur.

Aber er weiß das und sagt es. Wo sonst in der Welt gibt es Leute dieser Position, die Fehler öffentlich eingestehen und um Vergebung bitten? Seine Lehre ist einfach und eindeutig: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder und Schwester (nicht) getan habt, habt ihr mir (nicht) getan.“ Hochnäsig wirkt es deshalb, wenn ein etablierter Theologieprofessor dem Papst öffentlich vorhält, das sein Pontifikat „nicht gerade durch Klarheit in der Lehre bestimmt“ sei – als würde die in der Glaubenskongregation gemacht oder gar an deutschen Lehrstühlen und in Feuilletons, hinter denen angeblich immer ein kluger Kopf steckt.

Ich habe diesen Film just in den Tagen gesehen, in denen die deutsche Regierung sich selbst zerfleischt und das schwierige Flüchtlingsthema zum Alibi für Machtspielchen und Wahlkämpfe macht. Über Fluchtursachen und die eigene Verstrickung in das menschengemachte Elend ist da kein Wort zu hören. Alles zielt nur auf den weiteren Ausbau der Festung Europa. Welcher Welt- und Weitblick dagegen beim Papst! Da kann man lebendig konkretisiert sehen, was wir Christen seit dem Konzil als Summe des Evangeliums bezeichnen: dass Gott das Heil aller Menschen will. Das also wäre wahrhaft kat-holisch.

Manche werden den Papst weiterhin einen Idealisten nennen, vielleicht gar einen Illusionären. Aber war das bei Franz von Assisi anders? Erst recht bei Jesus von Nazaret? Und wieder die Frage an mich: „Adam, wo bist du?“ Und das nicht, um mich hier wichtig zu machen. Nein: Es ist der höchst persönliche Blick des Papstes in diesem Film, der zwingend zum Ich-Sagen einlädt, zum Wir-Sagen. Wie wäre es, wenn Kirchengemeinden öffentlich zu diesem Film einladen würden und es nachdenkliche Gespräche gäbe? Über den Film und mehr.

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