Wir kennen Franziskus aus Bildern, aus den Fresken Giottos, aus Legenden und Erzählungen: wie der reiche und verwöhnte Kaufmannssohn mit seinem Vater und seinem ausschweifenden Leben brach; wie er sich vor den Toren der Stadt um die Aussätzigen kümmerte und in Armut lebte; wie er im Sonnengesang über die Schöpfung jubelte; wie er in Klara eine Schwester im Geiste fand; wie er zusammen mit seinen Gefährten und Brüdern einen der bis heute größten und bedeutendsten christlichen Orden begründete. Braucht es angesichts der enormen Fülle an Forschungsliteratur zu Leben und Wirkungsgeschichte des Franz noch eine weitere Biografie? Gibt es noch neue Facetten an ihm zu entdecken? Zumal selbst die „franziskanische Frage“ nach der Zuverlässigkeit der frühen Quellen bereits vor hundert Jahren gestellt wurde.
Auch der Kirchenhistoriker Volker Leppin versucht, einerseits die Schwierigkeiten der Quellenlage im Blick zu behalten, andererseits Verschiebungen, die aus den verschiedenen Interessen der Zeugen und frühen Biografen hervorgehen, aufzuzeigen. Doch gerade im Bewusstsein, dass die wissenschaftlichen Zugriffsmöglichkeiten begrenzt sind, eröffnet die Überprüfung und Neukombination von Einzelaspekten sowie die Frage, aus welchem Blickwinkel man Franz von Assisi begegnen will, neue Zugänge. Leppins Interesse richtet sich vor allem auf das Beziehungsgefüge um Franziskus.
Mit dem Einbezug von historischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen seiner Zeit einerseits geschieht eine Rückbindung und Einordnung seiner Geschichte in die Zeitgeschichte, die damit bereits einen gewissen Erklärungshorizont aufspannt. Andererseits lassen sich mit Blick auf seine familiären und freundschaftlichen Bindungen beziehungsweise deren Eingehen, Aufkündigung, Brüchigkeit oder Beständigkeit psychologische Erklärungs- und Deutungsmöglichkeiten zu seiner Persönlichkeit und zu seinem Handeln finden. Leppin beginnt mit dieser Beziehungsgeschichte am Anfang, bei Franzens Geburt, und zeichnet dann viele seiner Erlebnisse und Begegnungen, seinen kurvenreichen und von vielen Aufbrüchen, Krisen, Neuorientierungen und Auseinandersetzungen gezeichneten Weg auch zusammen mit seinen Gefährten und Brüdern bis zu seinem Tod nach.
Widersprüchlichkeiten und Verwerfungen werden sichtbar, die Franziskus in seinen hellen und dunklen Seiten zeigen, als Mensch einer Wendezeit, von der er selbst geprägt wurde und die er sehr wohl mitgeprägt hat. Leppin bricht damit seinerseits mit den geglätteten Bildern. Die Leserschaft sieht sich ihrerseits gefordert, mit dem romantisierenden Bild des liebenswerten „Poverello“ zu brechen, um einem anderen und neuen Franziskus zu begegnen.