Menschen glauben an Gott. Auch in unserer Zeit. Der christliche Glaube hatte schon immer vielfältige Ausdrucksweisen, und dennoch wird der Glaube der Einzelnen gebündelt im Glauben der Kirche. Glaube geschieht in Gemeinschaft, und Glaube bildet Gemeinschaft. Papst Benedikt XVI. hat das schöne Wort geprägt: „Wer glaubt, ist nie allein.“ Das war 2011 das Motto seiner Reise nach Deutschland. Es ist gut, dass auch CHRIST IN DER GEGENWART seit siebzig Jahren an der Vermittlung des Glaubens und dem kritischen Diskurs über den Glauben mitwirkt und durch seine Debatten dazu beiträgt. Dafür bin ich dankbar.
Im Zentrum allen Lebens der Kirche steht der Glaube an den Dreifaltigen Gott, der durch die Kirche öffentlich bezeugt wird. Auch nach vielen Jahren, in denen ich in diesem Glauben zu Hause bin, bleibt es für mich das größte Abenteuer meines Lebens und Denkens, den Weg in die Gemeinschaft mit diesem unbegreiflich liebenden Gott, der sich offenbart und schenkt als Vater, Sohn und Heiliger Geist, zu finden. Bei aller Krise des Glaubens, die mancherorts zu spüren ist, möchte ich zum Glauben und zum Zeugnis für den Glauben ermutigen. Es ist die zentrale Aufgabe der Kirche, Wege für alle Menschen aufzuschließen und zu eröffnen, Gott zu finden und sich von ihm finden zu lassen.
Überraschung Gott
Gott ist nicht unser Eigentum. Gott gehört uns nicht. Auch als Kirche stehen wir anbetend und schweigend und staunend vor ihm. Aber wir haben den Auftrag zu zeigen, dass der Unbegreifliche begreifbar geworden ist in Jesus Christus. Papst Franziskus hat in seinem Apostolischen Schreiben „Gaudete et exsultate“ davor gewarnt, Gott vereinnahmen zu wollen durch Allwissenheit oder Machtansprüche, durch Überhöhung oder Banalisierung des Glaubens, denn: „Gott übersteigt uns unendlich, er ist immer eine Überraschung, und nicht wir bestimmen, unter welchen geschichtlichen Umständen wir auf ihn treffen, denn Zeit und Ort sowie Art und Weise der Begegnung hängen nicht von uns ab. Wer es ganz klar und deutlich haben will, beabsichtigt, die Transzendenz Gottes zu beherrschen“ (Nr. 41).
Die Gemeinschaft des Volkes Gottes muss sich vielleicht heute mehr denn je darauf besinnen, was es heißt, zu glauben und diesen Glauben zu bekennen, auch öffentlich, aber als Einladung, nicht als selbstsichere Behauptung. Wir erleben ja, dass Kirche und Glaube öffentlich hinterfragt werden. Säkularisierung in unserem Land ist kein Fremdwort, sondern Realität. Zugleich spielt Religion ganz allgemein in den öffentlichen Debatten wieder eine stärkere Rolle, vor allem im Bezug zu politischen Positionen, aber auch im Blick auf die Verschiedenheit der Religionen. Wenn sich auch die alte Säkularisierungsthese nicht bestätigt hat, so bleibt doch für die Kirche die große Herausforderung einer wirklichen Evangelisierung in einer Welt, in einer Kultur, in der etwa Transzendenz nicht wie selbstverständlich zum Leben dazugehört und sich die Wahrheit der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus lebenspraktisch beweisen muss. Das Alter und die Autorität einer Institution schützen weder vor dem Niedergang, noch reichen sie aus als Quelle der Erneuerung.
Kirche der Weite
Christen werden als Gemeinschaft der Glaubenden, mit ihrer Botschaft und ihrem Dienst gefragt. In einer global vernetzten Welt mit vielgestaltigen Wertsystemen, Überzeugungen, Glaubenssätzen wird es zunehmend wichtiger, für die eigenen Positionen auch überzeugend eintreten zu können. Auch in unseren Tagen müssen Menschen noch leiden, wenn sie ihren Glauben öffentlich bekennen, und werden um ihres Glaubens willen verfolgt. Wir sollten darüber nachdenken, ob es nicht auch für uns, die wir nicht verfolgt werden, in der Gemeinschaft aller Glaubenden weltweit ein Zeichen der Geschwisterlichkeit sein könnte, beim Beten des Glaubensbekenntnisses und bei der zusammenfassenden Kurzformel unseres Glaubens, dem „Amen!“, immer auch jene Schwestern und Brüder in unseren Herzen einzuschließen, die dieses „Amen!“ in Regimen und Systemen dieser Welt nicht frei aussprechen dürfen.
Aus dem Glaubensbekenntnis will ich einen Satz herausnehmen, der die Weite des christlichen Glaubens ermessen lässt. Wir beten „Ich glaube an die Kirche“ und entfalten dieses Bekenntnis in vier Adjektiven: einig, heilig, katholisch und apostolisch. An diesen vier Adjektiven lassen sich ganze Ekklesiologien entfalten, doch das kann ich hier gar nicht leisten. Ich will aus meiner persönlichen Sicht vier wesentliche Punkte nennen, die für mich auch maßgeblich sind in der Frage der Erneuerung des christlichen Glaubens.
