Sexueller KindesmissbrauchDie halbierte Aufklärung

Der sexuelle Kindesmissbrauch durch Geistliche – wenn auch überwiegend zurückliegend in einer ferneren Vergangenheit – zieht die katholische Kirche weiter in den Sog des Verderbens und lässt sie nicht los. Doch hat die Wahrheit viele Wahrheiten, und nicht alle sind gleichermaßen beleuchtet.

Als offizieller „Pastoralbesuch“ in Irland war die Reise des Papstes nach Dublin eigentlich nicht geplant. Er wollte nur ein katholisches Weltfamilientreffen besuchen, um angesichts der weltumspannenden epochalen Krise der Ehe für mehr Stabilität dieser intimsten und bedeutendsten institutionellen Beziehung des Menschen zu werben, für Frustrationstoleranz und Vergebungs-, ja Versöhnungsbereitschaft der Partner. Gerade junge Leute möchte Franziskus I. ermutigen, trotz aller Wirrnisse und allen Versagens der „Vorbilder“ diese feste, lebenslange Bindung zu wagen. Vor mehreren hundert jungen Paaren sagte der Papst, die Welt brauche „eine Revolution der Liebe“. Sie beginne in den Familien. Die eheliche Liebe sei eine Reise, „die nach Gottes Plan eine Verpflichtung für das ganze Leben mit sich bringt“.

Solche Botschaften interessieren die Medien allerdings kaum. Sie kümmert es wenig, dass sich die wichtigste kulturelle Errungenschaft der Menschwerdung, die Einehe, zusehends auflöst hin zu einer allenfalls seriellen „Monogamie“ mit extrem vielen Ehescheidungen und Dramen, die vor allem die Kinder traumatisieren – zum Schaden ihrer Seele wie der Gesellschaft. Die Sexualisierung der Kultur, die allumfassende sexuelle Liberalisierung seit gut einem halben Jahrhundert mit Partnerwechseln, begünstigt durch die empfängnisverhütende „Pille“, wäre einmal eine Gewissenserforschung und kritische Sichtung durch den unabhängigen und angeblich stets kritischen Journalismus wert.

Aber die Macher der veröffentlichten Meinung scheuen aus Gründen politischer Korrektheit die dunkle Wahrheit. Hingegen strotzen die Boulevardseiten der Magazine sowie die elektronischen Boulevard-Netzwerke vor Meldungen, wer aus der Welt der Prominenz und des Showbusiness schon wieder – nach kürzester Zeit – seinen Partner, seine Partnerin verlassen hat und den nächsten, die nächste auf den Unterhaltungslaufstegen vorführt. Selbst virtuell, etwa in Fernsehkrimis und Fernsehspielen, gibt es so gut wie keine funktionierende Ehe mehr. „Patchwork“ ist nicht bloß in den Filmkomödien selbstverständlich immer prima. Daher gibt es darüber keine Tragödien, während in der Realität die Scheidungstragödien den Nachwuchs seelisch zerreißen. Aber in der von den Erwachsenen gemachten und allen verkündeten Fiktion verstehen sich die Kinder aus verschiedensten Beziehungen bis auf kleine Reibungen stets wunderbar. Alles überhaupt kein Problem, Harmonie allenthalben. Seltsamerweise nur wundern sich Lehrerinnen und Lehrer über Aggressivität in den Schulen, über Disziplinlosigkeit von Schülern wie Eltern, über zunehmend massive Konzentrationsstörungen beim Lernen. Haben die Unterrichtenden bloß ein falsches Bewusstsein? Redet Wahrheit! Das sollte nicht zuletzt auch angesichts dieses gesellschaftlich-kulturellen Problemfelds gelten, das ein Minenfeld ist, das kaum jemand zu betreten wagt.

Bei euch aber soll es nicht so sein!

Ein anderes Minenfeld explodiert – und hat vor allem die katholische Kirche aufs Schwerste getroffen: der grauenhafte sexuelle Missbrauch von Minderjährigen durch Geistliche. Die Debatte hat sich in der Berichterstattung auch über das eigentliche Anliegen von Franziskus in Irland geschoben. Der Bischof von Rom konnte mit noch so drastischen Worten die Schuld der Kirche beklagen, bekennen und um Vergebung bitten. Es hilft nichts. Mit der Offenlegung des sexuellen Missbrauchs ist die katholische Glaubensgemeinschaft in einen Sog des Misstrauens und der offenen Feindschaft geraten, aus dem sie nicht mehr herausfindet. Dem Glaubwürdigkeitsverlust folgt der Glaubensverlust, weniger bei den Opfern als beim Publikum.

