Am 7. August 1834 erreicht ein Schoner die Gambierinseln, ein unwirtliches Archipel am äußersten Ende Polynesiens. An Bord befinden sich drei Missionare vom Orden der Heiligsten Herzen: die französischen Patres Honoré Laval und François Caret sowie der irische Missionsbruder Colomban Murphy. Laval ist Sohn eines Tagelöhners aus einem Weiler nahe Chartres. Während seines Noviziats erhält er gute Noten in den Fächern Moraltheologie und Alte Sprachen. Er kann also mit Kenntnissen aufwarten, die auf den ersten Blick für eine Pionierarbeit in Übersee nicht sonderlich hilfreich scheinen. Dennoch wird er von seinem Orden ans andere Ende der Erde entsandt.
Kaum hat das Schiff vor der Insel Tokani Anker geworfen, nähert sich ein Floß mit zwei Eingeborenen. Die Insulaner sind völlig nackt. Der jüngere Mann, der das Haupthaar lang trägt, ist bis zu den Schultern, der ältere auch auf dem Rücken tätowiert. An Bord beginnen sie, die Weißen neugierig zu beschnuppern. Die Missionare verstehen diese Geste. Überall in der Südsee begrüßen sich die Menschen mit gegenseitigem Schnüffeln. Nachdem sie dem Brauch Genüge getan haben, überreicht Laval zwei kleine Taschenmesser als Geschenke. Am nächsten Morgen nähert sich eine Flottille. Wieder wird ausgiebig geschnüffelt. Dann erst werden die Fremden auch betastet und mit Fragen überschüttet. Da die Missionare kein Sterbenswörtchen verstehen, antworten sie mit Sprachbrocken, die sie von Tahiti kennen: Dort heißt „matai, matai“ so viel wie „gut, gut“. „E tagi ana ra koe ei tokurau?“, will ein Insulaner wissen. „Willst du eine Gefährtin?“ Als Laval arglos mit „matai“ antwortet, führen die Eingeborenen dem Pater unter dem brüllenden Gelächter der Matrosen eine splitternackte tätowierte Frau zu.
Im selben Jahr, in dem sich die Szene ereignet, wird in Deutschland der Zollverein aus der Taufe gehoben, in Frankreich kommt es zu einem Weberaufstand, in Amerika zu einem Friedensvertrag mit dem Stamm der Chickasaw. Honoré Laval gehört zu den ersten katholischen Missionaren, die im Gefolge protestantischer Glaubensboten ausrücken, um „die Welt für Christus zu erobern“. In der Südsee ist zwischen den Konfessionen ein erbitterter Kampf um die Seelen der Eingeborenen entbrannt: Als die Patres erfahren, dass der Prediger George Hunn Nobbs ihnen zuvorgekommen ist und sich auf Tokani niedergelassen hat, steuern sie die Nachbarinsel Mangareva an und gehen dort mit einigen Kisten Proviant und Werkzeug an Land.
Am menschenleeren Strand lesen sie die erste Messe. Nur ein paar schwarze Südseeschweine lassen sich blicken. Zum Zeichen dafür, dass sie die Inseln für den christlichen Glauben erobern wollen, ritzen die Missionare ein Kreuz in eine heidnische Stele. Bei ihrem ersten Streifzug durch die Insel entdecken sie ein sterbendes Kind, dem sie die Nottaufe auf den Namen Maria spenden. Zwei Tage später wird das Mädchen unter Absingen lateinischer Choräle begraben: „Wir haben den ersten Christen in geweihte Erde gelegt“, schreibt Laval in sein Tagebuch.
Honoré Laval (1808–1878) wird 36 Jahre auf den Gambierinseln verbringen. Dort errichtet er auf Grundlage der Zehn Gebote und des Code Napoléon einen christlichen Gottesstaat, der an die Reduktionen der Jesuiten in Südamerika erinnert. Das Leben wird nach Gebetszeiten und dem kirchlichen Kalender geordnet. Die Bekehrung der Insulaner erfolgt rasch und ohne nennenswerten Widerstand, denn eine Priesterin namens Tapopare hatte kurz zuvor die Ankunft eines „großen Bootes ohne Ausleger mit den Dienern des wahren Gottes“ prophezeit. 1836 kann Pater Laval sogar den schwer erkrankten König Maputeao taufen.
Laval schafft es, die alten Kulte mit ihren unzähligen Tabus fast völlig auszurotten. Er beeindruckt die Eingeborenen mit dem Gepränge der römischen Liturgie. Während er die heidnischen Tempel niederreißen und die hölzernen Idole verbrennen lässt, schreibt er gleichzeitig alles nieder, was er über Sitte, Sprache und Geschichte der Eingeborenen in Erfahrung bringen kann. Laval errichtet auf der Insel Steinbauten und erschafft damit ein Stückchen Frankreich in der Südsee, denn die Bauten entsprechen denen seiner Heimat. Sie sind heute Teil des Weltkulturerbes. Rastlos baut der Missionar Kapellen, Schulen, Krankenstationen, Werkstätten, Backstuben, Brunnen und Leuchttürme. Lavals Bauwut erreicht ihren Höhepunkt mit der Kathedrale Saint Michel, die über Altäre aus Korallen, Perlen und Perlmutt verfügt.
Dennoch versteht sich Laval nicht als Kulturträger, sondern als Bote des Evangeliums. Die Versuche der rivalisierenden Seemächte England und Frankreich, sich „im Namen des freien Handels“ die verschiedenen Inseln der Südsee anzueignen, indem sie dort feste Stützpunkte errichten, beobachtet der Gottesmann mit Argwohn: „Manche möchten, dass auch hier das Gesetz des Stärkeren herrscht. Das gibt ihnen nicht das Recht, die Schwachen ihres Landes zu berauben. Wenn wir nicht wachsam sind, werden wir hier die gleichen Gräuel erleben, wie seinerzeit an den Küsten Amerikas.“ Als Berater des Hofs warnt Laval die eingeborenen Herrscher vor der Habgier des weißen Mannes. Vor allem fürchtet er dessen Unmoral. Im 19. Jahrhundert gilt die Südsee wegen der natürlichen Nacktheit der Bewohner als erotisches Paradies. Auf Tahiti war Laval wiederholt Zeuge von Sexorgien europäischer Seeleute gewesen.
