Die Leute von der Straße – mit dieser zunächst einfach klingenden „Ortsbeschreibung“ erklärt der italienische Historiker und Publizist Andrea Riccardi die internationale Initiative von Sant’Egidio. Jene vor fünfzig Jahren von ihm in Rom mitbegründete christliche Basisgemeinschaft habe ein Charisma, das jeden Menschen mit Freundschaft und Aktion ansprechen möchte, der sich auf der Straße des Lebens erreichen lassen will. Sant’Egidio, so Riccardi im Interviewbuch, sei eine am Gottmenschen Jesus orientierte Aktion, die aus einer tiefen Kontemplation, einem In-der-Welt-Sein lebt, das radikal dem Evangelium entspricht: „Wir wissen nicht zu beten. Und doch werden wir zum Gebet gerufen, vor allem von Gott selbst, der uns zum Gebet einlädt; aber auch von den Begrenztheiten und Widersprüchen des täglichen Lebens; von etwas, das in uns ist, aber auch vom Leiden dieser Welt.“
Der 68-jährige Riccardi, der in Italien zu den führenden Zeitungskolumnisten gehört, präsentiert im vorliegenden Werk eine Art geistige Summe der Sant’Egidio-Bewegung: ihre bescheidenen Anfänge, ihre spirituelle Mitte in Gebet und Eucharistiefeier, ihre vielfältigen, kreativen, oft in der Politik anstößigen Initiativen für die Armen am Rand, ihr Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit in Konfliktzonen. Selten hat man in deutscher Sprache so konzentriert und vorausschauend die geistig-geistlichen Zusammenhänge Sant’Egidios formuliert gelesen.
Riccardi greift ein altkirchliches Bild auf, das die Armen als Sakrament bezeichnet, als Zeichen der Nähe Gottes, deren Bezugspunkt sich im Matthäusevangelium, Kapitel 25, findet. „Der sakramentale Aspekt der Armen ist keine übertriebene mystizistische Beschreibung, sondern reale Erfahrung“ im Leben der Gemeinschaft. Deshalb findet sich im Alltag der Basisgemeinschaft die starke Hinwendung zu den Bedürftigen, Kranken, Alten, zu den unter kriegerischen Konflikten Leidenden – ökumenisch, sozial, kirchlich, unmittelbar und immer mit einem Schuss Optimismus, der „das Geheimnis des Frühlings“ bewahrt hat.