Krieg und Frieden sind mit die ältesten Themen der Menschheit. Für den Freiburger Moraltheologen Eberhard Schockenhoff ist der Wunsch nach Frieden „ebenso tief in der menschlichen Natur verwurzelt wie die Sorge um die Erhaltung der Gesundheit und die Bewahrung vor unheilbarer Krankheit. Der gemeinsame Bezugspunkt beider existenzieller Grundanliegen … ist die Urangst vor dem äußersten Übel, das alles Leben auf Erden bedroht, der Macht des Todes.“
Das erste Kapitel seiner gut 750 Seiten starken Darstellung widmet Schockenhoff einer historisch-staatsrechtlichen Betrachtung der Kriege von der Antike bis in die Gegenwart. Daran schließt er eine ausführliche Betrachtung des „gerechten Kriegs“ an. Bereits als die Menschen zu den ersten Feldzügen aufbrachen, gab es Philosophen, die fragten, wann Kriege gerechtfertigt sein könnten. Schockenhoff führt einige davon als „exemplarische Zeugen“ ihrer jeweiligen Epoche auf, beginnend mit Cicero, Augustinus sowie Thomas von Aquin. Für die frühe Neuzeit nennt er die Theologen Francisco de Vitoria, Francisco Suárez und die Völkerrechtler Balthasar de Ayala, Alberico Gentili, Hugo Grotius und Emer de Vattel.
In ihrer Blütezeit verband sich mit der Lehre vom „gerechten Krieg“ die Hoffnung auf eine dauerhafte Einhegung dieser Art von Gewalt. Zwar war Krieg „erlaubt“, die Zivilbevölkerung sollte jedoch möglichst geschont werden. Im 20. Jahrhundert versagten diese Ideen endgültig. Während des Ersten Weltkriegs stilisierten „nationale Propaganda und religiöse Kriegsbegeisterung“ – unterstützt von zahlreichen Theologen und Bischöfen – selbst das massenhafte Schlachten in den Schützengräben zu einem notwendigen und daher gerechten Geschehen. Angesichts der katastrophalen Folgen wurden Vertreter der Lehre vom „gerechten Krieg“ zurückhaltender, wie Schockenhoff anhand des Feldprobstes Michael Faulhaber (zunächst Bischof von Speyer, dann von München) und des Münsteraner Moraltheologen Joseph Mausbach zeigt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg – den das Buch leider nur streift – einigten sich die Staaten auf eine weitgehende Ächtung des Krieges. „Der Traum, dass der Krieg durch eine fortschreitende völkerrechtliche Regulierung seine Schrecken verlieren könnte, bleibt jedoch allen völkerrechtlichen Deklarationen zum Trotz uneingelöst.“ Eine neue Herausforderung stellt sich der Friedensethik mit der nuklearen Abschreckung im Kalten Krieg und der damit verbundenen Möglichkeit, die menschliche Zivilisation vollständig zu vernichten.
Allein der vierhundertseitige Überblick über die Geschichte des Krieges und seine Beurteilung durch Zeitgenossen, der trotz der Knappheit auch für Laien gut verständlich ist, macht das Buch schon lesenswert. Schockenhoff geht jedoch – nach diesen Grundlagenkapiteln und einem Exkurs zu Krieg und Frieden in der Bibel – weiter und entwirft eine moderne Friedensethik.
In der christlichen Ethik gibt es schon lange Ideen eines gerechten Friedens, die von der Bibel inspiriert sind. Diese Spur verfolgt Schockenhoff weiter: „Das Konzept des gerechten Friedens, das nach dem Ende der Blockbildung während des Kalten Kriegs entstand, wollte einen dritten Weg aufzeigen, der die jahrhundertealte Lehre vom gerechten Krieg ablösen und zugleich die pazifistischen Impulse des biblischen Friedensverständnisses in sich aufnehmen sollte.“ Der Moraltheologe benennt vier Säulen des gerechten Friedens: Schutz der Menschenrechte, Demokratieförderung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und eine Stärkung der internationalen Staatengemeinschaft.
Mit diesen Säulen versucht Schockenhoff, die biblische Friedensvision in ein Leitbild konkreter politischer Ethik zu übersetzen, „das langfristig Handlungsschritte benennt, die zum Aufbau eines dauerhaften, umfassenden und stabilen Friedens führen können“. Auch neue Gewaltphänomene wie humanitäre Interventionen, Terrorismus oder autonome Waffensysteme behält er im Blick.
Schockenhoffs Überlegungen sind jederzeit an die Realität rückgebunden. Ihm ist bewusst, dass eine moderne Friedensethik nicht einfach das biblische Friedenskonzept von einem Heilszustand, der Natur, Menschen und Gott miteinander verbindet, in die irdische Wirklichkeit übertragen kann. Sie muss die Sphäre des Politischen und dessen Gesetzmäßigkeiten berücksichtigen. Dazu gehört auch die Einsicht, dass die Welt vielfältig und von Interessengegensätzen und Konflikten geprägt ist. „Das Ziel einer ethischen Theoriebildung, die konkrete Orientierung für gesellschaftliches und politisches Friedenshandeln geben soll, muss sein, die messianisch-biblische Friedenshoffnung, die auf eine endgültige Aufhebung von Not, Elend und Ungerechtigkeit setzt, als Ermunterung zu vorläufigen, oft ungenügenden, doch jetzt schon möglichen Schritten auszubuchstabieren.“ Die theologisch begründete Ethik kann als Motivation für die politische Sphäre dienen. Denn gerade weil es sich bei allen irdischen Friedensmühen nur um Einzelschritte handelt, ist es hilfreich, stets das große Ziel des himmlischen Friedens vor Augen zu behalten.
Ein detailliertes Register, ausführliche Fußnoten und ein aussagekräftiges Inhaltsverzeichnis runden das Werk ab, mit dem Schockenhoff gezeigt hat, dass theologisch-ethische Vorstellungen den Kontakt mit der gesellschaftspolitischen Wirklichkeit nicht scheuen müssen.