Die gesellschaftspolitischen Debatten in diesen Tagen sind moralisch extrem aufgeladen. Das hat der Mainzer Historiker Andreas Rödder im Interview mit dem „Deutschlandfunk“ beklagt. Die politischen Positionen der fremdenfeindlichen nationalistischen Rechten auf der einen Seite und der „hypermoralistischen“ multi-kultiorientierten Linken auf der anderen lassen keinen Raum mehr für Diskussionen, weil beide Seiten mit dem Anspruch auftreten, alleine zu wissen, was gut und richtig ist. Zwischen diesen Polen ist die Mitte sprachlos. Eine wirklich vernünftige, auf kontroversem Austausch beruhende Debatte ist hierzulande schwer geworden.
In einer politischen Auseinandersetzung dürfe man jedoch nicht „mit dem Anspruch der moralischen Absolutheit“ auftreten, erklärte Rödder. Die gesellschaftliche Sphäre brauche zwar Ideale, es müsse im Gespräch aber allen Beteiligten jederzeit bewusst sein, dass das Gegenüber ebenfalls recht haben könnte. An diese Regeln müsse sich jeder halten, der sich öffentlich einbringt.
Das betrifft auch die Kirchen. Das Problem sei, „dass die Kirchen mit einer Art von moralischem Absolutheitsanspruch in eine politische Diskussion eintreten, in der andere Spielregeln gelten“. Die Kirche dürfe sich durchaus in Debatten einmischen, sie dürfe sich aber nicht anmaßen zu meinen, dass sie in diesen Belangen im Besitz der absoluten Wahrheit ist. „Ich würde sagen, die Kirchen sind im gesellschaftlichen Diskurs dann am fruchtbarsten, wenn sie ihre spezifische Kompetenz aus ihrem kirchlichen Selbstverständnis heraus in Diskussionen einbringen“. Für Themen des politischen Tagesgeschäfts braucht man ihre Einmischung nicht. Wenn die Kirchen andauernd auf der politischen Bühne mitspielen, sind sie eben nur eine Stimme von vielen und nutzen damit ihre moralische Bedeutung ab.