Das gottesfürchtige Regiment, das Laval auf Mangareva errichtet, wird im französischen Mutterland immer mehr angefeindet. Dort hat sich seit 1871 der Wind gedreht: Die Dritte Republik mit ihrem säkularen Anspruch und ihrem Antiklerikalismus übt so lange Druck auf die Ordensleitung aus, bis diese ihren Statthalter von den Gambierinseln abzieht und nach Tahiti versetzt, wo er wenige Jahre später einsam stirbt. Lavals „Erinnerungen an Mangareva“ sind bis heute ein Standardwerk zur Geschichte, Sprache und Kultur Polynesiens. Bis heute schwankt das historische Urteil über den Missionar: Die einen sehen in ihm einen fanatischen „Narren Gottes“, die anderen einen Wohltäter der Menschheit.
Was bewog Menschen wie Honoré Laval, alles hinter sich zu lassen, um am anderen, unbekannten Ende der Welt die christliche Botschaft zu verkünden? Anders als die europäischen Entdecker und Eroberer, Glücksritter und Heimatlosen, die in der Ferne Ruhm, Reichtum und Abenteuer suchten, erhofften sich die Missionare nicht irdischen, sondern himmlischen Lohn. Mission gehört zum Selbstverständnis der Kirche. Das hat mit dem Vermächtnis ihres Stifters zu tun: Laut Matthäusevangelium hatte Jesus seinen Aposteln aufgetragen: „Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern.“ Das Wort „Mission“ selbst stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Sendung“. Mission zielt also auf die Bekehrung von Ungläubigen und Andersgläubigen ab. Dieses Ziel verfolgen alle monotheistischen Religionen. Denn entgegen der landläufigen Meinung sind nicht nur der Islam und das Christentum missionarisch, auch das Judentum warb über Jahrhunderte in fremden Ländern und Kulturen um „neue Söhne Abrahams“.
Nachdem sich das Christentum in der Spätantike im Römischen Reich durchgesetzt hatte und im Frühmittelalter die Bekehrung der „Barbaren“ weitgehend abgeschlossen war, wurde Europa zu einer christlichen Festung: Die islamischen Länder bildeten eine unüberwindliche Barriere, die jeden Kontakt mit Indien und den großen Reichen im Fernen Osten unterband. Erst in der Neuzeit wurde mit der Entdeckung neuer Seewege und dem unmittelbaren Kontakt mit fremden Kulturen der missionarische Auftrag wieder aktuell. Mit der Eroberung und Kolonisierung Amerikas ging die Missionierung eines ganzen Kontinents einher.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts verdrängten Holland und England im Verbund mit Frankreich die katholischen Königreiche Spanien und Portugal außerhalb Amerikas. Die protestantischen Mächte waren nicht an systematischer Ausbeutung oder Kolonisierung im großen Maßstab interessiert, sondern eher am Handel. Sie richteten entlang der Küsten Handelskontore und Stützpunkte ein, die sich nur langsam zu Kolonien entwickelten. Gleichzeitig wurde durch die Aufklärung in Europa der geistige Herrschaftsanspruch der Kirche erschüttert. Mit der Aufklärung wurde auch der Missionsgedanke infrage gestellt: Jean-Jacques Rousseau schuf ein neues Menschen- und Kulturbild, das im „guten Wilden“ den besseren Menschen sah. Welchen Sinn hatte da noch dessen Bekehrung zum Christentum?
Nach Reformation und Gegenreformation und den missionarischen Anstrengungen in Amerika und Ostasien im 16. und 17. Jahrhundert war in der katholischen Welt im 18. Jahrhundert ein gewisser Stillstand eingetreten. Nur in Frankreich blieb der missionarische Geist erhalten – vor allem dank der Missions Étrangères de Paris von 1660, die mit ihren Bemühungen um Asien fortfuhren, als der Eifer und die Kraft der klassischen Orden vorübergehend erlahmt waren. Ab 1714 wurden sie wieder von Jesuiten unterstützt, die das Verbot ihres Ordens in Russland überdauert hatten.
Als die katholische Kirche in Frankreich durch die Revolution an einem Tiefpunkt angelangt war, entstanden dort neue Missionsorden: 1805 etwa wurde das Pariser Seminar für die Auswärtigen Missionen und das Missionsseminar vom Heiligen Geist wiederhergestellt. Weitere Gründungen folgten. Das Beispiel sollte Schule machen: In Italien wurden bald darauf die Comboni-Missionare sowie die Don-Bosco-Missionare gegründet, etwas später in Deutschland die Steyler Missionare.
Alle Neugründungen waren ursprünglich national ausgerichtet, wandelten sich aber schnell zu kosmopolitischen Einrichtungen. Bei den „Weißen Vätern“ etwa, die Charles Lavigerie (1825–1892) noch in den Dienst der kulturellen Mission Frankreichs gestellt hatte, wurde eine gemischte Besetzung der einzelnen Stationen die feste Regel: Das machte sie gegen Nationalismus und Chauvinismus weitgehend immun.
Über die Jahrhunderte waren die katholischen Missionen staatlich getragen und gefördert worden. Insofern war ihr Einfluss angesichts des Niedergangs katholischer Reiche wie Spanien und Portugal und des Aufstiegs angelsächsischer Mächte wie Großbritannien und den Vereinigten Staaten rückläufig. Als sie wieder die Weltbühne betraten, hatten die Protestanten vielerorts einen Vorsprung erlangt: Großbritannien war zur führenden Macht aufgestiegen und begann, die Meere zu beherrschen.
