PsychologieLesen – die lohnende Anstrengung

Beim Lesen kommt der Geist in Gang. Davon ist der Bochumer Literaturwissenschaftler Manfred Schneider überzeugt. Das Abtasten von Buchstabenreihen und Wörterketten mit den Augen könne „unendlich viele Gedanken und Vorstellungen hervorbringen“, schreibt er in einem Gastkommentar in der „Neuen Zürcher Zeitung“. Wirkliche Lektüre verlange freilich Zeit, Konzentration und Phantasie. Wer dies aufbringt, werde aber reich belohnt. Er mache „die Erfahrung, die Erschütterung, den Genuss des Literaturlesens“.

Schneiders Text ist jedoch nur mittelbar Werbung fürs Bücherlesen. In weiten Teilen wiederholt der 74-Jährige vor allem die Klage über den unwiederbringlichen Bedeutungsverlust von Literatur, die er bereits früher geäußert hat. Als Hauptschuldigen für die Entwicklung hat Schneider die „Universalmaschine Smartphone“ mit ihren „Genussversprechen“ ausgemacht. Alles ist in der digitalen Medienwelt nur ein paar Wischbewegungen mit dem Zeigefinger entfernt. Es werde allerdings nur in Form unterhaltsamer Geschichten und Anekdoten präsentiert. Was dagegen „Gedankenanstrengung“ verlangt, alles Komplexe in Politik, Technik, Wissenschaft, habe kaum eine Chance, „der neuen Touchscreen-Wahrnehmung ein paar Minuten Aufmerksamkeit abzuluchsen“.

Längst habe sich auch der Literaturbetrieb selbst diesen Gesetzmäßigkeiten angepasst – mit verhängnisvollen Folgen. Die Profis in dem Bereich – Verleger, Professoren, Kritiker – würden nicht mehr wirklich an die Literatur glauben, sondern „ihre Sache in agnostischer Routine betreiben“. In den Schulen würden kaum noch anspruchsvolle Texte behandelt. Aufmerksamkeit erhalten nur Bestsellerautoren und Literaturstars, die über möglichst spektakuläre Lesungen ihren Ruhm unablässig auffrischen. Das Lesen sei zum Erleben verkommen.

Der Autor ist bei dem Thema natürlich Partei, er schreibt mit Furor. Welche Schlüsse aber lassen sich tatsächlich ziehen, cum grano salis, also mit etwas Abstand? Für die Literatur, aber ebenso für den christlichen Glauben, der ja auch eine Buch-, also Lese-Religion ist?

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