Genau genommen ist es eine Kriebelmücke, die mit ihrem Stich die Wende im Leben der Hauptpersonen auslöst – ausgerechnet eines von den Tierchen, die der Erzähler am liebsten vernichtet wissen möchte. Dieser Ich-Erzähler ist Professor Horand Roth. Er beschreibt sich selbst so: „Eins vierundachtzig, braune Haare, schwarze Augen wie Mutter und Onkel, neunundvierzig Jahre alt …, Literaturwissenschaftler, geschieden …, Normalbürger, weder radikal noch subversiv, weder arm noch reich“. Hora, wie er auch genannt wird, führt ein Leben voller Belanglosigkeit mit seiner Hündin Edda, wechselnden Beziehungen zu Frauen („derzeit Eva“), einem Tennispartner, einer Skatrunde.
In dieses vor sich hindümpelnde Leben bricht unvermittelt der Besuch des jahrzehntelang verschollenen Patenonkels Georg ein. Dieser verkörpert das Gegenbild zu Hora Roths Charakter: Er ist lebendig, temperament- und humorvoll, unternehmungslustig, unkonventionell und hat mit seinen 72 Jahren ein reiches, farbiges, intensives Leben geführt. Jetzt ist er Ordensmann und Priester in einem traditionalistischen Orden – auch das eine Konsequenz seines Willens, authentisch zu leben. Er betreibt seine Promotion an Horas Universität und ist am Ausbau eines Klosters in der Eifel beteiligt. Er ist es schließlich, der den Stich der Kriebelmücke erleidet und sich in der Folge eine lebensbedrohliche Blutvergiftung zuzieht.
Mit diesem Ereignis nimmt das Leben der Protagonisten Fahrt auf und damit auch die Erzählung selbst. Hora beginnt am Krankenbett seines Lieblingsonkels und in der Liebesbeziehung zu der Historikerin Lena seine skeptische Distanz zum Leben aufzugeben und mehr innere und äußere Nähe zu anderen Menschen zu riskieren. Er erfährt ein mit Schuld und Versagen befrachtetes Geheimnis aus seiner Familiengeschichte, in dem sich ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte spiegelt. Er lernt seinen Onkel Georg tiefer verstehen und mit ihm den christlichen Glauben. Am Schluss würde er sagen können, dass er nun endlich für sein Leben „Land sehe“, ein verheißungsvolles Land von gelingenden Beziehungen.
Der fünfte Roman der Kölner Schriftstellerin Husch Josten ist sprachlich unaufdringlich und voll innerer Spannung erzählt. Theologische Klärungen und Passagen im Predigtton sind stimmig in die Handlung eingefügt. Im abschließenden Gespräch zwischen Hora und Georg heißt es – und damit ist auch die Erzählung gut charakterisiert: „Sag mal, Athanasius …, warum müsst ihr Pfaffen eigentlich immer auf so altbackenen, leisen Sohlen daherkommen?“ „Um Menschen wie dich zu erschrecken“, antwortet er, „damit ihr aufwacht.“