CIG-Kongress in DresdenGott in Dresden

Unter dem Leitwort „Gott? – Mut zur Religion in der modernen Gesellschaft“ haben sich in Dresden gut 400 Leserinnen und Leser versammelt, um das 70-jährige Bestehen des CHRIST IN DER GEGENWART zu feiern.

Wie keine andere Region in Deutschland beherrscht derzeit Sachsen die Schlagzeilen. Vor allem waren es zuletzt die fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz, die Menschen in der ganzen Republik beunruhigten. „Viele denken inzwischen: typisch Sachsen“, schrieb unlängst die „Frankfurter Allgemeine“ und erklärte das Bundesland im Osten flugs zur „Problemzone“.

Die aktuelle Brisanz ließ sich nicht vorhersehen, als die Redaktion des CHRIST IN DER GEGENWART vor vielen Monaten schon entschied, ihr siebzigjähriges Bestehen in Dresden zu begehen. Es hat ja inzwischen schon Tradition, dass die Wochenzeitschrift bei ihren „runden“ Jubiläen den Verlagsstandort im südbadischen Freiburg verlässt und nach draußen geht – dorthin, wo man kein Heimspiel hat, wie es Chefredakteur Johannes Röser in seiner Begrüßung formulierte. So feierte man das vierzigste Jubiläum in München, zum fünfzigsten war man in Berlin, zum sechzigsten ging es nach Erfurt, jetzt also in die Barockstadt an der Elbe. Verleger Manuel Herder würdigte die Arbeit der Redaktion des CIG: Diese Publikation sei im deutschsprachigen Raum die beste religiöse Wochenzeitschrift, die über die politisch-kulturell-religiösen Entwicklungen informiert, sie auf höchstem Niveau analysiert und kritisch deutet.

Herder
Herder© Foto: Thomas Schlorke

 

Und das in diesen unruhigen Zeiten. Keine Frage, dass die schlimmen aktuellen Geschehnisse während der Veranstaltung thematisiert wurden. So bezeichnete Johannes Röser bereits in seiner Begrüßung jene ausdrücklich als „gott-los“, die „voller Lügenpropaganda vorgeben, das christliche Abendland zu verteidigen mit Gewalt, Hass gegen Andere und Andersgläubige“. Auch Thomas Arnold, der Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen, fand klare Worte. Die Aufmärsche von Chemnitz zeigten eine „neue, erschreckende Qualität“. Man müsse klar benennen, dass hier eine Grenze überschritten sei. „Was dort stattfindet, ist rechtsextrem. Wer dort mitläuft, macht sich zum Handlanger von Rechtsextremen.“

Es blieb freilich nicht bei Appellen. Die Referenten begaben sich immer wieder differenziert auf Ursachenforschung, wie es ja das Markenzeichen unserer Zeitschrift ist.

Schenk
Schenk© Foto: Thomas Schlorke

Staatsminister Oliver Schenk, der die Kongress-Teilnehmer seitens der sächsischen Regierung begrüßte, stellte nachdenkliche Fragen: „Grenzen wir uns genügend ab gegen jede Form von Extremismus und Ausgrenzung? Halten wir stand gegen die Versuchungen populistischer Stichwortgeber, die mit dem Zusammenhalt wenig am Hut haben? Haben wir den Mut, auch bei uns selber, nicht das eigene, sondern das Wohl unseres Nächsten in den Mittelpunkt unseres Tuns zu stellen?“

Zum differenzierenden Blick gehört auch, aufgrund der aktuellen Ereignisse nicht pauschal über eine ganze Region zu urteilen. So erinnerte Röser daran, dass die Sachsen „in einer langen Geschichte weltoffen und zukunftsoffen mit Kunstsinn und Schönheit die geistigen Horizonte epochal weiteten“. Überhaupt gebe es die politisch, kulturell und religiös Aufrechten in Dresden und dem ganzen Sachsenland, „die nicht bereit sind, sich die Gottesfrage von Gott-losen enteignen zu lassen“.

