Jesu Heilung des TaubstummenArmes, reiches Wort

Jedes kluge Wort arbeitet mit am göttlichen Schöpfungswerk und hat die Kraft zu heilen.

Der amerikanische Filmregisseur Billy Wilder (1906–2002) erzählte gern davon, wie er sicherstellen wollte, dass ihm die glänzenden Ideen, die er im Traum hatte, nicht verloren gingen. Er legte sich stets ein Notizbuch neben das Bett und nahm sich vor, im Halbschlaf den kommenden Geistesblitz aufzuschreiben. Eines Nachts war es so weit. Wilder notierte eine offenbar prächtige Filmidee. Als er am nächsten Morgen aufwachte, las er: „Boy meets girl“, „junger Mann trifft junge Frau“.

Diese Anekdote ist mehr als nur die ironische Selbstbeschreibung eines epochalen Filmemachers, der ständig auf der Suche nach spektakulären Stoffen war. Sie bringt eine Erfahrung auf den Punkt, die allen zugänglich ist. Es ist eher Regel als Ausnahme, dass zwischen der Eingebung und dem gesprochenen Wort, zwischen der ursprünglichen Idee und ihrer Realisierung, ein Abgrund klafft. Wie großartig ein Traum auch scheint, wie gut sich ein Konzept auch anfühlt – ohne Mühe und Schweiß, ohne Reibungsverluste kommt nichts Wertvolles zustande. Gerade der kreative Mensch braucht viel Sorgfalt und Disziplin, damit aus „Junger Mann trifft junge Frau“ ein berührender Liebesfilm, aus „Ein Gauner, eine Bank, ein Fluchtauto“ ein packender Krimi wird. Vergleichbares gilt auch für eine Predigt oder einen Artikel, für eine Unterrichtsstunde oder eine sinnvolle Ansprache zum runden Geburtstag. Die menschliche Existenz ist in der Tiefe durch das Wort geformt. Das Wort deutet und beflügelt den grauen Alltag. Doch es will gepflegt sein, öffnet seine Reichtümer nur dem, der ihm Achtung, ja Liebe erweist. Ansonsten wird es zum Geschwätz, zur Propaganda.

Die Welt, wie sie sein sollte

Die biblische Erzählung vom Taubstummen und seiner Heilung (Mk 7,31–37) mag man, wie alle Heilungsgeschichten der Evangelien, eher als ein Glaubenszeugnis denn als ein medizinisches Wunder auffassen. Wo Jesus präsent ist, so der Leitgedanke, wo er Notleidende berührt und diese sich von ihm berühren lassen, dort kann niemand taub oder stumm bleiben. Dort zeigt sich die Welt, wie sie sein sollte: „Er hat alles gut gemacht!“, heißt es am Schluss, und das erinnert selbstverständlich an „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut!“, an den Abschluss der ersten Schöpfungserzählung im Buch Genesis (1,31).

Das ist eine ermutigende, eine kräftigende Vision vom Alpha und vom Omega. Doch stehen wir nicht am Zielpunkt. Wir sind unterwegs und mittendrin. Wie eh und je ist die Welt von einer höchst verwirrenden Gemengelage aus Schönheit und Schmerz, aus Liebe und Hass, aus Fortschritt und Perversion geprägt. Kommen wir jemals aus dieser Spirale heraus? Die christliche Weltsicht baut nicht auf alberne Spekulationen. Sie formuliert so vertrauensvoll wie bodenständig: „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe“ (1 Kor 13,13). Das ist eine Kurzformel des christlichen Glaubens wie Handelns. Sie macht uns zu Hörern des Evangeliums, zugleich zu Gesendeten.

Ohne das Wort aber ist diese Sendung nicht möglich. Unser Glaube will bedacht und ausgesprochen sein. Unsere Hoffnung bleibt lebendig, wenn wir sie teilen. Unsere Liebe äußert sich in Blicken und Handreichungen genauso wie in der verbindlichen Zusage. So sind wir gerade dort, wo es um alles, um die „göttlichen Tugenden“ geht, auf unser armes, reiches Wort angewiesen.

„Ich möchte Sie fragen, was das Wort ist, was ist / Klarheit, warum brennen Worte / nach hundert Jahren noch, trotz der Schwere / der Erde“, so der polnische Dichter Adam Zagajewski in seinem Text „Gespräch mit Friedrich Nietzsche“. Es sind wohl nicht nur die Künstler, die von der Unbeholfenheit wie von der Schwerelosigkeit des Wortes bedrängt und fasziniert sind. Wir alle möchten „richtig reden“ können, suchen unsere Zunge von ihrer Fessel zu befreien (vgl. Mk 7,35). Das erfordert Arbeit und Umsicht, nicht selten auch den Auszug aus dem Gewohnten, aus dem Jargon. Doch ist jedes kluge Wort ein kleines Wunder, ein Mitarbeiten am Schöpfungswerk. Suchen wir also nach dem guten Wort. Nach dem Wort, das aufbaut und befreit, das bei „Junger Mann trifft junge Frau“ ansetzt und vom nie endenden Abenteuer der Liebe kündet.

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