Vor einem halben Jahrhundert hatte Papst Paul VI. ein Rundschreiben über die Weitergabe des menschlichen Lebens und die eheliche Liebe veröffentlicht: „Humanae vitae“. Nicht nur Katholiken diskutierten damals – und noch lange danach – über das im Text ausgesprochene Verbot sogenannter künstlicher Empfängnisverhütung. Als Unterhaltungsthema blieb das auch in der „Welt“ beliebt, um damit die „Rückständigkeit“ des katholischen Lehramts zu untermauern. Faktisch ist das Thema erledigt, für die seinerzeit fortpflanzungsfähige Generation ohnehin und für die heute sexuell aktive Generation sowieso. Allenfalls handelt es sich um Nachhutgefechte, die bestätigen, dass es zwar in der Fiktion der katholischen Lehre keine Brüche, keinen Wandel geben mag, in der Realität der Glaubenden aber sehr wohl.
Die Weitergabe des Lebens und das erfüllte Leben sind hingegen alles andere als Fragen von gestern. Gerade junge Leute treibt es um, wie sie die notwendige berufliche Entfaltung, die geforderte Mobilität, Flexibilität und Leistung mit ihrem Kinderwunsch, mit Fruchtbarkeit, Fortpflanzung, Sexualität sowie einer guten Partnerschaft verbinden können. Nur von einer „sexualfixierten“ Kirche wird dazu nichts mehr erwartet. Hilfe sucht man sich in den sozialen Netzwerken oder bei Freunden, zumal auch die Eltern für die heutige Situation oft keine Vorbilder mehr sein können.
Die Zukunft menschlichen Lebens beherrscht die Debatten. Wie wird sich Menschsein weiterentwickeln – humanistisch, transhumanistisch? Und das angesichts der atemberaubenden Fortschritte von Biomedizin, Genetik, Pharmakologie, Computerwissenschaft, Robotik bis hin zu künstlichen Prothesen für Gehirn, Nervensystem, Muskelpartien usw.? Papst Benedikt XVI. erinnerte im deutschen Bundestag 2011 daran, dass es eine „Ökologie des Menschen“ gebe. „Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann.“ Der Mensch müsse auf seine Natur hören, sie achten. Aber selbst diese Natur ist kein festes Gebilde. Sie hat sich in der Evolution hin zum Homo sapiens verändert. Wie wird der Mensch in 10000, 50000, 100000 Jahren Mensch sein als Natur und Kultur? Die Entwicklung des Gehirns zu immer höherer Komplexität hat ihn zu gesteigertem Abstraktionsvermögen plus Selbststeuerung befähigt. Diese Hirndynamik hat die Natur – auch die menschliche – nie nur bewahrt, sondern gewandelt. Die Menschwerdung endet nicht auf dem Stand von 2018. Das erlaubt nicht, alles mit dem Menschen zu machen. Aber die Weitergabe des Lebens, die Fortpflanzung, bleibt ein Abenteuer mit vielem, was wir nicht ahnen können, was dennoch geschehen und auch religiös vieles verändern wird. „Humanae vitae“ zeigt davon bloß eine winzige Facette.