Der renommierte amerikanische Mystikforscher Bernard McGinn setzt mit diesem Band seine Geschichte der Mystik im Abendland fort. Nach einer kurzen Einführung über den Platz Spaniens im frühmodernen Katholizismus folgt ein Kapitel über die Frühzeit (Beatas, Recogimiento, Alumbrados). Dann werden die großen Gestalten Ignatius von Loyola, Teresa von Ávila und Johannes vom Kreuz jeweils in einem eigenen Kapitel behandelt. Ein abschließender Abschnitt befasst sich „mit weiteren Stimmen“ in Spanien, Spanisch-Amerika und Portugal, um zumindest anzudeuten, dass es in diesem Zeitraum „sehr viel mehr“ gab als die genannten allbekannten Persönlichkeiten.
Im Vorwort wie auch im Nachwort verweist der Autor auf eine Verengung in der Rezeption der spanischen Mystik im 19. Jahrhundert, welche die Karmeliten Teresa von Ávila und Johannes vom Kreuz derart verherrlichte, „als böten sie in der Geschichte des Christentums den absoluten Inbegriff der Mystik-Lehre“. Bernard McGinn hält sie zwar für ganz große Mystiker, Johannes vom Kreuz sogar für den vielleicht Größten des Goldenen Zeitalters (Siglo de Oro) der spanischen Mystik mit einer geradezu unübertroffenen kompakten Mystik-Lehre des Sich-Einlassens auf Glauben, Hoffen und Lieben im Dunkeln als Weg zu Gott. Aber er möchte auf die „Reichtümer der großartigen Symphonie der christlichen Mystik“ aufmerksam machen.
Ganz besonders ist McGinn bemüht, Ignatius von Loyola ins rechte Licht zu rücken – gemäß der heutigen Forschung, die von der Wiederentdeckung des apostolischen Kerns seiner Mission ausgeht. Mit großer Sympathie für Ignatius wird sein großer Beitrag zur Geschichte der Mystik darin gesehen, „dass die tiefe Begegnung mit Gott kein Ziel an sich ist, sondern immer ein Ansporn zum apostolischen Engagement sein sollte, zum Dienst am Wohl der Kirche“. Gilt das aber nicht auch für Teresa, die predigen und lehren, das heißt apostolisch wirken wollte, aber nicht durfte? Das diesbezügliche Kapitel verkennt einiges aus der heutigen Teresa-Forschung. Auch gegen Ende dieses Kapitels wiederholt McGinn sein Vorverständnis, dass nämlich die Ära vorbei ist, in der Teresa und Johannes vom Kreuz als die größten katholischen Mystiker hochgehalten wurden, ja „an denen man alle anderen maß“. Die Befreiung dieser Gestalten aus der Sonderstellung, die ihnen mit einer bestimmten Rezeption im ultramontanen 19. Jahrhundert zugewachsen ist, ist zu begrüßen, aber sie geht meines Erachtens einher mit einer Verkennung der tiefen Bedeutung ihres Einflusses
Die Befreiung dieser Gestalten aus der Sonderstellung, die ihnen mit einer bestimmten Rezeption im ultramontanen 19. Jahrhundert zugewachsen ist, ist zu begrüßen, aber sie geht meines Erachtens einher mit einer Verkennung der tiefen Bedeutung ihres Einflusses auf die Mystik des 17. Jahrhunderts. Einfach mit einem Standardsatz festzuhalten, dass Teresa natürlich „ihre starken Auswirkungen nicht nur auf Spanien, sondern auch auf ganz Europa und schließlich auf die ganze Welt“ hatte, besagt wenig, wenn man nicht zugleich skizziert, worin diese Auswirkungen bestanden.
McGinn ist erneut ein kompaktes Lehrbuch über eine sehr komplexe, schwierige und in der Mystik äußerst produktive Epoche gelungen, das durch vieles besticht, aber auch zu einigen Fragen führt, allem voran zur Frage der zeitlichen Eingrenzung: Warum wird das Goldene Zeitalter der spanischen Mystik mit 1650 abgeschlossen und nicht etwa 1675 mit der Guía espiritual („Geistiger Wegweiser“)des 1687 als Erzketzer und Vater des sogenannten Quietismus verurteilten Miguel de Molinos? Dieser wirkte und starb in Rom, und McGinn wird ihn vermutlich im Band über Frankreich, Italien und Deutschland behandeln. Aber er war – auch literarisch – ein Spanier des Siglo de Oro, und ohne seine affirmative Rezeption der karmelitanischen Mystik und seine Kritik an der jesuitischen ist er nicht zu verstehen (ebenso wenig das 17. Jahrhundert), so dass er durchaus zu diesem Band gehört hätte. Kaum angedeutet, geschweige denn angemessen dargestellt, wird der damit zusammenhängende große mystische Streit des Barock
Kaum angedeutet, geschweige denn angemessen dargestellt, wird der damit zusammenhängende große mystische Streit des Barock zwischen den meditativ ausgerichteten und den kontemplativ ausgerichteten Orden. Savonarolas Einfluss auf die breite Wirkung des inneren Betens in Spanien hätte eine Erwähnung verdient. Der Bedeutung des Pedro de Alcántara oder des Luis de Granada wird man mit wenigen Zeilen nicht gerecht. Juan Falconi und andere Kontemplative verschiedener Orden in der Tradition der karmelitanischen Mystik, die später als „Protoquietisten“ betrachtet wurden, hätten zumindest eine Erwähnung verdient, wenn schon Jesuiten wie Antonio Cordeses, Baltasar Álvarez und Luis de la Puente (dieser sogar ausführlich) gewürdigt werden – auch wenn McGinn zu Recht betont, dass sein Buch keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat. Anmerkungen und Literaturverzeichnis hätte man für die deutsche Ausgabe bearbeiten können, denn sie enthalten mit wenigen Ausnahmen nur die vom Autor in der Originalausgabe zitierte oder empfohlene englische Literatur.