Denn darum ging es bei der Tagung ja vor allem, trotz und nach aller notwendigen Stellungnahme zu politischen Geschehnissen: um die Gottesfrage. Mit einem Fragezeichen hatte die Redaktion das Wort Gott versehen. Dieses große Fragezeichen beschäftigt den Menschen, spätestens seit es ihn als Homo sapiens gibt. Das bestätigte auch der Dresdener katholische Bischof Heinrich Timmerevers. Freilich seien die Bewohner im Diasporabistum in der Mehrheit keine Christen. Der Bischof erzählte eine Anekdote. Ein Freund aus seiner südoldenburgischen katholisch geprägten Heimat habe ihn besucht. Bei der Begegnung mit einem Leipziger Bürger habe sich der Freund vorgestellt: „Ich bin katholisch – und Sie?“ Der Leipziger antwortete erst nicht. Rückfrage: „Oder sind Sie evangelisch?“ Darauf der Leipziger: „Was soll ich sein? Ich bin normal!“

Timmerevers
Timmerevers© Foto: Thomas Schlorke

Timmerevers erklärte, dass er sich mit den Christen in seinem Bistum umgewöhnen musste, da die Areligiosität Teil ostdeutscher Identität sei. „Nach vielen Gesprächen und vielem Nachdenken habe ich die Gewissheit gewonnen: Im Osten kann man Gott bei der Arbeit zuschauen.“ Will heißen: Wo der Bischof hinkommt, ist das Heilige immer schon da. Er sei im „katholischen Aquarium“ des Westens aufgewachsen. Im Osten musste er die Atmung von Kiemen auf Lunge umstellen. Ihm mache Hoffnung, was alles schon passiert: die Schulen und Kindergärten, die Krankenhäuser, die treuen Gemeindemitglieder, die jährliche religiöse Kinderwoche. An diesen Orten und Umgebungen erlebe er Kirche, „die Wärme ausstrahlt“. Es sind Orte der Evangelisierung, Christus-Orte.

Wir seien gerade Zeugen des Sterbens einer Kirchengestalt, fasste der Priester und CIG-Autor Gotthard Fuchs eine Entwicklung zusammen, die kirchenübergreifend und begleitet von leidvollen Erfahrungen derzeit überall zu spüren ist. Energien verpuffen, Verlusterfahrungen nehmen zu. Die Christenheit verändert sich weltweit stark, verbunden mit Schrumpfungen und Konflikten. Gotthard Fuchs erinnerte daran, dass bereits die frühe Kirche nicht als statische Realität, sondern als Umkehrgemeinschaft, als Pilger auf dem Weg verstanden wurde. Metanoiete, heiße es im ältesten Evangelium nach Markus: Kehrt um! Ändert euren Sinn! Die damit verbundene Wegerfahrung wurde von Kirchenvätern ins Bild des ab- und zunehmenden Mondes gekleidet. Das Licht des Mondes spiegelt auf natürliche Weise das heilende Licht Christi im Werden und Vergehen. „Der Mond muss in rhythmischen Abständen absterben. Das ist ein Osterbild“, erklärte Fuchs. Dieser Wandel des Lichts, der Wechsel der Energien, wurde beim CIG-Kongress auch in den Vorträgen verdeutlicht.

Zehnpfennig
Zehnpfennig© Foto: Thomas Schlorke

Barbara Zehnpfennig, die in Passau Politikwissenschaft lehrt, skizzierte eine Gesellschaft im Wandel. Sie lenkte den Blick auf die Freiheit, die eine liberale Gesellschaft wie die unsrige mit ihren vielfältigen Entscheidungsmöglichkeiten bietet. Doch zugleich verlange das moderne Sein existenziell „ungemein viel von uns“: die Qual der Wahl bei Lebensform, Freunden, Lebensort, Beruf und Partnerschaft. Es gebe viele Instanzen, die sich ins Leben einmischen. Zugleich haben sich Milieus aufgelöst, atomisiert. „Schon die Kinder sollen im Grunde selbstständig wählen, als bedürfte es für eine vernünftige Wahl nicht zuerst einmal der Vermittlung jener Wertgrundlagen und der Herausbildung jener Urteilskraft, die eine gute Wahl erst möglich machen.“ Alte Verbindlichkeiten wiederum verlieren an Kraft. Alles steht gleichwertig nebeneinander. Wenn aber alles gleich gewertet wird, wird es gleichgültig. Was schafft da Orientierung?