Auf dem europäischen Kontinent war der reformierte Missionsgedanke ein Produkt des Pietismus. Während die individuelle Frömmigkeit bei einigen evangelikalen Gruppen dazu führte, sich früh von der sündigen Welt abzuschotten, blieben andere wie die Herrnhuter Brüdergemeine weltoffen und missionarisch: Pietismus, Pazifismus und Mission sind bis heute ihre Markenzeichen geblieben. Kurz nach der Aufnahme von mährischen Glaubensflüchtlingen durch Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760) in der Oberlausitz entsandten die Herrnhuter Brüder erste Missionare, meist tüchtige Handwerker, nach Russland und ins Baltikum. Die Karibikinsel St. Thomas bildete 1732 den ersten außereuropäischen Brückenkopf. Nach der Gründung kleiner Kolonien in Nordamerika beschlossen sie, künftig vor allem solche Weltregionen aufzusuchen, von denen man damals annehmen musste, dass Gottes Wort dorthin nie gelangen würde: Grönland und Alaska, das Himalaja-Gebirge und der Regenwald des Amazonas – damals alles weiße Flecken auf der Weltkarte.
Unterdessen entwickelte sich im Zeichen wachsender Philanthropie in England die Antisklavereibewegung: Hinter dem „Abolitionismus“ stand die Idee, dass alle Menschen letztlich Geschwister und die eingeborenen Völker, die noch im Dunkel des Heidentums verharrten, schützenswerte Wesen seien, die gleichberechtigt unter Gottes Schöpferliebe stünden. Solch kühne Ideen, mit pietistischem und calvinistischem Hintergrund, fanden in den katholischen Ländern anfangs nur schwachen Widerhall. Der Kampf gegen die Sklaverei, der zunächst in Nordamerika und der Karibik ausgefochten wurde, gelangte schließlich nach Afrika, in das Herkunftsland der Sklaven. Weltweite Kampagnen gegen diese archaische Barbarei sollten sich auf protestantischer Seite als mächtiger Motor für die „Heidenmission“ erweisen.
Beflügelt wurde der missionarische Aufbruch durch die Begeisterung für mutige Gestalten wie den dänischen Grönlandapostel Hans Egede (1686–1758) oder den schottischen Afrikaforscher und Missionar David Livingstone (1813–1873), an dessen ungewissem Schicksal die Welt regen Anteil nahm. Ähnlich wie später auf katholischer Seite schwelgte die protestantische Mission nach ersten Erfolgen in Euphorie. Während einer Missionskonferenz 1886 im amerikanischen Mount Hermon wurde die Losung ausgegeben: „Evangelisation der Welt innerhalb dieser Generation“. Die Erfolge der protestantischen Mission beruhten auf der Verbreitung der Heiligen Schrift in den jeweiligen Muttersprachen, dem besonderen Interesse für die Ausbildung der Frauen, woran die Ehefrauen der Pastoren großen Anteil hatten, sowie auf dem Einsatz von Laienmissionaren und einfachen Predigern ohne große theologische Ausbildung.
Als auch die katholischen Missionare wieder weltweit aktiv wurden, standen sie jedenfalls in Rivalität zu anderen Konfessionen. Das gespannte Verhältnis untereinander war ein großes Ärgernis und ein Hindernis für die Mission insgesamt. Die Missionare beschimpften sich wechselseitig als Papisten und Römlinge oder als Ketzer und Häretiker. Festgemacht wurde der Streit an für die Eingeborenen undurchsichtigen Streitfragen wie der apostolischen Sukzession oder dem Zölibat. Der Eindruck, den die zerstrittene Christenheit dabei auf die Eingeborenen machte, muss verheerend gewesen sein. Je nach Lager sahen sich die Missionare der eigenen Kirche als selbstlose Glaubensboten, die der anderen hingegen als eigennützige Sendlinge, deren Handlungen schärfer verurteilt wurden als die der Heiden. Jedes Verdienst wurde ihnen abgesprochen. Ihre Erfolge waren angeblich flüchtig und nur durch einen reichen Geldstrom aus der Heimat zu erklären. Einig waren sich beide nur in ihrem vernichtenden Urteil über die „Mohammedaner“.
Die christliche Verkündigung lag zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wie früher in den Händen von Päpsten und Königen, sondern einfacher Männer und Frauen. Mit den Jahren entwickelte sich eine Volksbewegung. 1822 gründete zum Beispiel Pauline Jaricot, eine begüterte Frau aus Lyon, einen „Verein der Glaubensverbreitung“, der die Missionare mit Gebet und Opfer unterstützen sollte. Rom setzte sich rasch an die Spitze dieser Volksbewegung. Seit Gründung der „Propaganda Fide“, der Kongregation für die Verbreitung des Glaubens, unter Papst Gregor XIV. war Mission zum besonderen Anliegen des Heiligen Stuhls geworden.
Die eigentliche Heidenmission begann mit der Landung der Heilig-Geist-Väter und der Afrika-Missionare an der Sklavenküste. Der Landstrich galt als „Grab des Weißen Mannes“. Entsprechend hoch waren die Verluste: Von den ersten zehn Spiritaner-Patres, die Franz Libermann 1843 nach Westafrika entsandte, wurden innerhalb von sechs Monaten sieben vom „Sumpffieber“ dahingerafft. Bei den Lyoner Missionaren fielen innerhalb von fünfzig Jahren 510 der Malaria und anderen Seuchen zum Opfer. Aber nicht nur Klima, Krankheiten und Strapazen, schlechte Ernährung und katastrophale sanitäre Verhältnisse machten den Missionaren zu schaffen, sondern auch die verheerenden Übergriffe auf Leib und Leben der Bevölkerung.