Das Ausmaß der sexuellen Perversionen war noch vor wenigen Jahren nicht zu ahnen. Dabei gab es Hinweise. Seit 2010 folgt fast im monatlichen Takt eine „Offenbarung“ derart krimineller Taten nach der anderen – und der Vertuschungsaktionen kirchlicher Oberer. Damit die „Gerüchte“ verstummen, wurden die Verbrecher einst häufig bloß auf eine andere Stelle versetzt, wo sie aber wieder in Kontakt mit Kindern kamen. Versuche, die Fehlentscheidungen mit Nichtwissen zu entschuldigen, damit, dass die Krankheit Pädophilie seinerzeit noch nicht hinreichend erforscht war und dass ja auch im schulischen Bereich auffällig gewordene Lehrer bloß weitergereicht wurden, laufen ins Leere. Denn: „Bei euch aber soll es nicht so sein!“ Gerade weil die Kirche sexuelle Sünden stets streng beobachtet und verurteilt hat, hätte sie wachsam sein müssen, erst recht, wo es Kleriker betrifft.

Wie aber soll man das entsetzliche Versagen erklären? Viele Faktoren kommen zusammen, die manches verstehen lassen, aber keineswegs entschuldigen. Zum Beispiel dass Institutionen jedweder Couleur sich als stabiler Anker des gesellschaftlichen, staatlichen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens sehen und daher grundsätzlich als „unantastbar“ wähnen. Für den Soziologen, Philosophen und Anthropologen Arnold Gehlen (1904–1976) zum Beispiel ist der Mensch ein von Instinkten entbundenes, weltoffenes Wesen, anders als das Tier ein „Mängelwesen“, das wegen seiner Instinktarmut Institutionen braucht, die es leiten, die ihm zu einer gesunden Entwicklung, zur Menschwerdung verhelfen. Die wesentlichen Erst-Institutionen sind Familie, Staat, Kirche. Sprache, Rituale und Kulte helfen als Werkzeuge, sich in der Welt zurechtzufinden und Welt zu gestalten. Weitere Institutionen kommen hinzu, die zum Beispiel das Recht regeln, die Ökonomie oder die Ökologie. Institutionen entfalten dementsprechend ein Eigenleben, üben Selbstschutz. Im Notfall versuchen sie, diesen mit Halbwahrheiten oder Lügen aufrechtzuerhalten, weil die Eigenstabilität dazu dient, die kollektive Stabilität zu sichern, Verwirrung und Verunsicherung bei den Menschen vorzubeugen. Meistens soll aber nur der eigene Vorteil, die eigene Macht bewahrt werden.

Die „heilige“ Institution

Ein jüngeres Beispiel dafür sind die Autokonzerne und deren Management. Sie haben mit elektronischen Tricks Fachleute wie Bevölkerung über die wahren Abgaswerte getäuscht, die Prüfergebnisse der Standardmessungen elektronisch manipuliert. Auch eine Institution wie die des amerikanischen Präsidenten ist unantastbar, egal, wie unmoralisch sein Lebenswandel, sein persönliches Lügengerüst auch sein mögen. Er steht immun außerhalb des Gesetzes, jedenfalls solange er im Amt ist und nicht über ein – allerdings sehr kompliziertes – Verfahren abgesetzt wird.

Die katholische Kirche fühlt sich als Ganze sogar mit theologischem Überbau unfehlbar, heilig, über die Niederungen des Daseins erhoben. Ihre Amtsträger haben über Jahrhunderte den Nimbus persönlicher Heiligkeit, göttlicher Berufung und moralischer Integrität genährt. Das Volk hat das trotz mancher Zweifel gläubig hingenommen. Ein Priester – nein, der kann solch schlimme Sachen nicht tun. So wurden der Geistlichkeit Kinder und Jugendliche nicht nur zu deren religiöser Erbauung, sondern auch zu ihrer allgemeinen Erziehung anvertraut mit der Mahnung, gegenüber der göttlich berufenen und eingesetzten Autorität demütig und gehorsam zu sein. Nicht zufällig war gerade deshalb in eng geschlossenen katholischen Systemen sexueller Missbrauch keine Seltenheit. Umso größer ist die Bestürzung, wenn auch bei den heiligsten Institutionen und heiligmäßigsten Gruppen zutrifft: Hochmut kommt vor dem Fall. Wer sich selbst bis ins Himmlische erhöht, stürzt besonders tief, wenn die ungemütliche Wahrheit ans Licht kommt. Die Menschen erkennen jetzt: Auch die Kirche ist ein weltlich Ding! Vielleicht ist diese Entmythologisierung das einzig Tröstliche am Missbrauchs-Grauen.