Barbara Zehnpfennig sprach eindrucksvoll als „Laiin in Sachen Theologie“. Ihr Vortrag wurde zu einem einfühlsamen und klugen Appell, den Sinn der Religion im Horizont der Moderne nicht zu verlieren. Religion leite zunächst zur Selbstbesinnung an, führe dann zur Selbstüberschreitung. Ihr sei keine Kultur der Menschheitsgeschichte bekannt, die nicht auf den Gedanken kam, „eine übermenschliche Sphäre anzunehmen“. Dieses Überschreiten – Transzendieren – sei grundgelegt in der das gesamte Leben anhaltenden Erfahrung des Mangels: geistig, körperlich, sozial. Das erinnerte stark an den Begriff „Mängelwesen Mensch“ beim Philosophen Helmuth Plessner. Für Barbara Zehnpfennig gilt: Nur wer liebt, überwindet diesen Mangel, allerdings in einem merkwürdigen Paradox: „dass der Mensch erst zu sich kommt, wenn er sich selbst überschreitet“. Und hier brachte die Politikwissenschaftlerin die religiöse Kraft des christlichen Glaubens ins Spiel. „Das Christentum zeichnet sich meines Erachtens dadurch aus, dass in ihm ein Mensch Gott ist, Jesus, und dass dieser Gott-Mensch eine zentrale Botschaft verbreitet hat: die der Liebe“, was sogar das Gebot der Feindesliebe einschließe. Jesus habe vorgelebt, dass der Liebende fähig ist, falsche Einstellungen zu ändern. „Nicht umsonst steht im Christentum die Metanoia, die Sinnesänderung, am Anfang von allem anderen.“

Du musst also dein Leben ändern, wie der Dichter Rainer Maria Rilke einmal schrieb. Barbara Zehnpfennigs Vortrag war auch ein Plädoyer für die Vernunftgemäßheit des Religiösen, ja des Gottesglaubens. Das Christentum sei aus ihrer Perspektive die „wahre Religion“, weil es grundlegend universalistisch angelegt ist mit dem Erlösungsgedanken für alle Menschen. Wann hat man zuletzt einen Geisteswissenschaftler solches sagen hören?

Podium (v.l.n.r.): Fuchs, Zehnpfennig, Schöniger, Klose, Langer, Finger, Zeißig, Seewald, Arnold
Podium (v.l.n.r.): Fuchs, Zehnpfennig, Schöniger, Klose, Langer, Finger, Zeißig, Seewald, Arnold© Foto: Thomas Schlorke

Eine Gesprächsrunde am Nachmittag drehte sich um die Frage, was den christlichen Glauben in einer säkularen Gesellschaft plausibel macht. Beteiligt waren Schüler des katholischen Sankt-Benno-Gymnasiums: Margarethe Finger, Maura Klose, Paul Zeißig, Veronika Schöniger. Sie erzählten von ihren Erfahrungen im ostdeutschen „Klima“, wo christlicher Glaube eher als Randphänomen wahrgenommen werde. Margarethe Finger, die aus einer ostdeutschen Familie mit christlicher Erziehung stammt, bewegt sich im Westen – in Bayreuth – als Studentin in einem erstaunlicherweise „eher atheistischen Umfeld“. Paul Zeißig wiederum, der in einem evangelisch geprägten Elternhaus groß wurde und das als „ganz normal“ empfunden hat, war sehr verwundert, als er erfuhr, dass in seinem jugendlichen Freundeskreis galt: „Es ist nicht normal, religiös zu sein.“ So gegensätzlich können Erfahrungen mit dem Gottesglauben sein – nicht nur in Dresden.

Als es in der Runde um die Möglichkeit der Gotteserfahrung ging, sagte Zeißig: „Für mich ist das wertvollste an Gott die Gemeinschaft.“ Er wisse nicht, ob es Gott wirklich gibt. „Aber die tolle Gemeinschaft derer, die an Gott glauben, lässt mich denken, dass es ihn tatsächlich geben muss.“ Diese Art „Gottesbeweis“ blieb vielen auch nach dem Kongress noch im Gedächtnis.

Heidrich
Heidrich© Foto: Thomas Schlorke

Gott als Frage – darüber handelt auch das neue CIG-Buch „Gott? – Die religiöse Frage heute“, welches der Theologe Christian Heidrich vorstellte und empfahl. Die 135 Beiträge zeigten eine „zeitgemäße, herausfordernde Gottsuche“, die einem „Christ in der Gegenwart“ gut anstehe. In dem Jubiläumsband fänden sich zahlreiche Fingerzeige, Anregungen, Provokationen.