Während an der afrikanischen Ostküste arabische Sklavenhändler ihr Unwesen trieben, waren es an der Westküste kriegerische Stämme wie die Ashanti, die im Verbund mit den Portugiesen Sklavenhandel in großem Maßstab betrieben. 1882 klagte der französische Missionar Chausse aus Ouida am Golf von Guinea darüber, dass „mehr als 15000 Einwohner durch den jüngsten Feldzug zu Gefangenen gemacht wurden und gefesselt nach Dahomey verschleppt wurden“. Zwei Jahre zuvor hatte ein Mitbruder anlässlich einer Audienz am Königshof berichtet, dass der Innenhof des Palasts mit Menschenschädeln gepflastert sei. Die Schilderung der blutrünstigen Riten und des grausigen Hofzeremoniells, bei dem die weibliche Leibwache des Königs, die legendären Amazonen, eine Rolle spielten, lösten in Europa helle Empörung und Abscheu aus. Das Entsetzen über solch barbarische Bräuche war ein zusätzlicher Anstoß für die Mission.
Noch um 1900 hatten Missionare in Zentralafrika eine durchschnittliche Lebenserwartung von noch fünf Jahren. Daher erhielten sie bei ihrer Einschiffung vorsorglich das Sakrament der Krankensalbung, damals als „Letzte Ölung“ bekannt. Eine Ausreise in die Mission betrachteten viele als Fahrschein in den Himmel. Der Opfertod, das Martyrium, wurde zum Höhepunkt einer missionarischen Berufung stilisiert.
In der volkstümlichen Phantasie lauerten überall wilde Tiere und blutrünstige Heiden auf den Missionar. Kopfjäger und Kannibalen trachteten ihm nach dem Leben. Gewaltsam umgekommen ist aber nur ein Bruchteil der Missionare. Die wahren Feinde waren neben Seuchen und Krankheiten kleinere Kreaturen: „Wenn man von Drangsalen redet, welche einen Europäer in Afrika erwarten,“ schrieb der Jesuitenpater Dejoux 1882 von Zambesi an seine Familie, „sollte man nicht an erster Stelle Löwen, Leoparden, Hyänen und scheußliche Reptilien erwähnen, die jede Nacht um die Wohnung schleichen, sondern Mücken und Flöhe. Außerdem plagen uns Termiten und Ratten.“
In Zeiten, da die Verkehrswege kompliziert und beschwerlich waren und die Medien noch in den Kinderschuhen steckten, war die Mission ein offenes Fenster zur Welt. Die Missionare prägten die Sicht auf fremde Kulturen. Um die Wende zum 20. Jahrhundert hatte in den christlichen Ländern West- und Südeuropas fast jede Familie einen Sohn oder eine Tochter in der „Heidenmission“. Jeder kannte in seinem Umfeld Missionare, deren Weg man aufmerksam verfolgte und an deren Schicksal man regen Anteil nahm. So lernte das „christliche Abendland“ die Welt durch die Brille seiner Missionare kennen. Briefe aus den Missionen halfen, den Blick für die Notlagen der Welt zu weiten: Dürren und Hungersnöte in Indien, Überschwemmungen in China, Seuchen in Schwarzafrika, Orkane in der Südsee. Solche Berichte gaben einen ersten Einblick in die Welt der „Naturvölker“.
Im Gegensatz zur protestantischen Mission, bei der sich einzelne Freikirchen unter Umständen in die Quere kommen konnten, war die katholische Kirche straff organisiert. Rom teilte den einzelnen Orden fest umrissene Missionsgebiete zu. Es verwundert heute, mit welcher Sorglosigkeit und Selbstverständlichkeit solch illusorische Ziele wie die rasche Bekehrung der gesamten Menschheit ins Auge gefasst wurden. Mit Disziplin und Opfermut hoffte man, die Verspätung gegenüber den Protestanten aufzuholen und verlorenes Terrain wiederzugewinnen. Jede Ordensgemeinschaft besaß ein eigenes Charisma und verfolgte bestimmte Aufgaben: Die Vinzentinerinnen etwa setzen sich für Arme und Kranke ein, die Schwestern vom Guten Hirten nahmen gefallene und gefährdete Frauen und Mädchen auf, und die Don-Bosco-Missionare kümmerten sich um die Ausbildung armer Kinder. In großen Missionsgebieten, wo mehrere Orden gleichzeitig tätig waren, kam es zu einer Arbeitsteilung: Die Missionen der Weißen Väter etwa deckten in Schwarzafrika eher die ländlichen, die Jesuiten eher die städtischen Gebiete ab.
Die Missionsorden waren im modernen Sinn „globale“ Unternehmen. Während sich Kirche und Gesellschaft in Europa zu versteinern schienen, eröffneten sich in den Übersee-Missionen weite Arbeitsfelder und ungeheure Möglichkeiten. Mission bot Aussicht auf Abenteuer und Bewährung. Die Erinnerung an die ersten Missionare ist bis heute nicht erloschen. In vielen Ländern der Erde wird das Andenken an die fremden Glaubensboten wachgehalten – ähnlich wie im christlichen Abendland, wo man sich voller Dankbarkeit an die irischen, schottischen oder fränkischen Missionare im frühen Mittelalter erinnert.
Die hoch entwickelten Staaten des Fernen Ostens mit ihren uralten geistigen Traditionen bedeuteten für die Missionare eine besondere Herausforderung. In der (nicht unbegründeten) Furcht, das Kolonial-Schicksal Indiens zu teilen, blieb vor allem das „Reich der Mitte“ bemüht, sich vor den „Weißen Teufeln“ zu verschließen. Da die Missionare nicht wie die Händler an der Küste blieben, sondern tief ins Landesinnere vordrangen, erregten sie das besondere Misstrauen der Mandarine. Die Söhne des „Herrn des Himmels“ wurden bezichtigt, am politischen Umsturz zu arbeiten, oder nach Kräften schikaniert. Immer wieder brachen Verfolgungen aus, die zu regelrechten Christenpogromen ausarteten.
