Technik soll ja eigentlich für den Menschen da sein und ihm das Leben erleichtern – nicht umgekehrt. Doch bereits heute müsse man feststellen, dass gerade die digitale Technologie „weniger unseren Bedürfnissen dient als wir den Bedürfnissen der Technologie“ – mit dramatischen Folgen für die Nutzer. Zu diesem Ergebnis kommt der Schweizer Physiker und Philosoph Eduard Kaeser. In einem Gastkommentar in der „Neuen Zürcher Zeitung“ stellt er dies beispielhaft an dem sozialen Netzwerk Facebook dar. Dies sei darauf ausgelegt, die Nutzer dauerhaft an sich zu binden, letztlich unmündig zu machen. „Selbst bei ausgeschalteten Geräten bleiben wir Menschen … nach wie vor auf ihren Gebrauch abgerichtet… Es gibt eigentlich nicht das ‚Ich‘ und die ‚Technologie‘, es gibt ein ‚Techno-Ich‘.“
Um diese Abhängigkeit zu erreichen, verhalte sich Facebook wie eine Ersatzreligion, so Kaeser. Dieser Vergleich dränge sich schon aufgrund der Zahl der täglichen Nutzer auf. Vor drei Jahren verkündete Facebook, es habe als erstes soziales Netzwerk die Zahl von einer Milliarde Mitgliedern erreicht. „Eine Dimension, die das Unternehmen in die Liga der Weltreligionen hebt: 2,2 Milliarden Christen, 1,6 Milliarden Muslime, 1 Milliarde Hindus.“
Auch jenseits der schieren Größe seien bei Facebook Mechanismen zu erkennen, die man sonst vor allem bei Religionen finden könne. So verkünde der Konzern etwa, er sei einer „Mission“ verpflichtet. Im Falle von Facebook laute diese: „Jedem eine Stimme geben, das gegenseitige Verständnis fördern, Teilnahme aller an den Segnungen moderner Technologie“. Unterschwellig wirkten laut Kaeser zudem Mechanismen, die der Philosoph Friedrich Nietzsche bereits vor 130 Jahren beschrieben hat. Wer einer „Herde“ wie Facebook beitrete – Nietzsche bezog sich damals religionskritisch auf das Christentum –, werde Teil eines „Wir“, könne sich stark, sicher und erhaben fühlen. Doch für diese Wirkung zahle man immer auch den Preis des „Selbstverlusts“. Ein anderes Leben als in der „Community“ werde „immer undenkbarer“.
Ein erster aufklärerischer Schritt, um aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszutreten, sei es, sich vor Augen zu führen, dass Facebook „ein knallhartes Technologieunternehmen“ ist, das die Daten seiner Mitglieder bis ins Kleinste auswertet. Als Nutzer, als „Facebook-Schaf“, sei man in erster Linie „Daten-Scheißer“, meint Eduard Kaeser abschätzig.