SAID
SAID© Foto: Thomas Schlorke

Mit einer ganz anderen Weise der Gottsuche konfrontiert wurden die Kongressteilnehmer bei der berührenden Lesung des deutsch-iranischen Dichters SAID. Er deklamierte die Jesus-Rede aus seiner jüngsten Veröffentlichung „Ich Jesus von Nazareth“ (vgl. die Besprechung in CIG Nr. 34, S. 375). Literatur schafft es, das Vertraute zu verfremden und das Fremde vertraut zu machen. Der Gott-Mensch Jesus des SAID war für biblisch geübte Zuhörer beides: fremd und vertraut, anstößig und erregend.

Ist der Mensch von Natur aus religiös, wie eine christlich bestimmte Lehre vom allgemeinen Wesen des Menschen annimmt? Und was heißt das in einer Zeit, in der viele nicht mehr religiös sind, in der es vielfältigste und gegensätzlichste Weltanschauungen und Vorstellungen von dem gibt, was das Leben des Menschen ausmacht und ihm Sinn gibt? Angesichts der Realität verschiedenster Religionen, die zum Teil gar keine Gottesvorstellung haben. Dieser Problematik ging der Münsteraner Dogmatiker Michael Seewald nach. Er stellte die provozierende These auf: Heute lasse sich nicht mehr mit Gewissheit von einem geradezu wesenhaft „hoffnungslos religiösen Menschen“ sprechen. Seewald hinterfragte diesen Befund auch bei Karl Rahner, dessen Münsteraner Lehrstuhl er innehat. Rahner hatte in seinem anthropologischen Verständnis des „anonymen Christen“ nahegelegt, dass im Grunde jeder Mensch implizit auf das christliche Glaubensverständnis hin angelegt sei, ja sogar mit der Möglichkeit auf das Katholische hin. Jeder ist Christ, ob er es weiß oder nicht. Seewald bemängelte an dieser Perspektive, dass kirchliche, lehramtliche, ja „spezielle religiöse Geltungsansprüche apologetisch in Dienst genommen werden“. Der hoffnungslos religiöse Mensch sei aber ein „tendenziöses Konstrukt“, das „bloß den Interessen kirchlicher Theoriebildung“ diene. Seewald kritisierte, dass die Kirche die vermeintlich naturale religiöse Veranlagung umso lauter vertrete, je fragwürdiger der Naturbegriff außerhalb kirchlicher Mauern geworden sei. Daraus leite das kirchliche Lehramt geradezu autoritativ, integralistisch ab, alle Lebensbereiche verbindlich bestimmen zu können: Zeugung und Geburt, Kindererziehung, Schulbildung, Partnerwahl, Sexualität, Altern und Sterben.

Seewald
Seewald© Foto: Thomas Schlorke

In einem zweiten Teil entfaltete der Theologe positiv die Aufgabe der Verkündigung des Glaubens, die biblisch geboten sei. Diese habe davon auszugehen, dass der Mensch in seiner Grundhaltung ein Hoffender ist. Und erst von daher kann er auch ein religiöser Mensch werden. Die Kirche habe die Aufgabe, solche Hoffnung zu stärken und zu wecken. Wie die göttliche Tugend der Liebe bei Professorin Barbara Zehnpfennig ist es hier die göttliche Tugend der Hoffnung, jene Wirklichkeit, die dem Menschen in seiner Abhängigkeit Zuversicht bietet, sich zu überschreiten, zu transzendieren. „Hoffnung reduziert den Menschen nicht auf seine jeweilige Situation. Ein leidender Mensch, der Hoffnung hat, ist eben nicht nur ein leidender, sondern auch ein hoffender Mensch – jemand, dem vor Augen steht, dass die Welt auch anders sein könnte, als sie ist, und der die Erwartung, dass die Welt einmal anders – nämlich so, wie sie sein soll – wird, noch nicht aufgegeben hat. Hoffnung als das Offenhalten von Kontingenz (das Nichtnotwendige, Zufällige; d. Red.) und die gleichzeitige Weigerung, sich mit Kontingenzen abzufinden, bietet die Zuversicht, dass auseinanderstrebende Erfahrungen, die Menschen nicht mehr unter einen Hut zu bringen vermögen, doch noch zusammenzubringen sind: Sittlichkeit und Glückseligkeit, Treue und Beständigkeit, Sehnsucht und Erfüllung.“ Mehr noch: Christliches Hoffen zielt auf Auferstehung und ewiges Leben, auf die Erwartung, dass der Tod nicht das Letzte sei, sondern eben das Leben in Gemeinschaft mit Gott. Die Kirche ist die Gemeinschaft der Hoffenden, „die das Evangelium nicht mehr loslässt“; jenes Evangelium, das davon spricht, dass Sinnlosigkeit und Bruchstückhaftigkeit menschlicher Exis­tenz „im Schicksal Jesu überwunden“ sind, eine Hoffnung, die der Nazarener glaubwürdig vermittelt hat.