Die sexuelle Revolution frisst ihre Kinder

Ein weiterer Faktor, der sexuellen Missbrauch begünstigt hat, scheint doch mit der schrankenlosen sexuellen Liberalisierung spätestens seit den sechziger Jahren zusammenzuhängen. Die Kritik an der „Sexualfeindlichkeit“ der kirchlichen Moral hat im Gegenzug falsche Toleranz begünstigt und die auf natürliche Weise triebhafte Versuchbarkeit des Menschen vielfach zur sexuell „ausgelebten“ Versuchung gesteigert. Die Sexualität dürfe man – wie es meistens heißt – lustbetont „ausleben“: Das gilt im einschlägigen Propagandaton weiterhin als Maß für Befreiung von „böser“ kirchlicher moralischer Bevormundung, als Lebensqualität. Mit der größeren Offenheit für verschiedene sexuelle Praktiken und angesichts des gesamtgesellschaftlichen Trends hin zu sexueller Freizügigkeit wurden auch Abartigkeiten nicht mehr als sündig, verwerflich oder gar pervers beurteilt. Auch innerkirchlich ließ man – selbst im Beichtstuhl – mehr Nachsicht und Milde walten, offenbar auch gegenüber entsprechendem Fehlverhalten von Seelsorgern.

Noch ist dieser Komplex nicht hinreichend erforscht, doch wurden in früherer – vorkonziliarer – Zeit Priester, die sich sexuell etwas zuschulden kommen ließen, anscheinend viel radikaler aus ihrem geistlichen Amt entfernt als nachkonziliar im Gefolge des sexuellen Laisser-faire. Aus dieser Zeit aber werden die allermeisten Missbrauchsfälle berichtet. Warum hätte man kirchlich strenger sein sollen als jene außerparlamentarischen, alternativen, grünen und politisch linken „progressiven“ Kreise, in denen Sex mit Kindern damals als geradezu reformpädagogisch nützlich erachtet wurde? Während die katholische Kirche heute unentwegt am Pranger steht, haben sich jene sündigen Gruppierungen und Persönlichkeiten nach einem kurzen Aufwallen der Empörung rasch „entschuldigen“ und schon wieder verstecken können, als sei im Grunde nichts gewesen. Es habe sich damals eben um irrige Vorstellungen gehandelt, die man heute selbstverständlich als falsch zurückweise.

Viele andere Institutionen mit Kindernähe stehen in Sachen Kindesmissbrauch keinen Deut reiner da als die Kirche, deren Untaten immerhin größtenteils in einer ferneren Vergangenheit liegen. Aber die anderen scheinen gegenwärtig die Öffentlichkeit weniger zu interessieren. So wurde aktuell in einer Zeitung nur in einer kaum dreißig Zeilen langen dpa-Nachricht gemeldet, dass sich der Turntrainer eines Sportvereins in Weimar an den ihm anvertrauten Mädchen in achtzig Fällen über Jahre hinweg vergangen habe. Auch so wird über die Berichterstattung Realität gemacht, aufgebläht oder minimiert, verzerrt oder vertuscht, jedenfalls manipuliert, wenn auch vielleicht unbedacht, unbewusst.

In der Barmherzigkeitsfalle

Die kirchliche „Verschwiegenheit“ in Sündenangelegenheiten war zweifellos auch der Theologie des Beichtsakraments und der Heiligkeit des Beichtgeheimnisses geschuldet und wurde deshalb aufrechterhalten, zum Unverständnis einer religiös ahnungslos gewordenen Gesellschaft. Dagegen akzeptiert diese weiterhin fraglos bei weltlichen Institutionen etwa das Arztgeheimnis, die Anwaltsschweigepflicht oder die Geheimdienst-Verschwiegenheit. Denn das alles diene ja dem Persönlichkeitsschutz oder dem Staatsschutz. Nur im sakralen Kontext der Kirche will das die säkularisierte Öffentlichkeit nicht mehr dulden. So ist inzwischen auch das Kirchenasyl, das in früheren Zeiten zumindest theoretisch – und geradezu magisch besetzt – ein archaischer sakraler Schutz für Verfolgte und Bedrängte war, nicht mehr gesellschaftsfähig, verteidigt bloß noch von „unverbesserlichen“ einzelnen Aktivisten für Flüchtlinge, die sonst angeblich zu Unrecht abgeschoben würden. Das kirchliche Sonderrecht, das auch ein Strafrecht vorsieht, soll sich nach landläufiger Meinung und EU-Recht der rein weltlichen Gerichtsbarkeit beugen.