Ich glaube an die eine Kirche. Die Hoffnung, dass die Kirche eins wird, treibt uns um. Einheit in der Vielfalt – sowohl in einer Pfarrei, wie in den Lebensstilen, wie in den Kulturen und vor allem in der Ökumene. Wir können keine Kirche sein, die uniform ist, sondern wir müssen eine Kirche sein, die die Vielfalt annimmt, liebt und im Glauben gestaltet. Dass dies eine große theologische Herausforderung ist, versteht sich von selbst. Und ebenso ist es eine weiterhin bleibende Herausforderung im ökumenischen Gespräch, zu dem wir uns gemeinsam verpflichtet haben. Haben wir Mut zur Vielfalt, die sich im Glauben eint!
Ich glaube an die heilige Kirche. Und schon kommt die Frage auf: Kann diese Kirche – nach all der Geschichte in früherer und jüngerer Zeit – wirklich heilig sein? Aber Heiligkeit ist nicht zuerst eine moralische Kategorie. Mit dem Begriff „heilig“ verbinde ich die Frage nach der Transzendenz, nach der Begegnung mit Jesus Christus. Wo sind Orte des Glaubens, an denen nicht der Mensch etwas macht, sondern Gott an uns handelt? Diese Orte nennt die Kirche Sakramente, denn in ihnen ist Christus der eigentlich Handelnde. Für mich sind die Sakramente Orte der Heiligkeit, an denen Gott den Menschen in besonderer Weise begegnen will. Die Heiligkeit der Kirche bedeutet in diesem Sinne auch den Aufruf zuzulassen, dass in ihr etwas geschieht, das nicht von ihr selbst, sondern von Gott kommt. Deshalb ist eine wirklich geistlich gefeierte Liturgie ein zentrales Anliegen in der Gegenwart und für die Zukunft des christlichen Glaubens. Seien wir mutig, Gott Raum zu geben!
Ich glaube an die katholische Kirche. Wenn Papst Franziskus davon spricht, an die Peripherien zu gehen, dann heißt das: bis an die Grenzen der Erde, an die Grenze des Menschen zu gehen, um das Evangelium zu verkünden, damit das Evangelium alle Menschen erreicht. Das meint „katholisch“, umfassend, und das ist der Auftrag aller Glaubenden in der Kirche. In dem Schreiben „Evangelii gaudium“ hat Papst Franziskus die Kirche erinnert, was Katholizität bedeutet: „In den verschiedenen Völkern, die die Gabe Gottes entsprechend ihrer eigenen Kultur erfahren, drückt die Kirche ihre authentische Katholizität aus und zeigt die ‚Schönheit dieses vielseitigen Gesichtes‘“ (Nr. 116). Wagen wir es also, in diesem ursprünglichen Sinn wirklich katholisch zu sein! Und katholisch meint nicht die Konfession, sondern wagt den Blick auf alle Getauften, die zum Leib Christi gehören.
Ich glaube an die apostolische Kirche. Die Apostolizität führt uns zurück an den Anfang. Das Bekenntnis zur apostolischen Kirche meint, wir glauben denen, die am Anfang den Weg gegangen sind von der Ostererfahrung her, den Aposteln. Sie sind Urzeugen der Auferstehung, Urzeugen des Glaubens. In dieser Linie sind die Bischöfe Nachfolger der Apostel. Das ist ein hoher Anspruch, gewiss. Aber mit diesem Anspruch wird deutlich, dass wir verbunden sind mit dem Ursprung: Wir machen die Kirche nicht neu, wir fangen nicht beim Punkt Null an, sondern wir gehen mit auf dem langen Weg des Volkes Gottes, ausgehend und geleitet vom Evangelium. Seien wir mutig, in dieser Nachfolge unsere Schritte zu gehen und Apostel, Boten des Evangeliums zu werden.
Frohmachende Zeugen
Das Glaubensbekenntnis, das Amen zu diesem Glauben, verbindet uns Christen, stärkt die Gemeinschaft. Deshalb wünsche ich mir, dass wir uns auch in Zeiten der Krise stets neu zu diesem Glauben bekennen. Als gläubige Menschen vertrauen wir dem Wort Jesu: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Diese Verheißung, dass Jesus Christus mit uns geht, bedeutet aber nicht, dass wir nicht all unsere Fähigkeiten, all unsere Kräfte, all unser Denken mobilisieren müssen, um auf die Herausforderungen der Zeit zu antworten und Kirche für die Menschen zu sein. Es geht ja nicht um das Überleben der Institution Kirche. Sondern es geht darum, mit unserem Glauben und unserer Glaubensüberzeugung, ja unserer Glaubenskraft möglichst vielen Menschen das Evangelium von Jesus Christus zu verkünden und Zeichen des Reiches Gottes zu sein. Somit sind weder der Glaube noch die Kirche Selbstzweck oder ein geschlossener Kreis, der sich selbst genügt und froh ist, dass nicht so viele diese Kreise stören. Im Gegenteil: Der personale Glaube ist in der Gemeinschaft ausgerichtet auf die ganze Welt, auf jeden einzelnen Menschen.
Dieser missionarische, evangelisierende Impuls, der auch besonders von Papst Franziskus gestärkt wird, sollte uns helfen, frohmachende Zeugen des Glaubens in der Welt von heute zu sein. Neue Wege, Antworten auf aktuelle Herausforderungen finden wir in der Vielfalt der geistlichen Suche, indem wir miteinander sprechen und uns im Glauben austauschen. Zum Glauben gehört auch die Dimension des Handelns, die Praxis des Glaubens. Deshalb legt Papst Franziskus in „Gaudete et exsultate“ großen Wert auf die Seligpreisungen und folgert daraus: „Das Christentum ist nämlich vor allem dafür gemacht, gelebt zu werden; wenn es auch Gegenstand von Reflexion ist, so hat dies nur Wert, wenn es hilft, das Evangelium im Alltag zu leben“ (Nr. 109).