Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Das sagte einst Helmut Schmidt über Willy Brandt, den Vorgänger als Bundeskanzler, anlässlich des Bundestagswahlkampfs 1980. Und wer keine Visionen hat – in Zeiten eines phantasielosen politischen wie kulturellen, aber auch kirchlichen „Durchwurschtelns“? Welche Krankheit ist das?
In religiöser, in christlicher Sicht heißen „Visionen“ Hoffnung. Sie vertrösten den Menschen nicht mit Illusionen auf etwas, was es nicht gibt, sondern lenken hin auf die Realutopie dessen, worin noch niemand war, was aber – wie der Philosoph Ernst Bloch schrieb – allen in die Kindheit scheint, Heimat! Tatsächlich ist diese unausgesprochene Sehnsucht vieler Zeitgenossen nicht verstummt. Es sind jene, die sich nicht abstumpfen lassen wollen in Ödnis, Trostlosigkeit, Langeweile einer gedankenlosen Betriebsamkeit, eines puren Kreisens um sich selbst und um das, was man materiell im übergroßen Warenangebot zum Konsum vorgelegt erhält, nur um die wahre Hoffnung, die unruhige, aufmüpfige ruhigzustellen. Wie schön wäre es zu hoffen.
Einst hatte eine Theologie der Hoffnung die Christen bewegt, die sie auch politisch tragfähig machte für Fortschritt, für echte Reich-Gottes-Arbeit an einer besseren Welt. Diese Perspektive wiederzugewinnen, könnte den Glauben inspirieren und erneuern in ermüdeten Zeiten. „Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit“, heißt es im Lied „Sonne der Gerechtigkeit“. Wann wird man endlich auch kirchlich wieder beginnen, dieses Visionslied, das anscheinend vielen peinlich geworden ist, zu singen, trostreich und zukunftsweisend? Wer keine Visionen hat, darf gern in die Kirche gehen. Beten und lesen.