Die Glocken von Kühen, Ziegen und Schafen bimmeln auf den Weiden der Alpentäler. Idyllisch. Doch wie auf alten Musikkassetten ist da auch noch ein anderes Grundrauschen. Es kommt vom Straßenverkehr, der auf den Durchgangsautobahnen rollt, am Brenner, am Sankt Gotthard, am San Bernardino, am Simplon oder wo auch immer. Im Sommer gesellen sich zum üblichen Schwerlastverkehr die Urlauber, sofern nicht gerade Stau ist. Manche „Ruhepausen“ beginnen ja schon auf dem Asphalt bei brütender Hitze oder in schwülen Nächten. Meldungen über die Staulänge an den Alpenübergängen gehören zum Informationsritual wie der Wetterbericht.
Auch im Luftraum über Europa wird es eng. Seit dem Jahr 2000 hat der Personenflugverkehr um sechzig Prozent zugenommen. Angesichts manch extrem niedriger Flugpreise kann man fragen, wie sich das überhaupt rechnet. Während Tausende ihre Ferienziele ansteuern oder anfliegen, geht die Diskussion um die Klimaerwärmung weiter. Videoclips zeigen den Plastikmüll auf den Ozeanen. Bilder von Robben, die sich in Plastiknetzen verhedderten oder von Walen, die statt Plankton zu verdauen an Plastik kollabierten, wecken größere Emotionen als die Leichen im Mittelmeer.
„Bitte nicht schon wieder“, werden jetzt manche denken. Das kann man niemandem übel nehmen. Und es ist auch nur zu verständlich, dass die Skepsis vielerorts größer ist als die Zuversicht, all die Konferenzen und Abkommen würden zu einem Erfolg führen. Zu viele Beschlüsse wurden schon gefasst und dann, gleich einem Fetzen Papier, in der Luft zerrissen: Klimaabkommen, Friedensabkommen, Flüchtlingsabkommen. Von vielen Abkommen kommt man arg schnell ab.
Sich über die Klimaerwärmung aufzuregen und gleich darauf den nächsten Billig-Flug zu buchen, das gehört zu den Widersprüchlichkeiten unserer Gesellschaft. Ähnlich hilflos ist es, in den sozialen Medien Dampf abzulassen über die Politik und dann zu meinen, man habe es jetzt „denen da oben“ wieder mal gesagt. Überhaupt die Medien: Ständig liefern sie Stoff, über den man sich echauffieren könnte. Wer trotzdem mal Ruhe haben möchte, dessen Gewissen wird von Moralisten gepiesackt: Zu schlecht seien die Zeiten, um sich ausruhen zu dürfen.
Nüchtern betrachtet, ändert kein Kommentar etwas am Weltgeschehen, so wenig, wie das Jammern über das Wetter Sonne oder Regen hervorbringt. Das Tun des Einzelnen gleicht dem Flügelschlag eines Spatzen. „Ein Hauch nur ist jeder Mensch“, heißt es in Psalm 39. „Ich tu, was ich kann, dort wo ich bin, mit dem, was ich habe“, sagte mal einer. Und er ergänzte: „Ich kann nur so weit Hilfe leisten, wie meine Arme lang sind.“ Das mag als billiger Rückzug auf den kleinen, eigenen Lebenskreis erscheinen. Die Evangelien berichten, wie Jesus die Jünger aussandte, Menschen von Dämonen zu befreien und sie von Krankheiten zu heilen. Als sie zurückkehrten, sagte er zu ihnen: „Kommt an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus“ (Mk 6,31). Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Jünger alle Kranken heilen, alle Dämonen austreiben konnten. Das vermochte selbst Jesus nicht. Zwar gab er alles – sein Leben – am Kreuz. Doch vieles blieb und bleibt liegen, unerledigt, bis heute.
Trotzdem sagt Jesus: „Ruht euch ein wenig aus.“ Sich ausruhen bedeutet sich selber bescheiden. Wir können keine Weltenretter sein. Ich versuche zwar, Flüge zu vermeiden, benutze möglichst öffentliche Verkehrsmittel und gönne mir draußen im Garten auch Ruhepausen. Dann höre ich das ferne Rauschen der Autobahn auf der Nord-Süd-Achse. Das ist kein Hindernis, mich am Zwitschern und Pfeifen der Vögel zu erfreuen, welches das Rauschen übertönt.