Das Bußsakrament ist freilich kein Bestrafungssakrament, sondern ein Heilssakrament, ein Gnadensakrament, ein Versöhnungssakrament. Das könnte der Grund dafür sein, warum bei sexuellem Kindesmissbrauch – wie auch bei anderen sexuellen Vergehen – dem Täter eine „Begnadigung“ gewährt wurde, sofern er gebeichtet hatte. Das liegt in der Logik dieses Sakraments: Gewissenserforschung, Reue, guter Vorsatz und Buße sind mit der Lossprechung des Sünders von der Sünde verbunden, mit Vergebung also. Dafür gibt es heute in einer streng über andere richtenden Gesellschaft kein Verständnis mehr. Sie sucht selbst bei strukturellen, nicht persönlich zu verantwortenden Unglücken stets hartnäckig nach Schuldigen, während der Einzelne bei persönlichen Vergehen dem Unschuldswahn huldigt. In der Kirche dagegen ist die Sündenvergebung das Fundament der frohen Botschaft von Erlösung und Befreiung des Menschen zu seinem zeitlichen wie ewigen Heil.

„Deine Sünden sind dir vergeben.“ Mit diesen Worten geht gemäß biblischem Befund das Heilshandeln Jesu der Heilung des Menschen an Seele und Leib voraus. An diesem Heilswirken kann die Kirche nicht rütteln lassen. Sie selbst versteht sich als Heilssakrament, das gemäß göttlichem Auftrag in der Nachfolge Jesu unter dem Beistand des Heiligen Geistes zum Heil der Menschen wirken soll in Wort und Werk, als Heilsinstrument, als „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“. So hat es das Zweite Vatikanische Konzil gleich zu Beginn seiner dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen gentium“ formuliert. Würde die Kirche die Sündenvergebung – um es in der Sprache der Ökonomie auszudrücken – als „Markenkern“ preisgeben, würde sie ihren Bezug zu Christus verleugnen, sich damit selber aufgeben.

Hier aber liegt ein Problem: Die Barmherzigkeitsfalle ist die Kehrseite des hehren Lobpreises der leiblichen wie geistigen Werke der Barmherzigkeit. Wie weit darf Barmherzigkeit gehen, und wo hat sie zu enden? Papst Franziskus hatte ein heiliges Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. Diese Barmherzigkeit macht ihn, den gütigen, volkstümlichen und volksnahen Franziskus I., gerade beim Volk so beliebt, offenkundig nicht nur beim Kirchenvolk! Ist er mit seiner Güte und Barmherzigkeit auch gegenüber sexuellen Missbrauchstätern womöglich zu weit gegangen, so dass ihm dies nun „auf die Füße fällt“? Dieser Verdacht wurde neuerdings gestreut. Es gibt anscheinend gewisse Hinweise darauf, dass der Bischof von Rom in einzelnen Fällen zu nachsichtig gewesen sein könnte, ja dass er vom Vorgängerpapst erlassene Bestrafungen in einzelnen Fällen abgemildert haben könnte. Oder hat er manche Anzeige beziehungsweise mündliche Information nicht aufmerksam genug wahrgenommen, ist dem nicht nachgegangen? Lässt sich eventuell die Unachtsamkeit mit der charismatisch-populistisch-spontanen Art von Franziskus I. erklären, dem es nicht so liegt, konzentriert Akten zu studieren, Eingaben zu prüfen, Entscheidungen und Wünsche rechtsverbindlich und schriftlich zu fixieren, was er lieber an Untergebene delegiert? War Franziskus I. doch nicht hellhörig genug? Die chilenischen Missbrauchsfälle hatte er offensichtlich gravierend fehleingeschätzt und einen Journalisten auf peinliche Weise zurechtgewiesen, sich bitteschön besser zu informieren, obwohl dieser tatsächlich besser informiert war als der Papst. Ein schwerer Fehler, der sich rächt, der gerade von päpstlich gescholtenen stolzen Medienleuten nicht so rasch verziehen wird.