Wenn Gefahr für sie selber oder für ihre jungen Gemeinden drohte, zögerten katholische wie protestantische Missionare nicht, nach dem Eingreifen ihrer jeweiligen Schutzmächte zu rufen – ungeachtet dessen, dass der Einsatz von Kanonenbooten und Strafbataillonen die Volkswut zusätzlich anstachelte. Als 1900 in China der Boxeraufstand ausbrach, diente der „Schutz deutscher Missionare“ als Vorwand für eine Marineexpedition nach Qingdao und die Besetzung der Bucht von Kiautschou durch das Deutsche Reich. Solche Allianzen sollten die Mission schwer kompromittieren.
Das Verhältnis von Mission und Kolonialismus war zwiespältig. Die Missionare erkannten an, dass die Kolonialherren ihnen die Arbeit leichter machten, indem sie für die innere und äußere Ordnung sorgten. Die Kolonialmächte erhofften sich von der Mission eine kulturelle Durchdringung, aus der sich später territoriale Ansprüche ableiten ließen. So bekämpften zwar die antiklerikale Republik in Frankreich oder der Reichskanzler in Deutschland die katholische Kirche in ihrem jeweiligen Heimatland. In den Kolonien aber förderten sie die Arbeit der Missionare, weil diese ihnen viele erzieherische und humanitäre Aufgaben abnahmen und zum inneren Frieden beitrugen.
Obwohl die Mission vor dem Imperialismus begann und diesen auch überlebte, war der Kolonialismus die „Erbsünde“ der Mission. Darüber sollte nicht vergessen werden, dass viele Vertreter der Mission sich für die geschmälerten und gefährdeten Rechte der Eingeborenen eingesetzt haben. Missionare standen oft aufseiten der unterdrückten Völker und Minderheiten. Das führte dazu, dass die Eingeborenen durchaus Unterschiede wahrnahmen und zwischen Missionaren auf der einen Seite und Soldaten, Händlern und Kolonisten auf der anderen zu unterscheiden wussten. Dies zeigte sich bei Aufständen, wenn Missionsstationen und Missionare weitgehend verschont blieben. Das erklärt auch, warum die Mission nicht zusammen mit dem Kolonialismus in der Versenkung verschwand.
Die Missionare des 19. Jahrhunderts kamen – anders als ihre Vorgänger im 16. und 17. Jahrhundert – nicht mehr als Lernende, sondern als Wissende. Vorüber war die Zeit, da Dominikaner, Jesuiten und Franziskaner an den Höfen des Sultans, des Großen Moguls oder des chinesischen Kaisers mit den örtlichen Eliten sozusagen „auf Augenhöhe“ disputierten. Jetzt fühlte sich Europa – dank seiner Waffen, seiner Technik und seiner Wissenschaften – dem Rest der Welt weit überlegen. Das religiöse Sendungsbewusstsein der Missionare koppelte sich mit einem Gefühl kultureller Überlegenheit.
Anders als Forscher und Entdecker, die durchreisten und wieder verschwanden, kamen die meisten Missionare, um zu bleiben. Darum waren sie darauf angewiesen, die Sitten der Eingeborenen zu studieren und die Heilige Schrift, die es zu verkünden galt, zu übersetzen. Das Neue Testament wurde in 1275 Sprachen vollständig, in weitere 1005 Sprachen auszugsweise übertragen. Das Bemühen um das Seelenheil der vermeintlichen Heiden führte dazu, dass selbst scheinbar unbedeutende Dialekte erforscht und für die Nachwelt aufgezeichnet wurden. Manchmal (etwa in Thailand, in Vietnam oder in der Arktis) „adelten“ die Missionare die Volkssprache, indem sie nicht nur eine Grammatik entwickelten, sondern auch eine eigene Schrift schufen.
Das Interesse der Missionare an fremden Kulturen und Religionen hatte praktische und ideelle Gründe. Von ihrem Selbstverständnis her und im Gefühl der eigenen Überlegenheit urteilten sie oft hart und überheblich. Sie beschrieben ausführlich die dunklen Seiten der Völker: Okkulte und archaische Sitten wurden dramatisch und ausgiebig geschildert. Andererseits gab es Missionare, die ihr Staunen über die Weisheit der Heiden nicht zurückhielten. Der Apostolische Vikar Paul-Ambroise Bigandet in Rangun berichtete im Jahre 1874 nach Rom: „Man darf nicht meinen, dass der Buddhismus hierzulande ein lebloser Körper sei. Im Gegenteil: Er ist sehr lebendig und lebenskräftig und einflussreich auf Verstand und Willen. Auf unsere Birmesen macht daher die Predigt des Evangeliums keinen Eindruck.“
Bezüglich des Umgangs und der Bewertung der fremden Religionen herrschten unterschiedliche Ansichten – ähnlich wie ehedem in der Frage der Jesuitenreduktionen in Südamerika und des Ritenstreits in China. Die einen forderten, mit den religiösen Symbolen der „Heiden“ rabiat umzugehen, andere sorgten dafür, dass fremde Kulturgüter zu Bildungs- und Werbezwecken nach Europa verschickt wurden, wo sie für erhebliches Aufsehen sorgten. Missionsmuseen dienten vielfach als Grundstock für Sammlungen außereuropäischer Kunst. Es ist auch kein Zufall, dass unter den Vätern der Anthropologie und der Ethnologie viele Missionare waren.
