Folgt ein Zeitgenosse der „allgemeinen“ Meinung und Vernunft, muss er den Eindruck haben, „alle“ seien gegen Donald Trump, weil der die Welt ins Chaos, ins Verderben taumeln lasse. Derartige Ängste interessieren die anhaltend steigenden amerikanischen Aktienindizes jedoch nicht. Gegen die Skeptiker und Hysteriker bestätigen sie stärkste Kapital-Gewinn-Erwartungen. Das ist aber keine Garantie für unendlichen Aufstieg. Irgendwann kommt der Absturz, gewiss. Und dann wird sich immer ein Besserwisser finden, der das schon lange Zeit vorher haargenau prophezeit hat. Dabei ist derartige statistische Wahrscheinlichkeit keine Kunst. Faktisch aber irren sich die Zukunftswisser fast immer in dem, was kommt – und meistens ganz anders kommt.
So klagen wir weiter über Erdogan, Putin, Orban, Kaczynski, as-Sisi und viele sonstige Herrscher (seltsamerweise fast nie über den Chinesen Xi), weil sie unseren Mustern von Menschenrecht und Demokratie nicht entsprechen. Dabei hindert solche Ablehnung niemanden, mit jedwedem Machtsystem gerne Geschäfte zu machen, wenn es nur dem eigenen „Gesamtwarenkorb“ nützt. Warum wählen viele Völker wieder mal nicht jene, die wir gern hätten, sondern jene, die „gefühlte“ Garanten für Sicherheit und Ordnung sind? Warum denken unsere Nachbarn nicht wie wir? Warum meinen wir, dass nur wir Recht haben?
Vollends verwirrend ist es, wenn sich die Leute im Widerspruch zur veröffentlichten Meinung geradezu schwarmmäßig „unvernünftig“ verhalten. Da steigt ein in den Medien total verrissenes Buch, die „Feindliche Übernahme“ eines seit Jahren heftig kritisierten Autors, von Null auf Platz eins der „Spiegel“-Bestsellerliste. Kann dieser „Erfolg“ ernsthaft nur auf den Kaufrausch von Ausländerfeinden und Kritikern des – arabischen – Islam zurückzuführen sein? Oder sind es Leute, die sich aus purer Neugier bloß darin bestärken möchten, was sie seit jeher schon Negatives über den Verfasser dachten? Oder denken viele Leute insgeheim womöglich doch etwas anderes als das, was die „Allgemeinheit“ und ihre Wortführer von ihnen erwarten? Was ist Schein, was Sein?
Die Wirklichkeit schert sich wenig um „jedermanns“ Meinung. Der Mensch denkt, was er denkt – und tut, was er tun will, oft sogar, was er nicht tun will. Und häufig sagt er sogar etwas anderes als das, was er denkt, nur um nicht aufzufallen. „Schwarmintelligenz“ kippt nicht selten um in Schwarmdummheit. Dieses Unberechenbare des Menschen kann Verzweiflung, ja Misanthropie wecken. Im günstigsten Fall macht es bescheiden, wenn der Mensch wieder einmal viel weniger denkt, als er vorgibt. Dann bleibt die Hoffnung, dass am Ende ein anderer lenkt, damit wir aus dem Schein ins Sein kommen.