Männerbündisches Priestertum

Genauer bedacht werden müsste auch, ob durch den bloß in der lateinischen Teilkirche der katholischen Kirche verpflichtenden Zölibat für Weltpriester in den letzten Jahrzehnten nicht doch eine enggeführte Auswahl für diesen Dienst gewonnen wurde. Der Verdacht lässt sich nicht länger abschütteln, dass die männerbündischen Beziehungen im geistlichen Amt – bereits in den Seminaren – verlockend sind für Personen mit homosexuellen Neigungen. Homosexualität begünstigt in sich nicht Pädophilie. Das ist medizinisch längst erkundet, zumal es Pädophilie auch bei heterosexueller Veranlagung gibt. Aber es scheint eine auffällige Durchschnittsmenge von homophilen und pädophilen Neigungen zu geben. Personen mit pädophilen Veranlagungen werden von Berufen angezogen, die viel mit Kindern zu tun haben.

Es ist gut und richtig, dass die katholische Kirche – wenn auch sehr spät – erkannt hat, dass sexueller Missbrauch ein schweres Verbrechen ist und strikt aufgeklärt, auch von weltlichen Gerichten bestraft werden muss, um Kinder und Jugendliche in Zukunft besser zu schützen. Nicht richtig und nicht gut ist, wenn die Mainstream-Medienwelt über alle Maßen bevorzugt und eindimensional die Kirche an den Pranger stellt, während viele weltliche Institutionen, die da kein bisschen reiner sind, sich wegducken und unschuldig geben können. Einst hatte man gehofft, dass die kirchliche Selbstoffenbarung und Selbstanklage ein Türöffner sein könnte, um die Ausmaße sexuellen Kindesmissbrauchs in den Gesellschaften und Kulturen offenzulegen und vorbeugend einzugreifen. Das ist bisher nicht der Fall. Allenfalls bloß sporadisch erschüttern entsetzliche „weltliche“ Verbrechen bis hin zu Kinderpornografie und Kinderzwangsprostitution, wie soeben aus dem Südbadischen gemeldet, die Öffentlichkeit. Meistens selbst das nur kurzzeitig, um bald wieder vergessen zu werden und zur Tagesordnung zurückzukehren.

Was Öffentlichkeit (nicht) angeht

War es klug, dass 2010 mutige Leute solchen Missbrauch an Jesuitenschulen gegenüber den Medien bis in Einzelheiten hinein ausbreiteten und damit eine Dauerwelle von Verdacht, Vorurteilen und Feindschaft gegen die Kirche in Gang setzten? Oder hätte man Aufklärung auch auf andere Weise erreichen können? Jedenfalls gehören Verbrechen zuerst vor die Gerichte und dort vor ein internes Forum gewissenhafter richterlicher Prüfung sowie konsequenter Bestrafung. Wenn die Fälle strafrechtlich bereits verjährt sind, geht das die Öffentlichkeit schon gar nichts an. Wohl aber geht es die Kirchenleitungen an, den Opfern intensiv zu helfen, ihr Trauma zu bewältigen – und mit ausreichenden finanziellen wie therapeutischen Möglichkeiten den Leidenden beizustehen. Die breite Öffentlichkeit allerdings geht es an, über die Zusammenhänge von Pädophilie, Missbrauch und Hypersexualisierung der Kultur aufgeklärt zu werden. In vielem war die katholische Kirche leider kein Vorbild. In Letzterem aber sehr wohl. Nur möchte eine in sexuellen Dingen liberalistische und vielfach promiske Gesellschaft dieses angeblich aufgeklärten Zeitalters die politisch unkorrekten Fakten über die Schattenseiten der sexuellen Revolution, deren Perversionen, nicht hören. Die Kirche hat mit ihren sexuell verklemmten, prüden Lehrbotschaften in der Vergangenheit schwer gesündigt. Das hängt ihr jetzt nach. Aber der Liberalismus totaler sexueller Freizügigkeit im Namen einer allumfassenden Emanzipation, die neue Opfer und Sklaven schafft, hat nicht minder schwere Schuld auf sich geladen. Die Gleichgültigkeit hat schwere Bindungsverluste produziert, ganz besonders in Ehe und Familie, und in den Seelen vieler durch Scheidungen neurotisierter Kinder schlimmsten Schaden angerichtet. Vielleicht denkt diese Kultur irgendwann doch auch darüber mal nach. Was ist Aufklärung? Hervortreten aus selbstverschuldeter Unmündigkeit. Bisher haben wir es mit einer bloß halbierten Aufklärung zu tun. Die Protagonisten der weltlichen Welt haben da noch erheblichen Nachholbedarf samt ihren Leitmedien und meinungsbildenden „Vorbildern“. Aufgeklärter sollten auch die Aufklärer sein.

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