Für die Völker des Südens warf die Ankunft der fremden Glaubensboten Fragen auf. Schon ihr Aussehen und ihr Gehabe erregte Anstoß. In Schwarzafrika, wo manche Naturvölker noch in strenger Abgeschiedenheit lebten, sah man in den Bleichgesichtern zunächst Gespenster, Geister der Ahnen, die sowohl Gutes als auch Böses bringen konnten. In Asien wurden sie wegen ihrer langen Nasen und ihrer blassen Hautfarbe als „Wasserleichen“ verspottet. Viele dürften sich die Frage gestellt haben, welchen Vorteil sie von der neuen Lehre zu erwarten hatten: Waren sie nicht besser bei den alten Gottheiten und Geistern aufgehoben, die man mit Opfern (manchmal sogar mit Menschenopfern) versöhnlich stimmen konnte?
In vielen afrikanischen und ozeanischen, aber auch in etlichen asiatischen Kulturen wie in Vietnam oder Korea fiel die christliche Botschaft auf fruchtbaren Boden. Andernorts stieß sie teilweise auf scharfe Ablehnung. Im Nahen Osten und in den Hochkulturen Asiens verschlossen sich die Eliten – auch wenn sie die Segnungen der Mission, wie Ausbildung und moderner Medizin, gern in Anspruch nahmen. Davon unberührt widmete sich die Mission verstärkt den sozialen, religiösen und ethnischen Minderheiten dieser Länder. Sie stärkte deren Selbstbewusstsein und förderte ihren sozialen Aufstieg.
Mission war eine ungeheure logistische Herausforderung. Vielerorts fanden die Missionare keinerlei technische Infrastruktur vor. Nicht selten musste alles aus dem Boden gestampft werden: Missionsstationen wie Bagamoyo, 1868 von den elsässischen Heilig-Geist-Vätern (Spiritanern) gegründet, wurden dank der Schulen, Werkstätten, Waisen- und Krankenhäuser zu Inseln westlicher Kultur und zum Ausgangspunkt für Expeditionen ins dunkle Herz Afrikas. Die sozialen Segnungen solcher Missionen reichten weit ins Hinterland. Ausbildung und Entwicklung gehörten von Anfang an zum humanitären Auftrag der Mission. Bis heute rühmen sich einzelne Völker (wie die Ewe an der afrikanischen Westküste) der technischen und handwerklichen Fertigkeiten, die ihre Urgroßväter einst von tüchtigen Missionsbrüdern erlernt hatten. Beispielhaft waren in diesem Zusammenhang die Mönchsorden. Die Klostergründungen etwa der Missionsbenediktiner in Korea und Ostafrika, der Trappisten in Südafrika und Australien spielten eine ähnliche Rolle wie die der Benediktiner in Europa im frühen Mittelalter. In vielen Lebensbereichen der fremden Völker übernahmen Missionare eine Pionierrolle.
In der römischen Männerkirche galten Missionare als „Soldaten Christi“. Dennoch bedurfte es für spezifische Belange wie Krankenpflege oder Kinder- und Mädchenerziehung der weiblichen Hand. Anfangs griff man dafür auf bestehende caritative Orden zurück. Bald wurden zum Zweck der Mission aber auch eigene Frauenorden gegründet. Dabei handelte es sich häufig um den weiblichen Zweig eines Männerordens: Comboni-Missionsschwestern, Franziskanische Missionarinnen, Oblatinnen, Salvatorianerinnen und viele mehr. Der Ordensgründer der Mariannhiller Missionare, Franz Pfanner, hatte die ersten fünf „Missionshelferinnen“ 1885 auf einer seiner zahlreichen Spendentouren durch Europa angeworben. Aus der ihnen zugedachten untergeordneten Rolle haben sich die Missionsschwestern rasch emanzipiert. Dank ihrer Schulen und Hospitäler hatten die Nonnen bald engen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung und übten großen Einfluss aus.
Die Mission bot vielen Ordensfrauen die Möglichkeit, ihre Talente in die Kirche einzubringen. Das geschah zu einer Zeit, als im bürgerlichen Europa Frauen immer mehr aus dem öffentlichen Leben zurückgedrängt und ihre Rolle strikt auf die Führung des Haushalts und die Sorge um die Kinder beschränkt wurde. Mission war ein Abenteuer, das auch Ordensfrauen zu „beflügeln“ wusste: So trat eine Weiße Schwester im fortgeschrittenen Alter eine Inspektionsreise ins Innere Afrikas an. 1904 stach sie mit fünf Mitschwestern in Marseille in See. Von der Insel Sansibar setzten sie nach Ostafrika über. Anfangs ging es auf dem Rücken von Eseln zügig voran. Als sie das Gebiet der Großen Seen erreichten, ging es in Eilmärschen über das Gebirge. Acht bis zehn Stunden täglich marschierten sie in glühender Hitze. Wenn sie zu erschöpft waren, ließen sie sich auf die Rücken von einheimischen Trägern binden. Wenn es regnete, gruben sie sich in Erdlöcher ein und warteten unter einer Plane – manchmal tagelang – das Ende des Regens ab. Nach einer stürmischen Überfahrt über den Tanganyika-See starb die Ordensfrau völlig erschöpft auf der Missionsstation von Mpala im Kongo im August 1905.
Die Leistungen der Missionarinnen werden häufig unterschlagen: Es waren Nonnen und evangelische Pfarrersfrauen, die die Würde der Frau zu einem wichtigen missionarischen Anliegen machten. Viele traditionelle Kulturen billigten der Frau nur eine untergeordnete Rolle zu und hielten sie in einem Zustand gesellschaftlicher und privater Sklaverei. In manchen Kulturen wurden Frauen als Ware gehandelt, die man käuflich erwarb. Missionsschwestern widmeten sich dieser „anderen Hälfte der Menschheit“: Sie richteten Schulen für Mädchen ein und gaben Frauen religiöse, soziale und technische Unterweisung – damals etwas Unerhörtes. Das sollte die Stellung der Frau in der Gesellschaft grundlegend verändern.