Für Michael Seewald hängt der neuzeitliche Auszug aus der Kirche auch damit zusammen, dass die Glaubensgemeinschaft nicht mehr in der Lage ist, diesen Hoffnungsglauben energiegeladen zu verkünden. Zugleich litten viele Christen darunter, dass die praktischen Folgen des Glaubens bis ins Letzte lehramtlich ausbuchstabiert sind. Man könne doch der Vernunft der Glaubenden vertrauen und dem Einzelnen überlassen, „das Evangelium weltanschaulich so zu konkretisieren, dass es auch innerhalb der einen Kirche, die sich um den einen Christus versammelt und von einer Hoffnung beseelt wird, eine Vielfalt weltanschaulicher Positionen gibt“. Kritisch fügte Seewald hinzu: „Der Freiheit der Menschen und ihrer Fähigkeit, sich selbst auch in ihrem Glauben und Hoffen ein verantwortetes Urteil zu bilden, wird amtskirchlich misstraut.“ Dennoch hält Seewald an einer weiteren grundlegend christlichen Hoffnung fest: „Dass die Kirche ihre Hoffnung verliert, ist, wenn sie dem Evangelium treu bleibt, ausgeschlossen … Deshalb könnte sie sich auch unbequemen, für sie schwer zu verarbeitenden Einsichten stellen. Sie könnte, ja, sie könnte es.“

Auch bei einer sterbenden Kirchengestalt gibt es Hoffnung, wie Gotthard Fuchs in seinem Vortrag über Mystik im Alltag ermutigte. Dabei hilft eine mystische Spiritualität, die im Christentum von dem Bewusstsein geprägt ist, dass Gott den Menschen sucht. „Gott braucht den Menschen nicht. Aber er verlangt nach uns.“ Leitgedanke einer Antwort auf diese Menschensuche Gottes sei das „Doppelalphabet des Fragens“: Wo ist deine Energie, deine Quelle? Was quält dich? Was möchte ich geworden sein, wenn ich gewesen bin? Dieses Fragen sei bestimmt durch die Wahrnehmung, dass das Entscheidende im bisherigen Leben „immer noch fehlt“. Am Vorbild Jesu lasse sich ablesen, wie jemand ist, der „von Gottes werbender Liebe ganz erfüllt ist“. Dazu gehört, dass der Glaubende sich als „Mitschöpfer“ versteht. Jesuanische Gottesmystik hat Raum fürs Gebet, schafft im Alltag Platz für das Ankommen Gottes, für die Unterbrechung. Sie ist offen für das Leiden des Nächsten, geht mit ihm durch Passion und Kreuz hindurch, hat dabei keine Scheu vor Verwundungen. „Ob ein Mensch durch das Feuer der Liebe Gottes gegangen ist, erkenne ich nicht daran, wie er von Gott spricht, sondern von den Dingen der Welt.“

Der Kongress war geprägt von geistiger Offenheit und Weite, vielen Gesprächen der Leser untereinander. Die Atmosphäre war heiter, gelöst, wach, aufgeweckt, positiv gestimmt. Eine nachdenkliche Feier, die das lebendige Glaubensbewusstsein aller Beteiligten spüren ließ, die Hoffnungskraft der Leserinnen und Leser selbst, die Mut für die Zukunft weckt. Gott? – Eine Frage, eine Antwort.

(Die Vorträge in Dresden werden wir in geeigneter Form publizieren und dies entsprechend ankündigen. Ein Bildbericht ist für die Oktoberausgabe der BILDER DER GEGENWART geplant.)

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