Zahlreiche katholische Theologinnen und Theologen im deutschsprachigen Raum haben sich nachdrücklich für die Freiheit und Unabhängigkeit theologischen Forschens und Lehrens ausgesprochen. Wenn Lehrstuhlinhaber, die sich mit Fragen von Sexualität, Macht und Gerechtigkeit der Geschlechter befassen, mit Verurteilungen bedroht werden, „verschärft das den aktuellen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust in kirchliche Amts- und Machtstrukturen dramatisch“, heißt es in einer Stellungnahme von vier länderübergreifenden Theologenorganisationen. Anlass ist das Ausbleiben einer neuerlichen vatikanischen Unbedenklichkeitserklärung („Nihil obstat“, „nichts steht dagegen“) angesichts der Wiederwahl des Neutestamentlers und Jesuiten Ansgar Wucherpfennig zum Rektor der philosophisch-theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. In erster Linie sehe man darin „einen in Form und Inhalt nicht zu rechtfertigenden Angriff auf einen verdienten Theologen, Seelsorger und Ordensmann“, heißt es in der Stellungnahme. Gefordert wird eine vorbehaltlose Rehabilitierung Wucherpfennigs.
Die vatikanische Bildungs- sowie die Glaubenskongregation haben eine Überprüfung Wucherpfennigs eingeleitet, weil sich der Bibelwissenschaftler in Interviews kritisch zum Umgang der Kirche mit Homosexuellen und Frauen geäußert hat und Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Partnerschaften befürwortet. Der Jesuit sieht seine Äußerungen „auf dem Boden der katholischen Lehre“. Der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding vermutet, Wucherpfennigs Ansicht werde von neunzig Prozent der katholischen Bibelwissenschaftler geteilt.
Unterstützung erhielt der Frankfurter Theologe von vielen Seiten, auch vom zuständigen Ortsbischof Georg Bätzing und dem Mainzer Bischof Peter Kohlgraf. Dieser erklärte: Wenn jeder Bibelsatz wörtlich geoffenbarte, unveränderliche Wahrheit wäre, „müssten wir aktuell Ehebrecher, Gotteslästerer, Wahrsager, ungehorsame Söhne und Töchter und Menschen, die am Sabbat ihr Auto waschen, steinigen“. Er müsse als Bischof nicht jede theologische Meinung teilen, „aber wir können die Debatten nicht unterdrücken, da wir nicht ausschließen können, dass sie der Reifung der Erkenntnis in der Kirche helfen“.