Die Missionsorden standen, genauso wie die einzelnen Missionare selbst, unter einem enormen Erfolgsdruck. Lange Listen von Heiden und Christen gingen hin und her über die Ozeane. Taufzahlen wurden wie Bilanzen an der Börse gehandelt. Jede Ziffer stand für das Seelenheil eines Menschen, für einen kleinen Sieg über die Hölle: Die Taufe eines sterbenden Säuglings oder einer cholerakranken Greisin wurde in der kirchlichen Heilsstatistik genauso vermerkt wie die eines afrikanischen Königs. Angesichts der ermutigenden Resultate erwartete man (genau wie die protestantische Konkurrenz) das Kommen des Reiches Gottes in naher Zukunft. 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, glaubte man, bereits zwei Dritteln der Menschheit die christliche Botschaft verkündet zu haben.
Es war die Zeit der Missionsstrategen, die wie Generäle mit Fähnchen die Landkarten bestückten, bis darauf keine weißen Flecken mehr zu sehen waren. Die Sprache der Mission glich der des Militärs: Man sprach vom Siegeszug des Evangeliums, vom Kampf gegen die Mächte der Finsternis. Stellten sich keine Erfolge ein, sah man Satan leibhaftig am Werk. Insofern wurden die angeblichen Massenbekehrungen in Indien oder China (Reischristen) nie kritisch hinterfragt oder ernsthaft überprüft. Dass dort trotz aller Anstrengungen die Mission auf niedrigem Niveau stagnierte, wurde nicht dem eigenen Unvermögen oder der Ablehnung und Verweigerung durch die Einheimischen zugeschrieben, sondern dem bösen Feind, der vor den Missionaren „unüberwindliche“ Hindernisse, wie das indische Kastenwesen oder den chinesischen Aberglauben, auftürmte.
Die Ausreise in die Mission war für die allermeisten eine Reise ohne Wiederkehr. Zur Erbauung des christlichen Volkes schuf die Missionsliteratur Mythen, Helden und Heilige. Die Missionare galten als „Soldaten Christi“, die für die Rettung der „Kinder der Finsternis“ ihr eigenes Leben opferten. Mit kirchlichen Weihen und päpstlichem Segen ausgestattet, sahen sich Ordensleute unabhängig von ihrem Stand und ihrer Herkunft in der Mission zu großen Taten berufen.
Ein solches Schicksal erlitt Joseph-Damian De Veuster (1840–1889), Sohn eines flämischen Kleinbauern, der wie Honoré Laval dem Orden von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens (Arnsteiner Patres) angehörte. Ähnlich wie später der „Urwalddoktor“ Albert Schweitzer oder der „Engel von Kalkutta“, Mutter Teresa, wurde er schon zu Lebzeiten zum „Star“ stilisiert. De Veuster landete 1864 auf Hawaii, das damals unter dem Namen Sandwich-Inseln ein selbstständiges Königreich mit 60000 Einwohnern war. 1860 war dort eine Lepra-Epidemie ausgebrochen, die ein Massensterben verursachte. Angesichts des „nationalen Notstands“ beschloss die Regierung unter König Kalakaua, alle Infizierten aufzuspüren und auf einer Landzunge der Halbinsel Molokai auszusetzen, die damit zum Todeslager wurde.
Als De Veuster bei einer Schiffsfahrt der Aussätzigenkolonie gewahr wurde, ließ er sich – nur mit seinem Brevier in der Soutane – aussetzen. Sein Opfermut erregte großes Aufsehen, und Reisende brachten die Nachricht nach Europa. Unbeeindruckt von dem Rummel um seine Person, begann der Missionar mit einer wachsenden Zahl von Aussätzigen eine Art „Utopia“ zu errichten. Doch durch den ständigen Kontakt mit Leprösen infizierte er sich selbst. Neben Bewunderung bekam De Veuster auch Missgunst zu spüren: Protestantische Prediger sprachen von einem römischen Propagandatrick. Da man im 19. Jahrhundert die Lepra für das letzte Stadium der Syphilis hielt, unterstellten ihm seine Vorgesetzten ein unzüchtiges Leben. Auch der Hof war ungehalten wegen des negativen Images, das De Veuster dem Königreich beschert hatte. Die Regierung fürchtete angesichts ihres Unvermögens, die Lepra einzudämmen, die Krankheit würde den Kolonialmächten einen Vorwand zum Eingreifen liefern (was schließlich auch zutraf). Damian De Veuster starb elendig im April 1888. Auf die Nachricht hin versammelte sich die Académie Française, um den Toten zu ehren, und die Londoner Times widmete ihm eine Titelseite.
Heldentaten wie diese waren Gegenstand einer rasch wachsenden Missionspresse, die ganze Generationen begeisterte. Erst mit der zunehmenden Säkularisierung kühlte die Begeisterung ab. Am Ende wurde das Bild der Mission ins Gegenteil verkehrt. Jetzt wurden mit einem Mal nur noch die Fehler und Versäumnisse der Missionare hervorgehoben. Doch es wäre ratsam, wenn statt voreiliger Schlussfolgerung der geschichtliche Kontext stärker berücksichtigt würde: Viele Missionare sahen in den Eingeborenen weiße Seiten der Menschheitsgeschichte, die zu beschreiben sie berufen waren. Sie übersahen, dass sie selber nur Passanten waren, die den Menschen und Kulturen, denen sie begegneten, nichts aufzwingen, sondern nur etwas anbieten konnten: die christliche Botschaft anzunehmen oder zu verweigern.
Die Grenzen der Erde, die die christlichen Glaubensboten erreichen wollten, lagen nach allgemeinem Verständnis in den arktischen Regionen. Äußere Erfolge, wie Massenbekehrungen, waren in den menschenleeren Räumen nicht zu erwarten. Aber die „Eismission“ war damals von hoher symbolischer Bedeutung.
1865 traf der Oblatenpater Émile Petitot an der Mündung des Mackenzie-Flusses in Nordwest-Kanada auf kleine pelzvermummte Menschen – von den Ureinwohnern verächtlich „Eskimos“, Rohfleischesser, genannt. Doch das Terrain war bereits besetzt: Auf Grönland und an der Küste von Labrador unterhielten die Herrnhuter seit 1771 Missionen, auf den Alëuten und in Alaska missionierte seit 1794 die russische orthodoxe Kirche. Im Gefolge der Hudson-Bay-Company hatte sich ab 1845 die anglikanische Mission die besten Plätze gesichert.
Pater Arsène Turquetil zog zehn Jahre erfolglos mit einem Hundegespann von Lager zu Lager. Erst 1911 konnte er in Chesterfield eine Mission gründen. Anders als Protestanten und Anglikaner, die ihre Missionsstationen nur im Sommer ansteuerten, blieben er und seine Nachfolger auch während des Winters auf ihrem Posten. Mehr als zwanzig Missionare bezahlten das Abenteuer mit ihrem Leben: Sie wurden ermordet, sie ertranken, erfroren oder blieben im „ewigen Eis“ verschollen. Trotz aller Ausfälle und Verluste fanden sich genügend Kandidaten, die bereit waren, entstandene Lücken zu schließen.
Entgegen kirchenamtlichen Verlautbarungen, die das Bild eines unaufhaltsamen Siegeszugs des Evangeliums zeichneten, waren die Anfänge der Mission äußerst bescheiden. Nur langsam sollte sich die Situation verbessern: 1927 waren in den Gebieten, die der Missionsbehörde in Rom unterstanden, immerhin 7728 ausländische Missionare im Einsatz. Ihnen standen 3055 einheimische Priester gegenüber, davon alleine 2192 in Indonesien und China. In Afrika gab es gerade mal ein Dutzend schwarzafrikanischer Priester.
Das Bild, das die Konzilsväter anlässlich der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils 1962 in Rom boten, war noch immer das einer weißen Kirche mit einigen farbigen Tupfern. Bezüglich der Frage, ob Gott auch in den nichtchristlichen Religionen wirke, sollte das Konzil für Klarheit und Umkehr sorgen. Es beschleunigte die bereits begonnene „Inkulturation“ der Mission, womit die Einwurzelung des Evangeliums in die jeweilige Kultur gemeint ist. Diese ging mit einer Reform der römischen Liturgie einher. Dadurch wurde in den Kirchen des Südens eine Dynamik freigesetzt, die bis heute andauert. Zum ersten Mal in der Kirchengeschichte kamen wichtige Impulse von der südlichen Halbkugel: Begriffe wie Befreiungstheologie, Basisgemeinden, Inkulturation und Verantwortung von Laien wurden auch in den alten Kirchen leidenschaftlich diskutiert.
Dabei waren Ende der sechziger Jahre die globalen politischen und gesellschaftlichen Umstände nicht günstig, denn mit der Kulturkrise, die Westeuropa und Nordamerika erfasste, gab es einen drastischen Rückgang bei den kirchlichen Berufen. Besonders deutlich zeigte sich das bei den Berufungen in die Mission. Nachwuchsmangel und Überalterung der westlichen Missionare bedeutet jedoch nicht, dass das Kapitel abgeschlossen ist. Die Mission befindet sich allerdings in einem tiefgreifenden Wandel. Die Missionsorden haben heute Zulauf aus den „jungen Kirchen“. Die meisten Missionare kommen heute aus Ländern wie Indien, Indonesien, Vietnam, Korea und den Philippinen, aus Nigeria, Kenia, Angola, Ghana und dem Kongo, aus Brasilien, Argentinien, Mexiko, Peru und Kolumbien.
Trotz all ihrer Mängel und Fehler haben die Missionare des 19. und 20. Jahrhunderts den Grundstein für die heutige Weltkirche gelegt. Sie übernahmen eine prophetische Rolle. Ihnen ist es zu verdanken, dass sich die Gewichte innerhalb der Weltkirche dauerhaft verlagert haben. Heute leben etwa 750 Millionen Katholiken, also mehr als sechzig Prozent, auf der südlichen Erdhalbkugel. Die Länder mit der höchsten Katholikenzahl sind Brasilien (126 Millionen), Mexiko (96 Millionen) und die Philippinen (75 Millionen). In der Republik Kongo leben heute mehr Katholiken als in Deutschland. Ähnlich ist es auf protestantischer Seite: Besonders bei Evangelikalen und Pfingstlern (die bis 1900 südlich des Äquators gar nicht vorkamen) ist ein starker Anstieg zu verzeichnen. Heute zählen sie weltweit 504 Millionen Anhänger. Damit ziehen die Freikirchen fast mit den etablierten reformierten Kirchen gleich. Sie haben auch in den katholischen Ländern Lateinamerikas großen Zulauf.
Die Zahlenspiele geben keine Auskunft darüber, wie weit christliche Werte und Vorstellungen in die nichtchristlichen Kulturen eingedrungen sind. Letzten Endes entscheidet nicht die Statistik über Erfolg oder Misserfolg der Mission, sondern die Tatsache, ob die christliche Botschaft die Herzen der Menschen erreicht. Wie dem auch sei: Missionare haben in Übersee neue Kirchen gestiftet und damit die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass aus der „Westkirche“ eine Weltkirche wurde.
Der Text und die Fotos stammen aus dem Bildband „Pioniere und Propheten“ von Marcel Bauer, EOS-Verlag, Sankt Ottilien 2014, 248 Seiten, 29,95 Euro.